Viele schlechte Noten für Energiewende
18. März 2013An über 50 Energiewissenschaftler, Umwelt- und Verbraucherexperten, Energiepolitiker, Fachjournalisten, Industrievertreter und Akteure der Energiewirtschaft schickten wir vor einigen Wochen einen Fragebogen. Wir wollten wissen, wie die Experten die Energiewende bewerten und wie sie die Arbeit der Bundesregierung sehen.
Wir erhielten 29 Fragebogen zurück. Die vier großen Stromkonzerne - RWE, E.on, EnBW und Vattenfall - enthielten sich. RWE-Konzernsprecher Martin Pack begründete seine Absage damit, dass "die Energiewende zu komplex ist, um sie mit Schulnoten zu bewerten."
Energiewende im Stromsektor zwischen gut und befriedigend
Die meisten Befragten bewerten die Energiewende im Stromsektor positiv. Auf einer Notenskala von eins (sehr gut) bis sechs (ungenügend) gaben die meisten die Note zwei und drei. "Die erneuerbaren Energien tragen mittlerweile zu gut einem Viertel der Stromerzeugung bei. Hier sind wir auf einem guten Weg", schreibt Klaus Breil, energiepolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag und vergibt die Note gut (zwei).
Der starke Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung wird von anderen Experten ebenfalls positiv bewertet. "Aber es wird nicht ausreichend in Netze, Speicher und Gaskraftwerke investiert und im Bereich der Energieeffizienz passiert zu wenig", beschreibt Prof. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaft DIW das Defizit und vergibt die Note drei.
Die Note mangelhaft (fünf) vergibt dagegen Pressesprecher Roland Schmied vom VIK, dem Verband der industriellen Energiekunden. Er bemängelt eine "fehlende Abstimmung" zwischen allen Akteuren, um das Ziel der Energiewende - 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien bis 2050 - zu erreichen. Hans-Joachim Reck, Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen, der die Interessen der kommunalen Energieversorger vertritt, fehlt es darüber hinaus "an Planungssicherheit und einem stringenten Konzept, wie man die gesteckten Ziele erreichen kann."
Energiewende im Gebäudesektor zu langsam
Im Vergleich zum Stromsektor bewerten die Experten die Energiewende im Gebäudesektor um gut eine Stufe schlechter mit der Note vier. Rund ein Drittel des deutschen Energiebedarfs wird für Raumheizung und warmes Wasser verbraucht, zu fast 90 Prozent wird mit Öl und Gas geheizt. Zu viel sagen die Experten, die energetische Sanierung der Altbauten und die Umstellung auf erneuerbare Wärme könnte viel schneller geschehen.
"Die technisch möglichen Standards werden viel zu langsam in verpflichtendes Recht umgesetzt und für die Altbausanierung sind Unterstützungsangebote nötig", begründet Prof. Dirk Uwe Sauer von der RWTH Aachen seine Note vier. Und ergänzt: "Die Anreize zum Energiesparen sind trotz steigender Energiepreise für den Endkunden immer noch zu gering."
Nach Angaben von Prof. Volker Quaschning von der HTW in Berlin würde beim jetzigen Sanierungstempo die Energiewende über 100 Jahre dauern. "Ein effektiver Klimaschutz wird so nicht erreichbar sein."
Energiewende im Verkehr mangelhaft
Noch weniger Fortschritte sehen die befragten Energieexperten beim Verkehr und vergeben hier die schlechtesten Bewertungen. Der Notendurchschnitt liegt zwischen vier und fünf.
"Es gibt keine wirksamen politischen Programme zur Einführung der erneuerbaren Energien: Der Einsatz von Biotreibstoffen wurde in den letzten Jahren zurückgedrängt, bei der Elektromobilität fehlen entscheidende Programme für die Markteinführung, andere Länder wie China oder auch Frankreich sind hier um Jahre voraus", schreibt Stefan Gsänger, Generalsekretär der World Wind Energy Association in Bonn, als Begründung für seine Note mangelhaft (fünf).
"Totale Fehlanzeige im Verkehrssektor", schreibt Eva Bulling-Schröter, Umweltpolitische Sprecherin DIE LINKE im Bundestag und vergibt die Note 6. "An ein grundlegendes Umsteuern - Verkehrsvermeidung und weg von der Automobilgesellschaft - denkt in der Bundesregierung niemand."
Schlechte Noten für Regierungspolitik
In der Gesamtbewertung geben die Experten für die Energiewende meist eine drei. "Gut läuft es im Stromsektor, miserabel und katastrophal im Bereich Wärme und Verkehr", schreibt der grüne Energieexperte im Bundestag Hans-Josef Fell als Begründung für seine Note drei und erfasst damit den Tenor der befragten Experten.
Die Arbeit der Bundesregierung bewerten die Forscher und Fachleute eher schlecht und vergeben im Durchschnitt eine vier. "Es gibt ein schlechtes Projektmanagement und in Teilen der Bundesregierung sogar versteckten Widerstand gegen die Energiewende, der sich allmählich immer offener zu erkennen gibt“, schreibt Gerd Rosenkranz von der Deutschen Umwelthilfe. Und Prof. Hubert Weiger, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), ergänzt: "Die Energiewende wird nicht vorangebracht sondern zerredet."
Die Regierung sendet "gemischte Signale" meint auch Prof. Eicke Weber, Leiter des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme in Freiburg die Regierungspolitik und kritisiert, dass "sich die Bundesregierung heute scheut, die eindeutigen Erfolge der Energiewende offensiv zu verteidigen." Als Beispiel nennt Weber sinkende Industriestrompreise, die "ausgezeichnet für die Wettbewerbsfähigkeit" seien.
Ulrich Ropertz, Geschäftsführer vom Deutschen Mieterbund kritisiert die Regierung aus einem ganz anderen Grund: "Die Kosten und Belastungen werden nicht sozial gerecht verteilt."
Negativ bewerten die befragten Experten zudem die aktuelle Diskussion über die steigenden Stromkosten in Deutschland. Sie halten die Debatte für verzerrt und vermissen eine sachorientierte Aufklärung. "Ökoenergie wird zum Sündenbock", meint Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaft. Und Günther Häckl von SMA Solar Technology AG und Präsident des Bundesverband Solarwirtschaft findet: "Hier werden mit unsachlichen Behauptungen Ängste geschürt. Der Populismus dominiert die Politik und verbindet sich mit Klientelpolitik. So geht Energiewende ganz bestimmt nicht."