Klimapolitik braucht Druck von unten
9. Dezember 2013Deutsche Welle: Herr Schellnhuber, auch auf der Weltklimakonferenz in Warschau gab es keinen Rückenwind für den Klimaschutz. Können wir von diesen Konferenzen noch Impulse erwarten?
Die Politiker sind durch Kopenhagen traumatisiert. 2009 wurden unglaublich große Reden geschwungen und am Schluss kam sehr wenig heraus. Immerhin gab es aber die Festlegung auf das Zwei-Grad-Ziel. Aber insgesamt wurden viele Hoffnungen bitter enttäuscht. Seither sind die Erwartungen niedrig.
Problematisch ist es auch, dass es für die Bewältigung des globalen Klimaproblems keine globale Gestaltungsmacht gibt. Die Vereinten Nationen können dies nicht leisten. Mit Hilfe der Wissenschaft können sie nur die Fakten liefern und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Aber am Schluss müssen Staaten, Städte, Wirtschaftssektoren und Bürger das umsetzen und handeln.
Warum fällt den Politikern eine Entscheidung bei den Verhandlungen so schwer?
Als Obama in Kopenhagen seine Rede hielt, stand ich nah bei ihm. Die Rede war extrem kühl und defensiv. Es war völlig klar, dass er seine Rede nicht an die Welt richtete, sondern direkt an die amerikanischen Medien.
Regierungschefs und Minister sind Gesandte eines Nationalstaates, sind gewählt worden, um die Interessen dieses Nationalstaates zu verteidigen und dessen Wohlstand zu mehren. Daran werden sie gemessen, das ist der Mechanismus. Der Klimaschutz als Menschheitsziel sitzt zwischen allen Stühlen.
Welchen Ausweg gibt es?
Wir schaffen den Nationalstaat ab, das wäre eine elegante Lösung, kann aber noch 100 Jahre dauern. Die Zivilgesellschaft muss sich viel stärker zu Wort melden. Sie muss sich dafür einsetzen, dass auch Kinder ein gutes Leben führen können in einer gesunden Umwelt.
Der einzelne Nationalstaat kann den Klimaschutz nicht garantieren, weil Treibhausgase innerhalb von zwei Wochen ein Mal um die ganze Welt reisen. Also muss ich als Bürger Druck machen, dass meine nationalen Politiker auch internationale Politik betreiben. Leider verdrängen viele Menschen das Problem, begnügen sich mit der Wahl ihrer Politiker. Aber beim Klimaschutz kann man sich nicht zurücklehnen.
Der Ausstoß der Klimagase steigt weiter. Kann das Zwei-Grad-Ziel noch erreicht werden?
China ist weltweit inzwischen der größte Emittent. Aber mittlerweile gibt es dort sehr ernsthafte Bemühungen. Das spüren wir noch nicht direkt beim Ausstoß, aber wir haben immerhin eine Perspektive, dass wir das Tal der Tränen bald durchschritten haben. Wenn die richtigen Investitionen gemacht werden in großen Ländern wie China, etwa in Erneuerbare Energien, in Energieeffizienz, dann kann die Transformation auf einmal sehr schnell gehen. In Deutschland kann man gut sehen, wie schnell der Anteil der Erneuerbaren wirklich hoch katapultiert wird.
Klar ist, dass die Erderwärmung nicht über zwei Grad steigen darf. Um dies zu erreichen, braucht es einen entschiedenen politischen Willen, und der muss in den demokratischen Gesellschaften von der Zivilgesellschaft mobilisiert und organisiert werden. Ich wehre mich gegen die defätistische, pessimistische Aussage, dass es nicht mehr zu schaffen ist. Das ist ein Vorwand derjenigen, die wollen, dass alles beim Alten bleibt und nichts geschieht. Früher sagten sie: "Es gibt kein Klimaproblem" und jetzt sagen sie: "es ist längst zu spät, etwas dagegen zu tun".
Warum werden Klimaschutz und Energiewende oft als kostspielig dargestellt?
Wir sind mitten in einer Phase der Transformation. Die Erneuerbaren Energien wird man nicht aufhalten können. Aber die Frage ist, wie schnell sie kommen. An der Spitze der 500 umsatzstärksten Unternehmen der Welt, der Fortune Global 500, sind Erdöl- und Transportfirmen. Es wäre ein biblisches Wunder, wenn die größten Unternehmen der Welt, die vom jetzigen fossilen System so wunderbar profitieren, sagen würden, die Alternative sei viel, viel besser.
Natürlich klammern sich die fossilen Unternehmen daran, dass das System immer noch dominiert und so lange wie möglich erhalten bliebe. Aber die Alternativen sind längst Realität geworden. Neben dem alten System existiert schon längst ein neues System. In Deutschland gibt es inzwischen fünf Millionen individuelle Energieerzeuger. Und es ist jetzt ein Kampf zwischen dem alten und dem neuen System.
Wie sieht der Kampf aus?
Jeder will im Geschäft bleiben. Die Pferdekutscher waren auch gegen die Einführung des Automobils und der Eisenbahn. Die Industriegeschichte ist interessant, es gibt dort alles, von Sex and Crime bis hin zur Bestechung.
Der größte Skandal ist, dass fossile Brennstoffe noch immer mit 500 bis 600 Milliarden Dollar pro Jahr weltweit subventioniert werden. Damit ließe sich die Energiewende global komfortabel finanzieren. Das sind keine Gelder aus der Portokasse. Das alte System wird mit ungeheuren Mengen von Steuergeldern subventioniert. Das mag kein Bürger. Die meisten wissen es nur nicht.
Was sind das für Subventionen?
Am stärksten sind sie in den ölproduzierenden Ländern. In Saudi Arabien oder Katar bekommen die Bürger umsonst Energie in jeder beliebigen Höhe und Menge, obwohl das Erdöl oder das Erdgas nicht umsonst gefördert wird.
Dann gibt es Länder wie Indien, wo Energie subventioniert wird und den Armen helfen soll. Aber das System kommt an eine Grenze. Im ländlichen Indien würde man den Menschen einen viel größeren Dienst erweisen, wenn man nicht Diesel verbillige, sondern helfen würde, die dezentrale, solare Energieversorgung zu nutzen. Ich habe in einigen Provinzen schon ein Umdenken gespürt. Ich glaube das System steht kurz davor zu kippen.
Prof. Dr. Hans Joachim Schellnhuber ist Direktor des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen (WBGU), Mitglied des Weltklimarates IPCC, Mitglied der Sachverständigengruppe "Energie und Klimawandel" für die EU-Kommission und berät Weltbank und UN zur Klimapolitik.
Das Interview führte Gero Rueter