Rückkehr der Bundesliga-Dinos
9. Mai 2022Wer am Samstagabend des 33. Spieltags in der 2. Liga das Spitzenspiel verfolgte, hat eine Ahnung bekommen, was der Liga am finalen Spieltag blühen könnte. Denn solche Szenen wie beim spektakulären 3:2 des FC Schalke 04 über Mitaufstiegskonkurrent FC St. Pauli hat das Unterhaus des deutschen Fußballs lange nicht mehr gesehen.
Tausende Fans in Königsblau stürmten nach dem Abpfiff den Rasen der Schalke-Arena und feierten hemmungslos die vorzeitig erreichte sofortige Rückkehr in die Bundesliga. Die freudetaumelnden Fans feierten die Spieler, schnitten sich Rasenquadrate zur Erinnerung heraus, zerlegten die Tore und schleppten Latten und Pfosten aus dem Stadion.
Mitten drin mit Tränen in den Augen und lauthals mitgröhlend: Aufstiegsheld Simon Terodde, der mit seinen 29 Toren mal wieder ein Team zurück in die Bundesliga geschossen hat. Oben auf dem Videowürfel sprach Mike Büskens von der Schalker "Auferstehung aus Trümmern" und ließ sich emotional mitreißen. "Davon werden wir noch in ein, zwei Jahrzehnten reden, von diesem Abend mit dieser Dramaturgie", sagte Büskens mit heiserer Stimme und biergetränkten Haaren: "Es war eine unglaubliche Reise."
S04: Vor einem Jahr am Boden, nun wieder erstligareif
Noch vor einem Jahr im April hatte es rund um die Arena ganz andere Szenen gegeben, als einige wütende Fans die Spieler nach der Niederlage gegen Bielefeld noch um die Arena gejagt hatten. Im katastrophalen Abstiegsjahr hatten die Gelsenkirchener gerade einmal drei Siege eingefahren und waren mit nur 16 Punkten und einer Tordifferenz von minus 61 als abgeschlagener Letzter abgestiegen - mit 19 Punkten Rückstand auf einen Nicht-Abstiegsplatz.
Nach einem gewaltigen personellen Umbruch mit einem glücklichen Händchen bei den Neuzugängen gelang es Schalke, ein nach vorne schlagkräftiges Team zusammenzustellen (Terodde wird zum vierten Mal Torschützenkönig der Liga), aber auch defensiv einigermaßen stabil zu sein. Dennoch gab es auch in der zweiten Liga etliche Rückschläge, auf einem Aufstiegsplatz stand Schalke erstmals nach dem 29. von 34 Spieltagen.
Mit der Beförderung des "Eurofighters" Büskens vom Co-Trainer zum Chefcoach gelang Königsblau zum richtigen Zeitpunkt ein weiterer Lucky Punch. Büskens, der vor 25 Jahren mit Schalke den UEFA-Cup gewann, sorgt zusammen mit dem Schalker Urgestein Gerald Asamoah, Leiter der Lizenzspielerabteilung, an der Seitenlinie für die richtigen Emotionen. "Über den Reset-Knopf, den wir gedrückt haben, haben wir wieder zu unseren Werten gefunden", betonte Büskens, "deshalb ist das Motto für die Zukunft, dass wir demütig bleiben und nicht wieder anfangen zu spinnen."
Auch die schnelle Trennung von Hauptsponsor Gazprom nach Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine brachte dem Verein nicht nur bundesweit Sympathien, sondern auch einen neuen Sponsor. Ab sofort kann die Vorbereitung auf die Bundesliga in aller Ruhe beginnen.
Auch Werder vor direktem Wiederaufstieg
Ganz so weit ist man an der Weser noch nicht. Schalkes Mitabsteiger der letzten Saison, Werder Bremen, hat sich aber am vorletzten Spieltag beste Voraussetzungen für den Aufstieg erarbeitet: Werder hat den zweiten Tabellenplatz erobert, drei Punkte Vorsprung vor der Konkurrenz und es damit in der eigenen Hand. Ein Punkt im letzten Spiel gegen Jahn Regensburg reicht für den direkten Wiederaufstieg.
Gerade lief der Weg dorthin dabei für Bremen ebenfalls nicht: Nach einem Kantersieg gegen Schalke war Werder noch am 31. Spieltag Tabellenführer, leistete sich dann aber nach einer 2:0-Führung eine 2:3-Pleite gegen Holstein Kiel und rutschte auf den Relegationsplatz ab. Ein Sinnbild für die gesamte Saison, als Bremen in der Hinrunde wichtige Punkte liegenließ, aber in der Rückrunde wichtige Siege etwa gegen den HSV oder Schalke einfahren konnte. Auch außerhalb des Platzes sorgte der Verein für Schlagzeilen, als Ex-TrainerMarkus Anfang nach dem Skandal um seine Impfpass-Fälschung zurücktreten musste.
In Bremen will man nur auf sich schauen. So predigen es Trainer Ole Werner und Ex-Spieler Clemens Fritz, heute Leiter Profifußball - damit der Europapokalsieger der Pokalsieger von 1992 und viermalige deutsche Meister schon nächste Saison wieder in der Elitestube des deutschen Fußballs zu Gast sein darf.
Achterbahnfahrt für den HSV
Wie Schalke und Bremen hat auch der Hamburger SV eine sehr wechselhafte Saison hinter sich. Dass der HSV überhaupt noch Chancen auf den Aufstieg hat, hätte man kurz vor Ostern kaum für möglich gehalten. Noch am 29. Spieltag lag der Verein auf Rang sechs - sieben Punkte hinter dem Tabellen-Dritten. Dann startete der HSV am Ostersamstag eine Siegesserie von vier Dreiern in Folge - zuletzt vielumjubelt gegen Hannover 96.
Im Gegensatz zu den beiden anderen Traditionsvereinen dümpelt der Bundesliga-Dino allerdings schon seit vier Jahren in der 2. Bundesliga herum. Als letztes Bundesliga-Gründungsmitglied war Hamburg in der Saison 2017/18 erstmalig abgestiegen und hatte in den folgenden drei Spielzeiten jeweils nur den undankbaren vierten Platz erreicht.
Auch in dieser Saison hatte man den Europapokalsieger der Landesmeister von 1983 bereits abgeschrieben. Doch nun behält man in der Hansestadt unter Trainer Tim Walter die Nerven, steckt Niederlagen besser weg. Mit einem Sieg im Saisonfinale bei Hansa Rostock hat der HSV den Relegationsplatz sicher, möglicher Gegner wäre dann der VfB Stuttgart.
Bei einem Remis könnte aber Darmstadt 98 mit einem Sieg vorbeiziehen. Sollten allerdings Bremen verlieren und der HSV gewinnen, ist sogar noch der direkte Aufstieg ohne den Umweg über die Relegation möglich. Und so kann am kommenden Sonntag (15. Mai) gelingen, was der HSV in seiner gesamten Fußball-Historie noch nie geschafft hat: der Aufstieg in die Bundesliga.