Schämen für Pegida
18. Oktober 2015Zwei Tage wollen Bill und Sue aus Denver/Colorado in Dresden bleiben. Hinter ihnen liegen ein paar schöne Tage in Berlin, die Hauptstadt hat den beiden Amerikanern unglaublich gut gefallen. So bunt sei alles, so liberal, schwärmen sie auf der Bahnfahrt Richtung Sachsen. Von Dresden hätten sie ja nicht so Gutes gehört. Da würden doch immer so viele Nazis demonstrieren, oder? Sue kann ihre Bestürzung nicht verbergen, als sie hört, dass an diesem Montag sogar eine besonders große Demonstration geplant ist.
Am 20. Oktober 2014 sind die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" zum ersten Mal auf die Straße gegangen. Der erste Jahrestag soll gefeiert werden. Allerdings haben die Behörden lediglich eine Kundgebung genehmigt, der sonst übliche "Spaziergang" durch die Stadt ist verboten. Jetzt will man sich um 18.30 Uhr auf dem Theaterplatz vor der Semperoper treffen. Pegida-Chef Lutz Bachmann hat dazu zahlreiche Redner aus dem europäischen Ausland angekündigt.
Von vier Seiten zum Theaterplatz
Eins ist sicher: Es wird wohl ziemlich laut werden. Denn nicht nur Pegida zieht es an diesem Montagabend in die Dresdner Innenstadt, auch die Gegenseite macht mobil. Unter der Überschrift "Herz statt Hetze" hat ein breites Bündnis zu einem Sternmarsch aufgerufen. Ab 16 Uhr werden sich vier Züge mit Gegendemonstranten auf den Weg machen und – wenn die Polizei sie nicht stoppt – möglichst nah an die Pegida-Kundgebung heranrücken. "Wir wollen den Protest in Hör- und Rufweite tragen", sagt Michael Roth, Vorsitzender der Partei "Mensch Umwelt Tierschutz" in Sachsen. "Wir wollen so weit rankommen, dass die uns auch mitkriegen und wir Pegida mit Lärm stören und zeigen, es sind noch genug da, die das nicht mehr so hinnehmen wollen."
Roth, von Beruf 3D-Grafiker, macht sich "große Sorgen" um seine Heimatstadt Dresden. Fast täglich höre er von Angriffen auf Flüchtlingsheime. Es würden Steine fliegen und Feuerwerkskörper. "Es wird immer schlimmer und höchste Zeit, dass wir uns klar positionieren." Position beziehen, das heißt für ihn auch, sich um Flüchtlinge zu kümmern. Mit der Initiative "Dresden für Alle" und dem Netzwerk "Plauen miteinander" hat er an diesem Sonntag (19.10.) ein Willkommensfest vor dem Flüchtlingslager in der Dresdner Gutzkowstraße organisiert. "Wir wollen die Begegnung intensivieren, damit man sich nicht nur von Weitem im Supermarkt sieht, sondern die Menschen auch miteinander reden." Es gibt selbstgebackenen Kuchen, für die Kinder eine aufblasbare Hüpfburg, ein Clown bläst Seifenblasen in die Luft.
Musik verbindet
Zuerst kommen nur ein paar Männer aus dem mit Planen von der Außenwelt abgeschirmten Zeltlager, nehmen sich wortlos ein paar Stücke Kuchen und verschwinden wieder durch einen von Sicherheitspersonal bewachten Korridor zurück ins Heim. Doch nach und nach scheint sich herumzusprechen, dass auf dem Platz vor dem Zeltlager etwas los ist. Immer mehr Flüchtlinge scharen sich um Stände, Tische und Bänke und schließlich beginnen ein paar junge Männer, zu der arabischen Musik zu tanzen, die laut über den Platz wummert.
Um die Tanzenden bildet sich ein Kreis Zuschauer, ein Flüchtling nimmt ein blondes, kleines Mädchen auf die Schultern und tanzt mit ihm. Das Kind hat sichtlich Spaß. Die Musik schafft eine Verbindung, wo Worte fehlen. Denn die Sprachbarriere ist zu groß, als dass es vor dem Flüchtlingsheim zu längeren Gesprächen kommen könnte.
Einer, der helfen kann, ist Latof. Der 32-jährige Syrer lebt seit elf Monaten in Deutschland und hat bereits vier Monate einen Intensivkurs Deutsch besucht. Jetzt wendet er die neue Sprache an und dolmetscht zwischen den Flüchtlingen und den Besuchern des Willkommensfestes. Eigentlich dürfte Latof gar nicht in Dresden sein, denn er ist in Hamburg als Flüchtling registriert. Der Syrer besucht gerade deutsche Freunde. Martina Kappler und ihre Tochter Julia haben Latof in Hamburg kennengelernt und kümmern sich seitdem um ihn. Daher sucht der Syrer einen Weg, um nach Sachsen umziehen zu können.
Altlasten aus der DDR
Die deutsche Bürokratie macht das nicht gerade einfach, deswegen möchte Latof auch nicht auffallen und schon gar nicht fotografiert werden. Er ist Martina Kappler sehr dankbar, dass sie sich um ihn kümmert. Seine Deutschkenntnisse hätten sich in den letzten Wochen sehr verbessert, sagt er. In Syrien hat er ein Jahr lang Wirtschaftsinformatik studiert und ist danach Taxi gefahren. In Deutschland könnte er sich vorstellen, Busfahrer zu werden, um möglichst schnell finanziell auf eigenen Beinen zu stehen. Da sein syrischer Führerschein nicht anerkannt wird, muss er die Prüfung wiederholen, natürlich auf Deutsch.
Martina Kappler ist es wichtig, sich für die Flüchtlinge zu engagieren. Damit möchte sie auch ein Zeichen gegen die Ausländerhetze von Pegida setzen. "Ich denke, dass auch viel an der DDR-Vergangenheit liegt", erklärt sie das Verhalten der rechten Demonstranten. "Wir waren sehr abgekapselt, es gab wenig Ausländer und kaum Berührungspunkte und wir konnten ja auch nirgendwo hin." Menschen ihres Alters, die in der DDR aufgewachsen seien, hätten vielfach Angst vor allem Fremden und seien unsicher. "Viele wissen nicht, wie man damit umgehen soll."
Politiker sollen Stellung beziehen
Die Dresdnerin Kerstin Münch hat dafür wenig Verständnis. Sie ärgert sich sehr darüber, dass ihre Heimatstadt so in Verruf gekommen ist und es bereits Flüchtlinge gibt, die nicht nach Sachsen kommen wollen, weil sie Angst haben. Mit ihrem Mann Karl Stäbler, einem gebürtigen Stuttgarter will Münch am Montag zur Demonstration gehen. "Wir wollen ein Zeichen gegen Pegida setzen." Sie habe zwar "ein bisschen Angst, dass irgendjemand gewalttätig" werde. "Aber ich werde trotzdem hingehen."
Es könne nicht sein, dass ein paar Pegida-Demonstranten weltweit ein Meinungsbild bestimmen würden, das einfach nicht stimme, schimpft Karl Stäbler. "Das sind ein paar Dummköpfe, die meinen, sie müssten eine bestimmte Situation – jetzt im Moment sind es die Flüchtlinge – ausnützen für ihre Zwecke. Das kann man nicht akzeptieren und da muss man einfach aufstehen." Der Dresdner Bernd Schreiber kann dem nur zustimmen. 65 Jahre ist er alt und zählt sich zur "bürgerlichen Mitte", wie er sagt. "Ich schäme mich für die Leute, die dort mitlaufen bei Pegida und Unsinn von sich geben. Da frage ich mich immer, ob die eigentlich überlegen, wem sie da hinterher laufen und was sie eigentlich sagen."
So wie Münch, Stäbler und Schreiber denken übrigens immer mehr Dresdner. Das zeigt auch eine Kampagne, die auf Twitter unter dem Hashtag #Ich bin Dresden zu verfolgen ist.