1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Es wird immer absurder"

Juri Rescheto17. August 2015

Die ukrainische Kampfpilotin Nadija Sawtschenko ist seit 2014 in Rostow am Don inhaftiert. Sie ist wegen Mordes an zwei russischen Journalisten angeklagt. Ihr Anwalt Ilja Nowikow erklärt, wie der Prozess ausgehen könnte.

https://p.dw.com/p/1GFc5
Die ukrainische Pilotin Sawtschenko steht vor Gericht in Moskau (Foto: REUTERS/Maxim Zmeyev)
Bild: Reuters/M. Zmeyev

Deutsche Welle: Herr Nowikow, wie weit ist der Prozess?

Ilja Nowikow: Ich habe am 30. Juli, als die vorläufigen Anhörungen stattfinden sollten, den Antrag auf die Verlegung des Gerichtsprozess nach Moskau gestellt. Ich dachte, der Antrag wird in fünf, sechs Tagen bearbeitet, aber bisher gab es keine Antwort. Die Richter pochen in diesem Fall besonders auf die Einhaltung aller Formalitäten. Und so wurde der Antrag zuerst ins Ukrainische übersetzt. Dann wurden die zehn Tage abgewartet, die Sawtschenko hat, um Beschwerde gegen den Antrag einzulegen. Und das obwohl der Antrag von der Verteidigung eingereicht wurde und die Angeklagte von Anfang an damit einverstanden war. Diese Frist ist am 15. August abgelaufen. Jetzt wird das Gericht in Rostow entscheiden, ob der Prozess nach Moskau verlegt wird oder nicht.

Warum wollen Sie den Fall überhaupt nach Moskau holen?

Es gibt einen formellen Grund, warum der Fall in Rostow behandelt wird. Sawtschenko soll nach der Version der Ermittler die Grenze genau dort überquert haben. Wir dagegen gehen vom Prinzip der Sinnhaftigkeit aus. Dem Gesetz nach darf ein höher stehendes Gericht die Verlegung des Falls veranlassen, wenn nicht alle Beteiligten in der Region wohnen. In unserem Fall wohnten weder die Opfer in Rostow, noch die Zeugen oder die Experten. Rostow ist der schlechteste Platz in Russland für einen solchen Prozess. Das ist eine kleine russische Grenzstadt, eine Etappenstadt für alle, die in den Krieg ziehen wollen oder zurück aus dem Krieg kommen.

Ende Juli bei den vorläufigen Anhörungen wurde dort die höchste Sicherheitsstufe ausgerufen. Warum soll Russland diese hohen Kosten tragen? Dabei besteht trotzdem die Gefahr, dass einer der Aktivisten der so genannten Volksrepublik Luhansk die Familie von Sawtschenko angreift. Sie wird doch nicht rund um die Uhr überwacht. Außerdem ist Rostow viel schlechter für die Presse erreichbar, besonders für die ausländischen Journalisten. Der Saal dort ist sehr klein, die Stadt weit entfernt. Trotzdem glaube ich nicht, dass das Gericht meinem Antrag statt gibt und den Fall nach Moskau holt.

Der Rechtsanwalt Ilja Nowikow (Foto: Yulia Vishnevetskaya/DW)
Rechtsanwalt Ilja NowikowBild: DW/Y. Vishnevetskaya

Sawtschenko wird des Todes zweier russischer Journalisten beschuldigt. Sie haben neulich gesagt, dass es ein Video gibt, das Sawtschenko in der russischen Gefangenschaft exakt in dem Moment zeigt, in dem die Journalisten beschossen wurden. Außerdem wurden Mobiltelefone erwähnt, die Sawtschenko hatte, weit entfernt vom Tatort. Hat das Gericht diese Beweise berücksichtigt?

Das Gericht hat sie noch nicht gesehen. Wir haben sie bekommen, als die Ermittlungen abgeschlossen wurden, die Beweise aber noch nicht aufgenommen werden durften. Das Gericht wird sie auf jeden Fall sehen. Wir werden die Überprüfung dieser Beweise durch Experten beantragen. Wenn das Gericht das ablehnt, und ich gehe davon aus, dass es genau das tut, dann ist das ein klares Signal, dass das Gericht voreingenommen ist. Wenn aber das Gericht die Überprüfung veranlasst, dann werden wir den Experten über die Schulter schauen, damit sie alles richtig machen. In diesem Fall werden sie unsere Schlussfolgerungen bestätigen.

Wann rechnen Sie mit dem Urteil?

Ich glaube, der Prozess wird nicht länger als zwei Wochen dauern. Wenn wir nächste Woche tatsächlich beginnen, könnte es Anfang September oder Ende August zu Ende sein.

Was ist Ihr Ziel?

Ilja Nowikow: Wir glauben nicht an den Freispruch. Wir kennen das russische Rechtsystem nur zu gut. In brisanten Fällen, wo Politik im Spiel ist, wird es ausschließlich von oben gelenkt. Wir glauben also nicht, dass uns gelingen wird, trotz allen Beweisen Sawtschenko freizusprechen. Aber unser Ziel ist es, dass der internationale Druck nach Verkünden des Urteils deutlich stärker wird - für Sawtschenkos Freilassung.

Wie beurteilen Sie die Argumente der Staatsanwaltschaft?

Ich kann sie kaum gut beurteilen. In den ersten Kommentaren war die Rede von irgendwelchen Angaben aus dem Telefon von Sawtschenko sowie von ihren eigenen Notizen. In den letzten Kommentaren verschwanden diese Angaben ganz. Der anfängliche Vorwurf "Mord an zwei Journalisten" mutierte zum "Illegalen Überqueren der Staatsgrenze". Das spricht doch deutlich dafür, wie schlecht es bei der Staatsanwaltschaft mit Beweisen aussieht. Es wird immer absurder.

Wie geht es Nadija Sawtschenko, wie sind die Umstände ihrer Haft?

Gesundheitlich geht es ihr gut. Sie ist munter. Es gefällt ihr hier im Süden besser als in Moskau. Hier im Süden Russlands verstehen die Menschen Ukrainisch. Niemand versucht, sie wegen ihrer Nationalität zu diskriminieren. Sawtschenko wartet ungeduldig auf den Prozess, um öffentlich ihre Version zu erzählen. Wir, ihre Verteidiger, warten auch darauf.

Ilja Nowikow ist einer der Anwälte der in Russland inhaftierten ukrainischen Kampfpilotin Nadja Sawtschenko.