Prozess gegen ukrainische Militärpilotin
30. Juli 2015Seit rund einem Jahr appellieren die Ukraine, westliche Spitzenpolitiker und internationale Organisationen wie der Europarat und das EU-Parlament an Russland, Nadija Sawtschenko freizulassen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel soll bei Präsident Wladimir Putin ein Wort eingelegt haben. Es nutzte nichts. Seit Ende Juli befindet sich die ukrainische Militärpilotin und Kämpferin in der südrussischen Region Rostow-am-Don, nicht weit von der Grenze zur Ukraine. Dort wird ihr der Prozess gemacht, der mit einer Vorverhandlung hinter verschlossenen Türen begonnen hatte.
Mordvorwurf hinzugefügt
Sawtschenko ist derzeit der prominenteste von mehr als einem Dutzend ukrainischer Häftlinge, die nach Angaben des ukrainischen Außenministeriums "aus politischen Gründen" in Russland festgehalten werden. Auch die renommierte russische Menschenrechtsorganisation "Memorial" stufte Sawtschenko als "politischen Häftling" ein und forderte ihre Freilassung.
Zunächst beschuldigte die russische Justiz die 34-jährige ukrainische Berufssoldatin der Beihilfe zum Mord während des Konflikts in der Ostukraine. Wenige Monate vor Prozessbeginn wurde die Anklage jedoch verschärft und durch einen Mordvorwurf ergänzt. Auch ein dritter Anklagepunkt ist neu: Sawtschenko soll illegal die ukrainisch-russische Grenze passiert haben. Vor dem Hintergrund der schweren Vorwürfe rechnen ihre Anwälte mit einer Haftstrafe von mehr als zehn Jahren. Das Höchstmaß wäre 25 Jahre Gefängnis.
Heimlich über die Grenze gebracht?
Im Sommer 2014 quittierte Sawtschenko, eine ausgebildete Militärpilotin, ihren Armeedienst und kämpfte im ukrainischen Freiwilligenbataillon "Aidar" gegen prorussische Separatisten im ostukrainischen Gebiet Luhansk. Russische Ermittler werfen ihr vor, Mitte Juni der ukrainischen Armee den Aufenthalt einer Gruppe prorussischer Kämpfer mitgeteilt zu haben. Bei einem Beschuss in der Nähe von Luhansk starben mehrere Menschen, darunter zwei russische Journalisten. Wegen ihres Todes wird die Ukrainerin nun angeklagt.
Sawtschenko bestreitet jegliche Schuld. Sie sei von prorussischen Separatisten gefangengenommen und heimlich über die Grenze in die südrussische Stadt Woronesch gebracht worden. Dort tauchte sie in einem Untersuchungsgefängnis im vergangenen Sommer wieder auf und wurde später nach Moskau gebracht.
"Heldin der Ukraine" und Parlamentsabgeordnete
In der Ukraine wird Sawtschenko seit mehr als einem Jahr als Heldin und Märtyrerin gefeiert. Präsident Petro Poroschenko verlieh ihr im März die Auszeichnung "Heldin der Ukraine". In Anlehnung an den US-Spielfilm "Akte Jane" wird sie in Medien als eine tapfere Soldatin und Kämpferin dargestellt.
Sawtschenko ist eine der wenigen Frauen in der ukrainischen Luftwaffe. "Eigentlich wollte sie eine Militärjournalistin werden", erzählte ihre Mutter, Maria Sawtschenko, in einem Gespräch mit der Deutschen Welle. Doch dafür habe das Geld nicht gereicht und ihre Tochter sei Berufssoldatin geworden. Als Pilotin eines Kampfhubschraubers vom Typ Mi-24 war Sawtschenko unter anderem im Irak-Einsatz 2004 und 2005, als sich die Ukraine an die Seite der von den USA angeführten Koalition gestellt hatte.
Außer Appellen von Politikern gab es zwei Versuche, Sawtschenkos Freilassung durchzusetzen. Im Oktober 2014 wurde sie ins ukrainische Parlament gewählt. Die Vaterlandspartei der ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko setzte Sawtschenko an die Spitze ihrer Wahlliste. Kritiker warfen jedoch Timoschenko vor, Sawtschenkos Popularität benutzt zu haben, um die eigenen sinkenden Beliebtheitswerte aufzubessern. Die Timoschenko-Partei jedenfalls nominierte Sawtschenko als Delegierte in die Parlamentarische Versammlung des Europarates. Als solche genießt sie Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung. Doch Russland ließ sich davon nicht beeindrucken.
Kiew hofft auf Austausch nach Gerichtsurteil
Zuletzt hoffte die Ukraine, Sawtschenko im Rahmen des im Februar unterzeichnet Minsker Abkommens zwischen der Ukraine und den prorussischen Separatisten freizubekommen. Denn das Abkommen sieht eine Freilassung aller Gefangenen vor. Doch Moskau sagte nein.
Beobachter gehen deshalb davon aus, dass Moskau Sawtschenko in einem Schauprozess hart bestrafen möchte, ähnlich wie im Fall der politischen Punk-Band "Pussy Riot" im Jahr 2012. Viele erinnern sich auch an die Prozesse gegen den Kreml-Kritiker und Ölmagnaten Michail Chodorkowski, der erst nach 10 Jahren Haft freigelassen wurde. Sawtschenko dürfte eine ähnlich hohe Strafe bekommen.
Die Ukraine hofft, dass Russland Sawtschenko nach dem Gerichtsurteil amnestiert und freilässt. Das deutete auch der russische Außenminister Sergej Lawrow im April an. Die Chancen auf eine Freilassung Sawtschenkos sind aus Kiews Sicht jedenfalls gestiegen. In der Ukraine wird spekuliert, dass man sie gegen zwei russische Offiziere austauschen könnte, die im Osten der Ukraine gefangengenommen wurden. Beide sitzen in Kiew in Untersuchungshaft und warten auf ihren Prozess.