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Saudi-Arabien: Zielland für pakistanische Arbeitsmigranten

27. Dezember 2023

Wegen der unsicheren Wirtschaftslage im eigenen Land zieht es pakistanische Migranten nach Saudi-Arabien. Viele von ihnen sind ungelernte Arbeitskräfte. Einfach ist ihre Lage nicht.

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Ausländische Arbeiter auf einer Baustelle in Riad
Ausländische Arbeiter auf einer Baustelle in RiadBild: FAYEZ NURELDINE/AFP

Saudi-Arabien ist das Ziel vieler Arbeitsmigranten aus Pakistan. Rund 2,64 Millionen von ihnen arbeiten in dem Königreich, jährlich überweisen sie rund fünf Milliarden US-Dollar (4,63 Milliarden Euro) in ihre Heimat. So berichtete es die Zeitung Gulf News im Mai dieses Jahres.

Die saudisch-pakistanischen Arbeitsmarktbeziehungen boomen, deutet die Zeitung mit Blick auf Vergleichszahlen an: So befanden sich selbst 2020, in Zeiten der Corona-Pandemie und der ihretwegen in den gesamten Golfstaaten aufgelegten Restriktionen, immer noch 2,2 Millionen pakistanische Gastarbeiter in Saudi-Arabien. Auf der Basis von Statistiken aus dem Jahr 2019 gab die Internationale Organisation für Arbeit an, dass knapp über elf Millionen der insgesamt damals rund 214 Millionen Pakistanerinnen und Pakistaner als Arbeitsmigranten im Ausland lebten. Ein beachtlicher Anteil von ihnen ist somit in Saudi-Arabien beschäftigt. Nicht einmal ein halbes Prozent dieser Migranten ist weiblich.

Die meisten pakistanischen Migranten sind auf legalem Weg, auf der Grundlage bilateraler Verträge, im Land. Das unterscheidet sie von Migranten, die auf illegale Weise ins Land gekommen sind oder dies versuchen - so wie etwa jene Hunderte von überwiegend äthiopischen Migranten, die in den vergangenen Jahren von saudischen Grenztrupps offenbar systematisch erschossen wurden, wie eine in diesem Jahr erschienene Dokumentation der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) berichtet. Der Grund, dass die meisten Pakistaner sich im Königreich legal aufhalten, ist vor allem geographischer Natur: Zwischen Pakistan und Saudi-Arabien liegt das breite Arabische Meer und ist daher auf illegalem Weg, etwa mit kleinen Schmuggel-Booten, nur schwer zu erreichen.

Keine oder geringfügige Ausbildung

Wie in den anderen Golfstaaten arbeiten die Pakistaner einer Studie der Internationalen Organisation für Arbeit zufolge vor allem in Bereichen, die für die boomenden Golfstaaten zentral sind: auf dem Bau (39 Prozent), in Handwerksberufen wie etwa als Zimmermann, Elektriker oder Maurer oder als Fahrer (29 Prozent). Ein Großteil dieser Menschen - 40 Prozent - ist ungelernt, während 46 Prozent eine bescheidene Ausbildung haben. Nur zwei Prozent der pakistanischen Migranten sind hochqualifiziert. Doch sie alle werden gebraucht angesichts der großen Pläne, die Saudi-Arabien - etwa mit der geplanten Zukunftsstadt NEOM - verfolgt. 

Digitale Projektion der geplanten saudischen Zukunftsstadt NEOM
Saudisches Prestigeobjekt: die Zukunftsstadt NEOMBild: Balkis Press/ABACA/picture alliance

Anfang Mai dieses Jahres hielt der saudische Attaché für Arbeit, Majed Bakr, in Pakistan einen Vortrag über die Gesetze, die das Königreich zum Schutz der Rechte der Arbeitnehmer eingeführt hat. In dasselbe Horn stieß auch der saudische Botschafter in Pakistan, Nawaf Al Malki. Die Regierung sei bestrebt, die Rechte der Arbeitsmigranten umfassend zu schützen, erklärte er.

Kritik an Situation der Wanderarbeiter

Aus Sicht von Joey Shea, Nahost-Expertin bei Human Rights Watch, ist die Lage der pakistanischen Wanderarbeiter dennoch weiterhin unbefriedigend. Zwar habe das Königreich auf dem Papier einige Reformen durchgeführt, sagt sie der DW. Sie gälten für alle Wanderarbeiter, doch gebe es große Lücken bei der Umsetzung. In der Praxis habe das Land immer noch eines der restriktivsten Kafala-Systeme.  Diese gesetzliche Bestimmung sieht vor, dass Gastarbeiter eng an einen saudischen-Staatsbürger gebunden sind. Er bürgt für sie, erhält aber im Gegenzug weitgehende Kontrolle über sie. 

"Es ist immer noch schwierig, den Arbeitsplatz zu wechseln oder das Land zu verlassen. Die Arbeitgeber haben weiterhin unkontrollierte Macht über die Arbeitnehmer. Flucht ist strafbar. Selbst wenn Arbeitnehmer Missbrauch entgehen wollen, können die Arbeitgeber den Arbeitnehmern falsche Anklagen wegen Flucht vorwerfen, wodurch sie dem Risiko einer Abschiebung, Inhaftierung und Ähnlichem ausgesetzt sind." Untersuchungen von Human Rights Watch in den Golfstaaten hätten gezeigt, dass Arbeitgeber falsche Darstellungen von Konflikten einreichten, um ihren gesetzlichen Verpflichtungen zur Zahlung von Löhnen oder zur Bereitstellung von Verpflegung und Unterkunft zu entgehen.

Wie andere Arbeitnehmer zahlten auch Pakistaner Vermittlungsgebühren für Jobs in Saudi-Arabien, deren Rückzahlung Jahre dauern kann, so Shea. "Im Vergleich zu Staatsangehörigen anderer Herkunftsländer mit Migrationshintergrund müssen Pakistaner mit sehr hohen Rekrutierungsgebühren rechnen, die sie durch informelle Kreditaufnahme zu hohen Zinssätzen oder die Verpfändung von Land, Haus oder Schmuck finanzieren." Darum seien Wanderarbeiter bereits bei ihrer Ankunft in Saudi-Arabien möglichem Missbrauch ausgesetzt. "Wenn sie dann Opfer weitverbreiteter Missbräuche wie Lohndiebstahl und andere Vertragsverletzungen werden, haben sie noch größere Schwierigkeiten, diese Kredite zurückzuzahlen", so Shea gegenüber der DW.

"Alle wollen raus"

Dennoch zieht es viele Pakistaner weiterhin in das saudische Königreich. "In letzter Zeit ist ein enormer Anstieg der Zahl der Menschen zu verzeichnen, die wegen der unsicheren, hochinflationären Wirtschaft, der steigenden Arbeitslosigkeit sowie des zwanghaften und instabilen politischen Klimas das Land verlassen wollen. Ihr Ziel ist es, ihre Lebensgrundlage zu verbessern", heißt es in einem Artikel der pakistanischen Tageszeitung "The Dawn" vom Juli dieses Jahres. "Alle wollen raus", zitiert das Blatt den Dokumentarfilmer Hassan Zaidi, der den Migranten auf vielen Routen gefolgt ist.

Die Gründe für das schwache Wirtschaftswachstum seien vielfältig, heißt es in einer Analyse des dem deutschen Wirtschaftsministerium angeschlossenen Informationsdienstes Germany Trade and Invest (GTAI). Ein Teil gehe auf aktuelle Entwicklungen zurück, so etwa die durch den russischen Angriff auf die Ukraine gestiegenen Energiepreise. Zudem kam es im vergangenen und auch in diesem Sommer zu starken Überschwemmungen, die weite Teile des Landes unter Wasser setzten. Der Schaden belief sich Schätzungen zufolge auf rund 40 Milliarden US-Dollar. Zugleich verliert die pakistanische Rupie seit Jahren an Wert. Erhielt man im Jahr 2017 für 1000 Rupien noch 8,91 Euro, waren es im April 2023 nur noch 3,19 Euro. Die Inflationsrate beträgt im laufenden Jahr knapp 20 Prozent. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 6,4 Prozent. Auch der religiös motivierte Terrorismus belastet das Leben vieler Menschen.

Kinder in einem Slum in Islamabad
Armut: Kinder in einem Slum in IslamabadBild: Ismat Jabeen/DW

Vor allem jüngere Pakistaner hätten Schwierigkeiten, eine angemessene Anstellung zu finden, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und ihre Familien zu ernähren, sagt Niels Hegewisch, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Islamabad, im DW-Interview. "Die wirtschaftliche Situation hat sich gerade in den letzten Monaten noch einmal verschärft. Und derzeit sieht es nicht so aus, als würde sie sich in den nächsten Monaten oder Jahren verbessern. Das animiert viele Menschen dazu, ihr Glück außerhalb des Landes zu suchen."

Unterschiedliche Erfahrungen

Fragt man nach unter derzeit in Saudi-Arabien lebenden pakistanischen Gastarbeitern, fällt eines auf: Viele von ihnen wollen sich nicht äußern, da sie um ihren Arbeitsplatz fürchten. 

Muhammad Tahir aus der Provinz Khyber Pakhtunkhwa hingegen möchte sprechen. Er lebe seit 2015 in Saudi-Arabien, sagt er der DW. In Erinnerung sind ihm die Unregelmäßigkeiten bei der Rekrutierung geblieben. "Personen, die an Gelbsucht oder anderen Krankheiten leiden, dürfen eigentlich nicht ins Königreich reisen. Zahlt man aber den Kontrolleuren einen gewissen Betrag, ist von diesen Einschränkungen keine Rede mehr."

Ein Problem in Saudi-Arabien seien die beruflichen Einschränkungen, so Tahir. Wer etwa einen Job als Fahrer habe, dürfe nur diesen und keinen anderen ausüben. Wenn man seinem Arbeitgeber aber 4000 bis 5000 Rial (knapp 1000 bis 1250 Euro) zahlt, kann man dann doch in einem anderen Job arbeiten. Auch sei es schwierig, sich selbständig zu machen. "Will man zum Beispiel mehr Geld verdienen und darum ein kleines Unternehmen eröffnen, muss man einen saudischen Staatsbürger mit einbeziehen. Auch dafür fallen dann Gelder an."
 
Ein anderer Arbeiter - seinen Namen möchte er aus Sicherheitsgründen nicht nennen - berichtet von den rechtlichen Schwierigkeiten der Migranten. "Es ist schwierig, etwas gegen seinen Arbeitgeber zu sagen oder sich bei der Regierung zu beschweren, denn die rechtliche Position der Arbeiter ist nicht stark. Sie werden überwacht, und ihre Anrufe können zurückverfolgt werden."
 
Der 45 Jahre alte Shahid Mahmood ging 2011 nach Saudi-Arabien und kehrte während der Corona-Pandemie zurück in seine Heimat. "Ich habe dort als Fliesenleger gearbeitet", sagt er der DW.  "Ich habe 100 Saudi-Riyal pro (knapp 25 Euro) am Tag verdient." Seine Situation war gut, berichtet Mahmood, denn sein Arbeitgeber verhielt sich korrekt. "Ich hatte einen acht-Stunden-Tag. Allerdings hatten wir keine Lebensversicherung und konnten auch keine Gewerkschaft gründen." Hätte er das getan, hätte er das Land verlassen müssen, sagt er. "Proteste und Gewerkschaften sind in Saudi-Arabien undenkbar."

Mehrere Personen auf einem Schlauchboot inmitten von Wassermassen nach den Überschwemmungen in Pakistan vom Sommer 2022
Land unter: Überschwemmungen in Pakistan, August 2022Bild: Asif Hassan/AFP/Getty Images

Kritik an Arbeitsgesetzen 

In seinen Erfahrungen mit den Geldsummen, die er an saudische Bürger zu überweisen hatte, spielt Muhammad Tahrir auf das Kafala-System an. Diese dokumentiert die schwierige Lage der südostasiatischen Migranten. "Den Arbeitern fehlt ein Sicherheitsnetz, das sie in Krisenzeiten schützt, soziale Sicherheit und eine auf ihr Wohlergehen ausgerichtete Politik", schreibt S. Irudaya Rajan, Vorsitzender des International Institute of Migration and Development (IIMAD) in Indien, in einem Dossier der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung. "Sie genießen nur wenige oder gar keine Arbeitsrechte. Die Pandemie, die Schließung von Unternehmen, die Verschärfung der Grenzkontrollen und der ausbeuterische Charakter des Kafala-Bürgschaftssystems haben ihr Elend noch vergrößert", so Irudaya Rajan, der auch für die Global Knowledge Partnership on Migration and Development (KNOMAD), eine Initiative der Weltbank, arbeitet.

Dass der Aufenthalt in Saudi-Arabien spezifische Probleme mit sich bringen kann, deutet auch eine Informationsbroschüre der Internationalen Organisation für Arbeit (ILO) an. Die Migranten hätten verbriefte Rechte, gibt die ILO als Information an potentielle Arbeitsmigranten weiter und nennt auch Anlaufadressen, sollten Arbeitgeber diese Rechte missachten. Dennoch, heißt es in der Broschüre, sollten sich die Migranten auch selbst wappnen. "Bleiben Sie in regelmäßigem Kontakt mit Ihrer Familie", rät sie ihren Lesern. "Teilen Sie Ihrer Familie den Namen, die Telefonnummer und die Adresse Ihres Arbeitgebers mit. Vereinbaren Sie, dass sie sich an die örtlichen Behörden wenden müssen, wenn sie innerhalb einer bestimmten Zeitspanne nichts von Ihnen hören."

"Ein attraktives Ziel"

Trotz aller Schwierigkeiten habe Saudi-Arabien einen sehr guten Ruf in Pakistan, sagt Niels Hegewisch. "Das Königreich gilt als eines der Länder, in denen man auch in einfachen Tätigkeiten im Vergleich zu Pakistan gut bezahlte Jobs finden und in Wohlstand leben kann. Insofern gilt es vielen potentiellen Migranten als attraktives Ziel." Das liege auch daran, dass die gerade von europäischer Seite kritisierten Zustände wie etwa die Arbeitssicherheit von den Migranten ganz anders bewertet würden. "Die Migranten rekrutieren sich vor allem ja aus Menschen, die auch in Pakistan meist in Armut oder nahe der Armut leben. Und wenn man sich die Arbeitsbedingungen auf Baustellen oder in anderen Bereichen in geringqualifizierten oder gar nicht qualifizierten Jobs anschaut, sind die Arbeitsbedingungen in den Golfstaaten und in Pakistan durchaus vergleichbar."

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DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika