Pakistans beständiges Terrorismus-Problem
3. Februar 2023"Ich habe keinen Zweifel, dass der Terrorismus Pakistans dringlichste nationale Herausforderung auf dem Gebiet der Sicherheit ist", so der pakistanische Premierminister Shehbaz Sharif auf Twitter nach dem Selbstmordanschlag in einer Moschee auf einem besonders gesicherten Polizeigelände in der Zwei-Millionen-Stadt Peshawar. Die allermeisten der rund 300 anwesenden Gläubigen und der über 100 Todesopfer waren dementsprechend Polizisten.
Auch der pakistanische Armeechef Asim Munir zeigte sich entschlossen. Taten wie diese könnten die Entschlossenheit der Nation nicht erschüttern. Vielmehr stärkten sie die Entschlossenheit der Pakistanis, im laufenden Krieg gegen den Terror erfolgreich zu sein und keinerlei Toleranz gegenüber terroristischen Organisationen zu zeigen, sagte der General vor einer Versammlung pakistanischer Militärs.
Zwar bekämpft Pakistan seit Jahren den islamistischen Terrorismus, insbesondere jene Gruppen, die sich 2007 zur Dachorganisation Tehrik-i-Taliban Pakistan (Bewegung der pakistanischen Taliban, TTP) zusammengeschlossen haben. Doch die Erfolge sind trotz zahlreicher Verhaftungen und getöteter Extremisten im Zuge militärischer Operationen bislang überschaubar. Dafür gebe es eine ganze Reihe von Gründen, sagt Niels Hegewisch, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Islamabad. Pakistan sein ein explizit islamischer Staat, der das Bekenntnis zur Religion bereits in seinem Namen trägt: Islamische Republik Pakistan. "Der Islam steht also am Anfang der pakistanischen Staatsgründung und ist darum auch ein überragender Teil der nationalen staatlich gepflegten Identität", so Hegewisch im DW-Interview.
Mit dieser Identität ist der Staat lange Zeit zurückhaltend umgegangen. Eine extremistische Auslegung des Islam war ihm ebenso fern wie dem Großteil der Bevölkerung. Doch unter der Militärregierung von Mohammed Zia ul-Haq änderte sich ab 1977 dieser Kurs. In Reaktion auf die als traumatisch empfundene Abspaltung des bisherigen Ost-Pakistans, das aus dem Krieg im Jahr 1971 als der eigenständige Staat Bangladesch hervorging, setzte der General auf eine konsequente Islamisierung des Staats wie auch auf eine Hinwendung zum reichen Ölstaat Saudi-Arabien. Das hatte zur Folge, dass der Wahhabismus, eine besonders strenge Auslegung des Islams und Staatsreligion Saudi-Arabiens, in Pakistan an Einfluss gewann.
Diese fundamentalistischen Strömungen habe sich der pakistanische Staat für seine eigenen Interessen zunutze gemacht, sagt Südasien-Experte Christian Wagner von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
Er verweist auf die doppelbödige Politik der pakistanischen Staats- und Armeeführung: Während sie aus außenpolitischen Motiven die Taliban gefördert habe, um sich seit den 1990er Jahren Einfluss in Afghanistan zu sichern, habe sie deren Ableger im eigenen Land bekämpft. Nach ihrer Machtübernahme der Taliban im August 2021 haben die pakistanischen Taliban ihre Angriffe auf Pakistan deutlich verstärkt. "Seit vielen Jahren wird in Pakistan darüber diskutiert, ob die Armee mit ihrer Unterstützung der Taliban nicht einen Geist aus der Flasche gelassen hat, den sie nun nicht wieder hineinbekommt", so Wagner.
Religion als Zuflucht unter schwierigen Bedingungen
Zu den historischen Weichenstellungen kommen ökonomische und kulturelle Probleme. Pakistan setzt sich aus unterschiedlichen ethnischen, sprachlichen und kulturellen Gruppen zusammen. "Umso stärker wirkt als einigendes Band die Religion", sagt Hegewisch. "Sie gibt Antwort auf die Frage nach der Identität, der persönlichen ebenso wie der kollektiven. Gerade Personen aus gebildeten Schichten sind auf der Suche nach kultureller Verankerung. Setzen sie dabei auf die Religion, kann sie das auch in die religiöse Radikalisierung führen."
Pakistan ist ein armes Land, das zudem stark unter dem Klimawandel leidet. Dessen Auswirkungen zeigten sich etwa im Sommer vergangenen Jahres, als es zu großflächigen, in dieser Dimension bislang unbekannten Überschwemmungen kam und über 30 Millionen Bürger ihre Wohnstätten verlassen mussten. Die Katastrophe verschärfte die ökonomische Not großer Bevölkerungsteile, gut ein Drittel lebt unterhalb der Armutsgrenze, zusätzlich. Diese prekäre Existenz der kommt den um kontinuierlichen Nachwuchs bemühten Taliban äußerst gelegen.
Besonders erfolgreich bei der Rekrutierung seien sie im Grenzgebiet zu Afghanistan, sagt Niels Hegewisch. "Dort ist das pakistanische Bildungssystem oftmals kaum präsent. Bildung wird durch religiöse Schulen, die so genannten Medresen, vermittelt." Zwar seien auch diese mehrheitlich nicht radikal. "Aber einige bieten radikalen Vertretern durchaus eine Plattform. Deren Auftritte können einige Schüler dann in eine Radikalisierungskarriere führen." Dies gelte umso mehr, als dass die Extremisten ihnen häufig auch Perspektiven böten, so dass die Schüler etwa zum Unterhalt beitragen könnten. "Fundamentalistische religiöse Gruppen wie etwa die Taliban erhalten aus diesem Umfeld einen ständigen Zulauf motivierter, militanter Kämpfer", schreiben die Südasien-Experten Katja Mielke und Conrad Schetter in ihrem Buch "Pakistan. Land der Extreme." Mit Hilfe dieses Nachwuchses setzen die den pakistanischen Staat unter Druck.
Zwar habe der pakistanische Staat begonnen, den Extremisten durch Bildungs- und Sozialprograme entgegenzuwirken, sagt Christian Wagner. Diese Programme stünden aber noch am Anfang, seien allerdings dringend nötig. "Denn die TTP hat ja durchaus den Anspruch, den pakistanischen Staat zu zerstören und an dessen Stelle ein eigenes Regime zu errichten. Nachdem dies in Afghanistan gelungen ist, sehen sie sich ermutigt, dies nun auf pakistanischem Staatsgebiet zu versuchen."