Saudischer Kronprinz sichert seine Macht ab
3. September 2020Korruptionsbekämpfung oder Ausschaltung potentieller Rivalen? Anfang dieser Woche hat Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS), der starke Mann des Landes, wieder einmal zwei Mitglieder des Königshauses auf Grundlage von Korruptionsvorwürfen entlassen.
Der erste Beschuldigte ist Prinz Fahd bin Turki Abdulaziz Al Saud, Kommandeur der im Jemen kämpfenden Streitkräfte der saudisch angeführten Militärkoalition. Der zweite ist dessen Sohn, Prinz Abdulaziz bin Fahd, stellvertretender Gouverneur der Provinz al-Dschauf im Norden Saudi-Arabiens.
Die Entlassungen basieren auf einer Anweisung von MbS an die saudische Anti-Korruptionsbehörde Nazaha. Diese soll auf Geheiß des Kronprinzen nun "verdächtige Finanztransaktionen im Verteidigungsministerium" untersuchen, berichtet unter anderem der katarische Nachrichtensender Al-Jazeera.
Nie zurück gezahlte Gelder
Eine massive Anti-Korruptionskampagne hatte MbS bereits kurz nach seiner Ernennung zum Kronprinzen 2017 gestartet. Dafür gab es gute Gründe, die Korruption grassierte in dem Land. "New York Times"-Journalist Ben Hubbard, Autor einer im Frühjahr 2020 erschienenen Biographie Mohamed bin Salmans, nennt Beispiele: Mitglieder der Königsfamilie liehen sich Geld von saudischen Banken, ohne es jemals zurückzuzahlen. Prinzen erwarben als Berater ausländischer Investoren Grundstücke mit dem Insider-Wissen, dass diese bald als Bauland deklariert werden. Nachdem der Preis entsprechend gestiegen war, verkauften sie die Grundstücke gewinnbringend an den Staat zurück. Andere Prinzen agierten als juristische Paten für abhängige ausländische Arbeitnehmer, denen sie regelmäßige Beträge abknöpften, ohne eine nennenswerte Gegenleistung zu bieten.
Der spektakulärste Großeinsatz gegen die Korruption fand im November 2017 statt: Damals ließ MbS rund 350 Mitglieder der bisherigen Machtelite verhaften und im Ritz-Carlton-Hotel in Riad einsperren. Nach 15 Wochen kamen die meisten nach Zahlung enormer Geldsummen wieder frei.
Die Politik des Prinzen hat durchaus Erfolg und beschert seinem Land einen Imagegewinn: Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International stand Saudi Arabien 2017 noch auf Platz 57 (von insgesamt 180). Zwei Jahre später erreichte das Land bereits Platz 51 und steht in dem Ranking nun auf einer Stufe mit Ländern wie Italien, Ruanda und Malaysia.
Der Kronprinz und sein Vermögen
Allerdings gab es bei den Verhaftungen auch Auffälligkeiten und Ungereimtheiten, berichtet Hubbard. So wurden längst nicht alle korruptionsverdächtigen Mitglieder der politischen und wirtschaftlichen Elite verhaftet. Offenbar bestimmten zumindest teilweise auch Willkür oder Kalkül den Auswahl- und Entscheidungsprozess. Auffällig außerdem: Bei einigen Unternehmen, deren Besitzer verhaftet worden waren, hatte MbS höchstpersönlich zuvor als Anteilseigner einsteigen wollen.
Schon vorher hatten Kritiker im Ausland bemängelt, dass so gut wie keine Transparenz hinsichtlich der Finanzen des Kronprinzen selbst herrsche. Woher kamen die Gelder für seine rund 500 Millionen US-Dollar teure Jacht? Woher das Geld für das 300 Millionen Dollar teure Château Louis XIV nahe Paris? Woher stammten die 450 Millionen Dollar, die MbS vermutlich für ein Gemälde von Leonardo da Vinci ausgab? Den Eindruck, Transparenz gelte unter seiner Herrschaft nur für die Einkommen anderer, konnte MbS bislang nicht entkräften.
Ausschaltung von Rivalen
Offenbar wurde hingegen etwas anderes: Der Prinz duldet keinerlei Rivalen in seinem Umfeld. Nachdem er zum Kronprinzen ernannt worden war, musste MbS zunächst noch befürchten, dass Konkurrenten aus dem Königshaus auf Fehler lauerten, um ihm die Macht wieder streitig zu machen.
Mit der Aktion im Hotel Carlton-Ritz, das 2017 als Gefängnis diente, habe er viele seiner Rivalen jedoch politisch ausgeschaltet, so Hubbard: "Vorbei waren die Zeiten, als das Königreich über relativ unabhängige Machtzentren mit lukrativen Geschäften und damit verbundenen reichen Magnaten verfügte. Von nun an waren sie alle MbS unterstellt, der ihre Ressourcen nach Gutdünken in den Dienst seiner Pläne stellen konnte." Mit anderen Worten: Der Kronprinz regiert seitdem auch weitgehend unangefochten und zunehmend zentralistisch über die saudische Wirtschaft.
Der Kampf von MbS gegen die Korruption geht ebenso weiter wie der Kampf gegen potentielle Konkurrenten: Erst im März dieses Jahres verhafteten die Behörden auf Anweisung von MbS mehrere hochrangige Prinzen unter dem Vorwurf des Hochverrats, darunter enge Verwandte des Kronprinzen und seines Vaters König Salman.
Absicherung der Macht
Hintergrund solcher politischer Aufräum-Aktionen sind offenbar immer noch nicht völlig abgeschlossene Machtkämpfe im Königshaus: Wenn Kronprinz Mohammed bin Salman absehbar die Nachfolge seines Vaters König Salman antritt, wäre er der erste König der "neuen Generation" an der Staatsspitze - der Generation der Enkel also, die auf die Generation der Söhne von Staatsgründer Abd al-Aziz ibn al-Saud folgen würde. Die Position ist nicht nur politisch, sondern auch symbolisch von hoher Bedeutung.
Beobachter gehen zwar davon aus, dass das Rennen um die Nachfolge auch hinter den Kulissen längst, wie offiziell eingeleitet, zugunsten von MbS entschieden ist. Doch der Kronprinz hat sich binnen weniger Jahre viele Feinde gemacht - und muss sich weiter vorsehen, keine Fehler zu machen, die seinen eigenen Ambitionen schaden könnten. Deshalb arbeitet MbS weiter daran, seine Macht gegen unliebsame Konkurrenten zu festigen. In Teilen der Bevölkerung erwirbt er sich damit zudem das Image, beherzter als jeder seiner Vorgänger gegen Korruption vorzugehen.
Mann mit zwei Gesichtern
Insbesondere in der jüngeren Generation erwirbt sich der 34 Jahre alte Thronfolger damit große Sympathiepunkte - zumal viele junge Saudis auch weiterhin große Hoffnungen in seinen Liberalisierungskurs setzen. Dieser hat den Frauen des Landes immerhin das Autofahren ermöglicht, die verhasste Religionspolizei entmachtet und westliche Popstars auf saudische Entertainment-Bühnen katapultiert - all dies wäre in dem Königreich bis vor einem Jahrzehnt noch völlig undenkbar gewesen.
Doch es bleibt auch die andere Seite von MbS: Zahlreiche Menschenrechtsaktivisten - darunter viele Frauen - sitzen weiter in Haft. Es gibt Berichte über Folter. Hinzu kommt der schwerwiegende und kaum noch seriös auszuräumende Verdacht, MbS sei der heimliche Auftraggeber für die Ermordung des Regime-kritischen Journalisten Jamal Khashoggi 2018 in Istanbul gewesen.