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Sanktionen sind nicht Russlands Hauptproblem

Andrey Gurkov29. Januar 2015

Russland steuert längst in eine schweren Rezession, da diskutiert die EU über neue Strafmaßnahmen gegen Moskau. Welche Rolle spielen die Sanktionen des Westens eigentlich?

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Symbolbild - eine Rubel-Münze vor dem Kreml (Foto: AFP)
Bild: Alexander Nenenov/AFP/Getty Images

Wenn in diesen Tagen europäische Medien darüber berichten, dass der russischen Wirtschaft wegen der westlichen Sanktionen und des Ölpreisverfalls eine schwere Rezession drohe, so haben sie zweifelsohne recht. Allerdings sind die ökonomischen Schwierigkeiten in Putins Reich weitestgehend hausgemacht. Die Strafmaßnamen des Westens, die wegen der aggressiven Ukraine-Politik Moskaus eingeführt wurden, haben diese strukturellen Probleme nur noch einmal verschärft.

Der Hauptgrund ist der Ölpreisverfall

So sieht es auch der russische Finanzminister Anton Siluanow. Bereits Ende November 2014 schätzte er, dass die Verluste Russlands wegen der "geopolitischen Sanktionen" etwa 40 Milliarden US-Dollar pro Jahr betragen könnten. Die Folgen dieser Maßnahmen seinen zwar beachtlich, aber dennoch "nicht so kritisch für den (politischen) Kurs und vielleicht auch für den Haushalt, wie die Preise für unsere Exportgüter" - also für Erdöl und Gas, dessen Preis der Staatskonzern Gazprom meistens an den des Öls koppelt.

Die jährlichen Verluste wegen des Verfalls der Ölnotierungen taxierte der Minister im November dagegen auf 90 bis 100 Milliarden US-Dollar. Zu dem Zeitpunkt hatte der mit großem Abstand wichtigste russische Exportartikel etwa 30 Prozent seines Wertes eingebüßt. Nur kurze Zeit später, als der Rückgang bereits mehr als 50 Prozent betrug, musste das Finanzministerium neu rechnen. Der Effekt des "äußeren Schocks", wie das billige Öl und die Sanktionen in Moskau neuerdings umschrieben werden, liege nun bei etwa 200 Milliarden Dollar, erklärte Anton Siluanow am 28. Januar vor dem Oberhaus des russischen Parlaments. "In erster Linie wirkt sich der Rückgang der Ölpreise aus, wir nehmen jetzt weniger Devisen ein", betonte der Minister.

Anton Siluanow, Finanzminister Russlands (Foto: Picture Alliance/dpa)
Finanzminister Siluanow: "In erster Linie wirkt sich der Rückgang der Ölpreise aus"Bild: picture-alliance/dpa

Auf den sinkenden Ölpreis ist auch der dramatische Rubelverfall Ende 2014 zurückzuführen, der zum spektakulärsten Vorboten der großen Krise wurde. Seither schwankt der Kurs übrigens ziemlich synchron mit den Ölnotierungen. Russlands Grundproblem besteht nämlich darin, dass seine politische Führung sich viel zu lange auf einen nie versiegenden Strom von Petrodollar verlassen und verblüffend wenig für die Modernisierung und Diversifizierung der heimischen Wirtschaft getan hatte.

Eine hausgemachte strukturelle Krise

Die begann schon ab Frühjahr 2013 zu schwächeln, was auch dem immer schlechter werdenden Investitionsklima geschuldet war. Bereits im Sommer 2014 waren rezessive Tendenzen allgegenwärtig - noch bevor der Ölpreis zum Sturzflug ansetzte und die EU von Einreisebeschränkungen und Kontosperrungen zu tatsächlichen Wirtschaftssanktionen überging.

"Die Sanktionen katalysieren die Entwicklung, sind aber nicht ihre Hauptursache", erklärte Rainer Seele, Präsident der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer und Chef der BASF-Tochter Wintershall, die seit mehr als zwei Jahrzehnten aktiv im Russland-Geschäft tätig ist. Der russische Wirtschaftsminister Alexej Uljukaew sprach in der Zeitung "Vedomosti" kürzlich von drei Krisen, die das Land gegenwärtig zu bewältigen habe: einer strukturellen, einer zyklischen und einer geopolitischen. Die Sanktionen stehen für ihn somit an dritter Stelle.

Und auch der Regierungschef Dmitri Medwedew betonte Ende Januar, Russland habe "eine ganze Reihe" großer eigener Probleme, die "nicht mit der äußeren Einflussnahme und nicht einmal mit den Veränderungen der Ölpreise zusammenhängen". Eines der Grundübel, so der ehemalige russische Präsident, bestehe darin, dass seit etwa 10-12 Jahren die Löhne und Gehälter im Land schneller gestiegen sind als die Produktivität.

Moskaus Gegensanktionen führen zu einer Preisexplosion

Die Bedeutung der EU-Wirtschaftssanktionen, die erst ein halbes Jahr alt sind, sollte also nicht überbewertet werden: Kuba, Nordkorea und der Iran leben seit Jahren und Jahrzenten unter viel härteren äußeren Bedingungen. Die meisten der am 1. August verhängten und am 12. September erweiterten Wirtschaftssanktionen der EU sind ohnehin ziemlich punktuell: Verboten ist beispielsweise die Lieferung von Waffen sowie von Ausrüstung für die Ölförderung in der Arktis oder aus Schiefergestein.

Eine alte Frau in einem Supermarkt in Moskau (Foto: RIA Novosti)
In Russland sind auch die Lebensmittelpreise stark gestiegenBild: picture-alliance/RIA Novosti/V. Astapkovich

Richtig schmerzhaft ist eigentlich nur der beschränkte Zugang zum europäischen Kapitalmarkt für einige große Staatsbanken und staatliche Öl- und Rüstungskonzerne. Allerdings sind gerade diese im Westen hochverschuldet und müssen in allernächster Zeit Milliarden-Kredite tilgen oder refinanzieren. Daher geht der Außenhandelschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) Volker Treier davon aus, dass "die Wirkung der dritten Sanktionsstufe der EU gegen Russland sich erst in diesem Jahr voll entfaltet".

Die Wirkung der Moskauer Gegensanktionen haben die russischen Verbraucher dagegen schon zur Genüge gespürt. Am 6. August 2014 verbot Wladimir Putin per Dekret den Import von Lebensmitteln und Agrarprodukten aus der ganzen EU. Dies, so der Plan, sollte den europäischen Bauern schmerzhafte Verluste zufügen und gleichzeitig der heimischen Landwirtschaft einen Schub geben. Diese hat aber gar nicht die Kapazitäten, um von solch einer protektionistischen Maßnahme zu profitieren. Das Ergebnis: Die Lebensmittelpreise schossen in die Höhe. Die Inflationsrate dürfte nach offiziellen Prognosen im Frühjahr 17 bis 20 Prozent erreichen. Doch schon im Januar nahm die russische Generalstaatsanwaltschaft Ermittlungen auf, weil sie bei einigen Waren Preissteigerungen von bis zu 150 Prozent festgestellt hatte.