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Literatur

"Sams"-Vater Paul Maar wird 80

Sabine Peschel
12. Dezember 2017

Mit dem "Sams" hat Paul Maar eine Figur erfunden, die fast jedes Kind kennt. Jetzt wird der Autor und Zeichner 80. Wir hatten das Vergnügen, kurz vor seinem Geburtstag mit ihm über seine vielen Spielfelder zu sprechen.

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Deutschland Kinderbuchautor und Sams-Erfinder Paul Maar
Bild: picture-alliance/dpa/G. Fischer

Paul Maar wurde am 13. Dezember 1937 in Schweinfurt geboren. Seit Anfang der 1970er Jahre ist er einer der beliebtesten und erfolgreichsten deutschen Kinder- und Jugendbuchautoren. Zu seinem 80. Geburtstag hat ihm sogar der Bundespräsident gratuliert: "Mit der Figur des 'Sams' haben Sie ein Wesen erschaffen, das auf märchenhafte Weise in die triste Alltagswelt des kleinen Mannes einbricht und Verwirrung stiftet", schrieb ihm Frank-Walter Steinmeier.  Ohne den Zeigefinger zu heben, mache Maar seine Leser auf die vielfältigen Gefahren und Widersprüche aufmerksam, die in der Welt vorhanden seien.

Herr Maar, am 13. Dezember feiern Sie Ihren achtzigsten Geburtstag. Ist das eine Schwelle für Sie? 

Ja, durchaus. Vor einem Vierteljahr ist meine Mutter gestorben. Sie wurde über hundert Jahre alt, wohnte immer noch in ihrer alten Wohnung, seit 72 Jahren, und starb friedlich in ihrem Bett, ohne dass sie jemals in ihrem Leben ein Krankenhaus von innen gesehen hat. Oder vielleicht nur ein Mal, als sie mich besucht hat, als ich im Krankenhaus war. Bis jetzt hat sie immer an der Spitze der Pyramide gestanden. Und plötzlich bin ich derjenige, der ganz oben steht. Man wird sich seiner Endlichkeit stärker bewusst.

Eine andere Frage: Wie geht es dem Sams?

(lacht) Ach, ich denke, dem Sams wird es immer gut gehen. Ich habe eigentlich noch nicht erlebt, dass es dem Sams mal schlecht geht.

In Ihrem neuen Sams-Band darf der freche Kerl mit der Schweineschnauze und den strubbeligen Haaren zum ersten Mal Weihnachten feiern. Warum erst jetzt?

Buchcover von "Das Sams feiert Weihnachten"
"Das Sams feiert Weihnachten" erschien 2017 im Verlag OetingerBild: Oetinger

Ich kam noch nie auf die Idee, dass ich das Sams auch mal Weihnachten feiern lassen könnte. Aber dann hat mich der Verlag ein bisschen verlockt, indem man mich gefragt hat: "Herr Maar, haben Sie eigentlich schon mal bemerkt: Es gibt von allen bekannten deutschen Kinderbuchautorinnen und -autoren mindestens ein Weihnachtsbuch! Warum gibt es eigentlich von Paul Maar keines? Haben Sie Angst, dass Sie dann zu sentimental oder zu rührselig werden?" "Na gut", sagte ich, "ich denk mal drüber nach. Also rührselig wird es ganz bestimmt nicht, denn ich schreibe kein normales Weihnachtsbuch, ich lasse das Sams Weihnachten feiern."

"Das Sams feiert Weihnachten" haben Sie als erstes Buch nicht selbst illustriert, sondern die Zeichnerin Nina Dulleck. Hat sich der kleine Rothaarige mit den Sommersprossen – oder, besser gesagt, den Wunschpunkten – verändert?

Er hat sich leider, muss ich fast sagen, ein bisschen verändert. Das war die Idee des Verlags, dass das Sams-Buch, wie man sagt, ein neues "Image", bekommen und mehr den heutigen Sehgewohnheiten der Kinder angepasst werden sollte. Man fand meine Illustrationen, die natürlich zum Teil noch aus den Siebziger Jahren stammten, als das erste Sams-Buch entstand, wohl ein bisschen zu altmodisch.

Ist das Sams jetzt weniger trotzig und angepasster?

Ja, das ist so. Es entspricht jetzt dem Kindchenschema, mit riesigen Augen, großem Kopf und kleinem Körper – bei mir war es ein bisschen struppiger und ruppiger. 

Sie haben eine Vielzahl von Figuren entworfen und neben den Sams-Geschichten auch noch 52 andere Bücher geschrieben. Wie erklären Sie sich den ungeheuren Anklang, den das Sams gefunden hat?

Ich kann es eigentlich selbst nicht so ganz genau erklären. Es hängt vielleicht zum einen damit zusammen, dass die Kinder den Witz der Geschichten lieben. Sie schreiben mir oft, die Sprüche des Sams – sie sagen nicht "Gedichte", sondern "Sprüche" – die seien so witzig. Dann ist auch das Thema Wünschen, glaube ich, bei Kindern sehr wichtig. Ich merke das auch bei den Kinderbriefen – ich bekomme sehr, sehr viele Kinderbriefe, und die Kinder schreiben mir oft von ihren eigenen Wünschen. Manchmal ist es auch ganz schwer, so einen Brief zu beantworten, wenn mir ein Mädchen zum Beispiel schreibt: "Wenn das Sams zu mir käme, ich weiß, was ich wünschen würde, ich würde mir wünschen, dass unser Hund wieder lebt." Oder, "dass meine Oma wieder denken kann".

Beantworten Sie die Kinderbriefe auch noch selber?

Ich beantworte alle handschriftlich. Wobei ich nicht immer einen Brief zurückschreibe. Ich habe da eine Postkarte, wo auf der Vorderseite das Sams in der Hängematte liegt, auf der Rückseite habe ich Platz für ungefähr zehn Zeilen. Aber das genügt den Kindern völlig. Die finden das einfach toll, dass sie eine Antwort bekommen von einem Autor, den sie gar nicht persönlich kennen.

Es gibt drei Sams-Filme. Wird noch einer hinzukommen?

Nein, ich denke nicht. Es ist auch immer schwieriger, einen Kinderfilm zu finanzieren. Damals, als das erste "Sams" gedreht worden ist, war es sehr viel einfacher. Da gab es nämlich überhaupt noch keine Kinderfilme, und deswegen hatte der erste Sams-Film fast zwei Millionen Zuschauer.

Filmstill von "Das Sams"
Im Juli 2017 kam der erste "Sams"-Film digital überarbeitet noch einmal in die KinosBild: picture-alliance/dpa/weltkino Filmverleih

Das "Sams" oder auch andere Bücher von Ihnen haben es schon vor Jahrzehnten in die Schule geschafft. Schon Ihr Erstling "Der tätowierte Hund" von 1968 wurde beliebte Schullektüre. Sind Sie darüber immer glücklich gewesen? Haben Sie nie befürchtet, zu sehr in die Bildungsecke gestellt zu werden?

Eigentlich nicht. Gerade beim "Tätowierten Hund" nicht, das ist ja so eine bizarre und fantastische Geschichte. Das hat überhaupt nichts mit Bildung zu tun, sondern einfach nur mit Unterhaltung, Sprachspielen und Spaß an bestimmten Wendungen.

Ihre Sprachspiele und Gedichte werden im Deutschunterricht analysiert, Ihre Theaterstücke, Musicals und Filme in den Unterricht einbezogen. Sehen Sie sich in einer Tradition oder zumindest in guter Nachbarschaft zu literarischen Vorläufern wie Christian Morgenstern und Robert Gernhardt?

Ja, durchaus. Da Sie Robert Gernhardt erwähnen: Wir kannten uns persönlich. Dazu kam, dass wir beide am selben Tag im selben Jahr geboren sind, beide am 13.12.1937. Wir sind beide sowohl Autoren als auch Zeichner, haben uns oft ausgetauscht, und Robert Gernhardt hat mir auch die Angst vor dem Reimen genommen. Die moderne Lyrik kommt ja ohne den Reim aus, aber er sagte, wenn man nicht abgedroschene Reime nimmt wie "Herz" und "Schmerz", sondern neue erfindet, dann ist es gerade der große Reiz, dass ein Gedicht sich reimen kann und darf.

Sie haben Kunst studiert und etwa sechs Jahre lang auch als Kunsterzieher gearbeitet. Sie haben die Figuren Ihrer Geschichten meist selbst entworfen. Zeichnen Sie noch immer?

Ja. Es gibt noch bis Mitte Januar eine große Ausstellung meiner Illustrationen von 1968 bis 2017 in der Bamberger Stadtbibliothek.

Illustrieren Sie auch immer noch fremde Texte?

Nein, nicht mehr. Die eigene Arbeit am Text nimmt viel Platz weg.

Was zeichnet ein gutes Kinderbuch aus? Hat sich das im digitalen Zeitalter geändert?

Buchcover von "Das Tätowierte Hund"
Skurril und fantasievoll: "Der tätowierte Hund"Bild: Rowohlt Taschenbuch Verlag

Nein, das hat sich überhaupt nicht verändert, finde ich. Ganz egal, ob ich ein Buch auf dem Tablet lese oder im Buch blättere: Der Text, die Geschichte bleibt ja immer dieselbe. Ich glaube, dass das Buch sowieso nicht aussterben wird, weil es einfach etwas Haptisches ist. Man hat ein Buch in der Hand, es knistert, wenn man eine Seite umblättert, man kann es abends mit ins Bett nehmen, man muss nicht irgendein Teil aufladen, das Buch ist immer aufgeladen. Insofern hat sich für mein Gefühl durch die Digitalisierung nichts geändert. Und die Geschichten, die ich vor 40 Jahren geschrieben habe, kommen bei Lesungen noch genauso bei den Kindern an, und sie lachen an denselben Stellen, wie sie 1970 gelacht haben oder 1980.

In wie vielen Sprachen lebt das Sams? 

Meine Bücher sind inzwischen in 50 Sprachen übersetzt, auch ins Arabische und Persische, ins Chinesische und Japanische. Ich war in China, in Japan und in der Türkei und habe vorgelesen. Aber merkwürdigerweise gibt es kein englischsprachiges Buch. Im Französischen gibt es zwei, aber dort wurden die Titel nach zehn oder 15 Jahren aus dem Verlagsprogramm genommen. Anders ist es bei meinen Theaterstücken. Ich bin ja einer der meistgespielten deutschen Theaterautoren, was die wenigsten wissen.

Sie haben über 20 Theaterstücke, Musicals und Opernlibrettos für Kinder und Erwachsene geschrieben. Auch als Theaterautor sind Sie seit Ende der 1960er Jahre erfolgreich. Was macht die Magie des Theaters aus?

Da müsste ich jetzt eine lange Erklärung liefern… Theater hat für mich die Magie, dass man in einen Raum geht, dass es dunkel wird, dass sich ein Vorhang aufmacht, dass ein Licht erst mal die Bühne beleuchtet, und dann kommen die Schauspieler, und meistens gibt es noch eine Bühnenmusik – es entsteht so ein Gemeinschaftsgefühl im Theater: Wenn der Nebenmann und andere lachen, dann lacht man viel leichter. Und wenn es eine traurige Szene gibt und im Publikum unter den Kindern alle fast den Tränen nahe sind, dann ist es ein ganz starkes Gemeinschaftsgefühl, das eigentlich nur im Theater entstehen kann.

Meine Theaterstücke sind in ganz viele Sprachen übersetzt. Die gibt es auf Spanisch, Englisch, Französisch… Witzig sind immer die Titel, die man dem Stück gibt. Mein meistgespieltes Stück hat einen Kunstnamen: Es heißt Kikerikiste, eine Zusammensetzung aus Kikeriki und Kiste, weil das Stück damit losgeht, dass eine Kiste auf der Bühne steht und dann ein Hahn kräht und ein Mann sich mühsam aus der Kiste befreit. Im Englischen heißt es etwa "Noodledoodlebox", im Ungarischen heißt es "Hoblada", im Indonesischen "Taktakatok" usw. – ich freue mich immer auf die neuen Bezeichnungen.

Sie haben mit Ihrem Schwager, dem berühmten Kameramann Michael Ballhaus, in den 1960er Jahren auch Filme gedreht. Denken Sie noch oft filmisch?

Christine Urspruch als Sams
Christine Urspruch als Sams (2001)Bild: picture-alliance/ dpa

Ja, und ich habe das noch mehr gelernt dadurch, dass ich die Drehbücher geschrieben und zusammen mit dem erfahrenen Drehbuchautor Ulrich Limmer an ihnen gearbeitet habe. Es gibt in meinen Büchern manche Szenen, die richtig filmisch aufgebaut sind. Ich kann zum Beispiel eine Szene aus "Herr Bello und das blaue Wunder" zitieren, die richtig filmisch aufgebaut ist, wie mit Schnitten. Da sieht man einmal, was oben in der Wohnung passiert, ungefähr zwanzig Zeilen lang, dann kommt eine Leerzeile, und dann sieht man, was im Treppenhaus passiert, dann schneide ich nach oben und wieder nach unten, bis die beiden Ebenen zusammenkommen.

Und Sie machen auch noch Musik!

Ja, und zwar mit zwei verschiedenen Gruppen. Mit der Capella Antiqua Bambergensis und vier türkischen Musikern gehe ich mit "Das fliegende Kamel – Die Abenteuer des Nasreddin Hodscha", also des türkischen Till Eulenspiegels, auf musikalische Lesereise.

Aus meinem Buch "Schiefe Märchen und schräge Geschichten" lese ich zusammen mit zwei ganz ausgezeichneten Musikern vor. Die beiden machen Zwischenmusiken - und damit sie nicht nur sitzen und warten, bis ich aufgehört habe mit meiner Geschichte und sie wieder Musik machen dürfen, habe ich sie mit eingebaut: Sie müssen Dialoge sprechen – das können sie auch ganz gut – und dafür muss ich Lieder singen – das kann ich inzwischen auch ganz gut. Weil sie die Gedichte aus diesem Buch alle in Musik umgesetzt haben, Lieder daraus gemacht haben, und die singen wir dann zu dritt.

Zeichnen, Schreiben, Musik machen, für das Theater dichten, in Filmen denken – das klingt rundum nach sehr viel Spaß. Den wünschen wir Ihnen auch nach dem 80. Geburtstag weiterhin, nicht zuletzt zum Vergnügen Ihres Publikums!

Ich habe schon ganz viele Termine für 2018...

Das Gespräch führte Sabine Peschel