Im Jemen verharrt Präsident Saleh an der Macht
20. Oktober 2011Ali Abdullah Saleh hat seinen Gegnern einen Strich durch die Rechnung gemacht. Er ist wieder da, in seinem Regierungspalast in Sanaa, und bestimmt die jemenitische Politik. Soweit er kann. Dass der Präsident zurückkommen würde – damit hatten nur wenige gerechnet. Schließlich hatte er vor vier Monaten das Land verlassen, um sich nach einem Attentat in Saudi-Arabien behandeln zu lassen.
Der Präsident als Unruhefaktor
Seine zahlreichen Gegner feierten diesen Moment als Niederlage Salehs, als das Ende seiner Regierung. Doch sie hatten die Rechnung ohne den Präsidenten gemacht. Salehs Verbündete halten nach wie vor zu ihm – und er betont immer wieder, dass das Land ohne ihn im Chaos versinken würde. Anzeichen dafür gibt es genug: Die Opposition ist gespalten; Separatisten im ehemals kommunistischen Süden des Landes fordern die Abspaltung vom Nordjemen; schiitische Rebellen im Norden bekämpfen seit Jahren die Regierung; in zahlreichen Regionen haben die zuvor schon einflussreichen Stämme ihre Autonomie weiter festigen können – und das Land gilt als Rückzugsgebiet für Terroristen.
"Saleh tritt als Stabilitätsgarant auf, um seine Position zu legitimieren", sagt Jemen-Expertin Mareike Transfeld. "Dabei ist er im Moment selbst ein Unruhe-Faktor." Ermutigt durch die Revolutionen in Tunesien und Ägypten fordern Zehntausende von Jemeniten das Ende seiner autoritären Herrschaft – und das nun schon seit über neun Monaten. Der Präsident gilt als korrupt, seine Politik als unwirksam; die wirtschaftliche Lage im Land ist katastrophal.
Dass sich die Regime-Gegner trotzdem nicht durchsetzen können, liege vor allem an der Rolle des Militärs, sagt Mareike Transfeld. Während die Armeen in Tunesien und Ägypten geschlossen aufgetreten sind und sich gegen die Machthaber gestellt haben, ist das Militär im Jemen gespalten. "Eine Hälfte steht auf der Seite der Demonstranten, die andere Hälfte unterstützt das Regime", erläutert Mareike Transfeld. "Da hat sich quasi eine Machtbalance etabliert."
Terrorismusbekämpfung als Priorität
Diese Machtbalance gibt Saleh Sicherheit und Zeit zum Durchatmen. Er kann sich auf seinen Sohn, seine Neffen und andere Verwandte verlassen, die große Teile des Militärs kommandieren. Und weil die Opposition gespalten ist, muss er aus ihren Reihen keinen starken Konkurrenten fürchten – zumal die Amerikaner weiterhin mit dem langjährigen Präsidenten Saleh zusammenarbeiten. "Die Priorität für die Amerikaner ist die Terrorismusbekämpfung", sagt Mareike Transfeld. "Es geht ihnen nicht darum, den Präsidenten zu stützen; sie wollen einfach die Terrorismusbekämpfung weiterführen." Da die USA in dieser Hinsicht auf gute Beziehungen zu der Führung des Jemens angewiesen seien, übten sie jetzt relativ wenig Druck auf den Präsidenten und seine Familie aus.
Dabei steht die Republik Jemen nach 33 Jahren unter der Herrschaft von Ali Abdullah Saleh vor gewaltigen Problemen. Armut, Arbeitslosigkeit und Analphabetismus sind weit verbreitet. Die zunehmende Wasserknappheit stellt die schnell wachsende Bevölkerung vor immer größere Probleme. Korruption und Patronage gehören zum Alltag; vertrauenswürdige Politiker seien nicht in Sicht, sagt Gabriele vom Bruck, Jemen-Expertin der School of Oriental and African Studies in London. "Die USA und Saudi-Arabien sind deshalb ziemlich ratlos, denn es ist kein neuer Kandidat in Sicht, den sie gutheißen können."
Probleme für die Nachfolger
Deshalb kann sich Präsident Saleh auch neun Monate nach dem Beginn der Proteste in der arabischen Welt an der Macht halten: Sein Pakt mit den Profiteuren des Regimes hält dem Druck der Opposition stand, und dadurch gelingt es ihm immer wieder, sich als Hüter der Ordnung zu präsentieren. Wer auf Saleh folgt, wird möglicherweise mit Chaos zu kämpfen haben – ganz sicher aber mit gravierenden Herausforderungen, meint Gabriele vom Bruck: "Wer immer die Macht übernimmt, muss sich mit den Aspirationen der Jugend auseinandersetzen."
Monate lang haben sie demonstriert, die Hälfte von ihnen ist arbeitslos. "Das große Problem ist: Wie kann ein Nachfolger mit diesen Erwartungen, die geweckt worden sind, fertig werden? Der Großteil der Bevölkerung hofft auf ein besseres Leben, aber diese Erwartungen werden in den nächsten Jahrzehnten ganz bestimmt enttäuscht." Damit wächst die Wahrscheinlichkeit, dass Jemen zu einem gescheiterten Staat wird.
Autorin: Anne Allmeling
Redaktion: Daniel Scheschkewitz