"Die Iraner sind stolz auf Mollaei"
3. März 2021"Saeid Mollaei ist ein Nationalheld für die Iraner", sagt Vahid Sarlak und hat größten Respekt vor dem, was sein Landsmann und Freund geleistet hat. Der Judoka, Weltmeister im Halbmittelgewicht von 2018 und 2019 aus seiner Heimat nach Deutschland geflüchtet, hat an diesem Wochenende als erster Sportler aus dem Iran seit der islamischen Revolution im Jahr 1979 an einem Turnier in Israel teilgenommen. Mollaeis Freund Vahid Sarlak, der früher ebenfalls als Judoka für den Iran antrat, hatte seine Heimat bereits 2009 verlassen. Er ist heute Judo-Trainer in Mönchengladbach und besitzt auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Reise seines Freundes nach Israel hat er gespannt mitverfolgt.
Mit seinem Auftritt in Israel hat sich Saeid Mollaei nach den Grundsätzen der iranischen Regierung einen schweren Verstoß gegen geltende Gesetze seines Heimatlandes geleistet. Denn da das Regime in Teheran die Existenzberechtigung Israels nicht anerkennt, ist iranischen Staatsbürgern die Einreise dorthin verboten. Doch Mollaei war es wichtiger, eine Botschaft des Friedens zu senden, als die Regeln eines Regimes zu befolgen, vor dessen politischem Druck er geflohen ist.
Ungeschriebenes Gesetz gegen Israel
"Ich möchte zuerst allen danken, dem Weltverband und allen Menschen", sagte Mollaei in Tel Aviv. "Sport und Politik unterscheiden sich. Ich bin sehr glücklich. Jetzt bin ich wie jeder andere Sportler. Ich bin frei, keine Probleme, keine Politik. Ich bin einfach nur Sportler."
Das Regime in Teheran sieht das jedoch grundlegend anders: Iranische Athleten sollen immer auch die Werte der islamischen Republik repräsentieren und daher nicht gegen Konkurrenten aus Israel antreten. Zwar sagt das niemand offiziell, doch gibt es dieses ungeschriebene Gesetz. Oft treten Iranerinnen und Iraner wegen vorgeschobener Verletzungen nicht mehr an, wenn der nächste Gegner oder die nächste Gegnerin aus Israel kommt. Oder man verliert in der vorhergehenden Runde absichtlich, um ein Aufeinandertreffen mit einem Israeli zu vermeiden. Auf Athleten und Trainer wird vom Regime Druck ausgeübt. Wer sich weigert, Folge zu leisten, dem werden persönliche Konsequenzen oder Repressalien für die Familie angedroht.
Fluchtwelle iranischer Sportler
Auch Saeid Mollaei ist Opfer dieser Politik geworden, und sie war schließlich auch der Grund, warum er nach Deutschland flüchtete. Bei der Judo-Weltmeisterschaft 2019 in Tokio verlor Mollaei seinen Halbfinalkampf gegen den Belgier Matthias Casse absichtlich, um im Finale nicht gegen Sagi Muki aus Israel antreten zu müssen. Offizielle hatten ihn durch seinen Trainer davor gewarnt, zu gewinnen. Mollaei fügte sich zwar dem Druck, kehrte aber aus Japan nicht in den Iran zurück, sondern reiste nach Deutschland und beantragte dort Asyl.
Der Weltverband IJF sperrte den iranischen Verband daraufhin wegen Verstoßes gegen die Olympische Charta und die IJF-Ethik. Der Internationale Sportgerichtshof CAS lehnte einen Widerspruch des iranischen Verbands gegen die Suspendierung am 1. März 2021 in 19 von 20 Anklagepunkten ab. Nur bei der Dauer der Sperre bat er den Weltverband, eine genaue Zeitspanne anzugeben.
Mollaei war allerdings nicht der einzige Athlet, der wegen der Situation aus dem Iran floh, sondern Teil einer regelrechten Welle von iranischen Sportlerinnen und Sportlern, die ihr Heimatland aus dem gleichen Grund verließen. Die Taekwondo-Kämpferinnen Kimia Alizadeh und Raheleh Asemani, der Kanute Saeid Fazloula, Schachspieler Alireza Firouzja und Futsal-Nationalspieler Javad Esfandiari sind weitere Beispiele.
Sarlak: "Von der staatlichen Fessel befreien"
Vahid Sarlak misst der Turnierteilnahme Mollaeis in Tel Aviv daher sehr große Bedeutung zu: "Andere iranische Sportler haben den Auftritt Mollaeis in Israel beobachtet", sagt er der DW. "Ich hoffe, dass sie sich nun von der staatlichen Fessel befreien, zwangsweise Wettkämpfe zu verlieren, um nicht auf Sportler aus Israel zu treffen."
Sportlich war das Turnier in Israel zwar wichtig, sein sportlicher Ausgang aber weniger bedeutend als die politische Aussage, die von Mollaeis Teilnahme ausging. Der "Judo Grand Slam" von Tel Aviv war ein offizielles Olympia-Qualifikationsturnier, doch Mollaei ist als Achter der Weltrangliste ohnehin bereits für die Sommerspiele in Tokio qualifiziert.
Dennoch zeigte er auch auf der Matte seine Klasse. Erst im Finale unterlag er dem Usbeken Sharofiddin Boltaboev und gewann die Silbermedaille. Allerdings wurde bei der Siegerehrung neben der usbekischen nicht die iranische Flagge gezeigt, sondern die der Mongolei, da Mollaei nach seiner Flucht nach Deutschland die mongolische Staatsbürgerschaft angenommen hatte.
Iran: "Ein Fleck der Schande"
Nichtsdestotrotz ist Mollaei nach wie vor Iraner. Die Reaktion des iranischen Judoverbands war daher heftig: "Es ist ein Fleck der Schande, dass Mollaei in Israel angetreten ist", äußerte Judo-Verbandschef Arash Miresmaeili, früher selbst Judo-Weltmeister. Ein besonderer Dorn im Auge dürfte Miresmaeili auch gewesen sein, dass seinem Landsmann bei seiner Ankunft "vom Feind" ein begeisternder Empfang bereitet wurde.
Moshe Ponti, der Vorsitzende des israelischen Judo-Verbands, sprach von einem "Anlass zu großer Freude" und lobte Mollaei: "Er ist wie Leader", sagte Ponti. "Es ist ein großartiger Tag für Israel und den Weltsport." Andere israelische Funktionäre drückten ebenfalls ihre Unterstützung für Mollaei aus. Und auch aus der israelischen Bevölkerung gab es viel Zuspruch: In Israel leben viele iranische Flüchtlinge jüdischen Glaubens, die seit der Machtübernahme der Mullahs in Teheran 1979 aus ihrer Heimat nach Israel übergesiedelt sind. Auch sie feierten ihren Landsmann Mollaei.
Dass auch im Iran viele Menschen den Schritt Saeid Mollaeis begrüßen, weil sie den Hass und die Ablehnung der Mullah-Machthaber gegenüber Israel nicht teilen, dessen ist sich Vahid Sarlak sicher: "Man muss die Iraner vom diktatorischen Regime der islamischen Republik trennen", sagt er der DW. "Die Iraner sind stolz auf Saeid Mollaei."