Vage Olympia-Chance für Alizadeh
21. Januar 2020Kimia Alizadeh, die 2016 als 18-Jährige bei den Olympischen Spielen in Rio die Bronzemedaille im Taekwondo gewann, möchte in diesem Jahr in Tokio eine weitere Medaille gewinnen. Klar scheint nur, dass sie sie nicht für ihr Heimatland, den Iran gewinnen wird.
Am Sonntag verkündete Alizadeh in einem Instagram-Post, dass sie mit der Islamischen Republik gebrochen habe, da sie nicht länger Teil von "Heuchelei, Lügen, Ungerechtigkeit und Schmeichelei" als "eine der Millionen unterdrückten Frauen im Iran" sein wolle.
"Ich ertrug alles, was sie mir sagten und wiederholte alles, was sie forderten. Ich wiederholte jeden Satz, den sie befohlen hatten. Keiner von uns ist für sie wichtig, wir sind nur Werkzeuge", fügte sie hinzu. Sie beschuldigte iranische Beamte zudem des Sexismus und der Misshandlung.
Gespräche mit der DTU in Hamburg
Irans halboffizielle Nachrichtenagentur ISNA zitierte die Athletin später mit den Worten, sie sei "in die Niederlande ausgewandert". Der öffentlich-rechtliche niederländische TV-Sender NOS berichtete, dass die jetzt 21-Jährige bereits mehrere Wochen im Land trainiert hätte.
Am vergangenen Sonntag meldete die Zeitung "Bild am Sonntag", Alisadeh habe die Niederlande verlassen und halte sich jetzt in Hamburg auf. Die Deutsche Taekwondo-Union (DTU) bestätigte dies. "Es gab am Sonntag in Hamburg ein Treffen zwischen dem Verband und Kimia, ihrem Mann sowie ihrem Berater. Darin hat sie explizit noch einmal bekräftigt, dass sie gerne für Deutschland starten würde", erklärte die DTU gegenüber dem Sport-Informationsdienst: "Der Verband würde es begrüßen, wenn Kimia für Deutschland starten könnte und hat ihr bereits ein Befürwortungsschreiben ausgestellt, mit dem sie zu den zuständigen Behörden gehen kann."
Regelung zur Staatsangehörigkeit
Alisadeh benötigt zunächst einmal eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland, bevor überhaupt damit begonnen werden kann, darüber zu verhandeln, für welches Land sie künftig antritt. Angeblich reisten sie und ihr Mann mit einem zeitlich befristeten Visum in die Niederlande ein und jetzt nach Deutschland weiter. Bevor sie in Hamburg eintraf, hatte Alisadeh erklärt, sie wolle bei den Olympischen Spielen in Tokio unter einer anderen Flagge als der des Iran starten.
In Regel 41 der Olympischen Charta steht festgeschrieben, dass jeder Athlet bei Olympischen Spielen Staatsangehöriger des Landes sein muss, dessen Nationales Olympisches Komitee (NOK) ihn meldet. Alizadeh hat bislang lediglich die iranische Staatsangehörigkeit, doch ist es unwahrscheinlich, dass Irans NOK die abtrünnige Athletin zu Olympia schicken wird.
Regel 41 besagt weiter, dass Athleten mit doppelter Staatsbürgerschaft wählen können, für welches Land sie antreten möchten, allerdings gibt es einige Einschränkungen. Dazu gehört die Bedingung, dass drei Jahre vergangen sein müssen, seit die Sportlerin oder der Sportler das andere Land zuletzt bei den Olympischen Spielen oder bei einem großen regionalen oder globalen Wettbewerb vertreten hat. Diese Einschränkung scheint bei Alizadeh zu greifen, da sie bei den Asienmeisterschaften 2018 Bronze gewann.
Die Regel besagt jedoch auch, dass das IOC-Exekutivkomitee diese Wartezeit mit Zustimmung der NOKs und des betreffenden Weltverbands verkürzen oder sogar aufheben kann. Eine Zustimmung des iranischen NOK erscheint jedoch so gut wie ausgeschlossen.
Olympisches Flüchtlingsteam
Alizadeh stünde möglicherweise eine zweite Option offen: 2016 in Rio ließ das IOC ein Team von zehn Flüchtlingen unter der olympischen Flagge antreten darf. Auch in Tokio soll eine solche Mannschaft antreten. Wer dazu gehört, wird im Juni bekannt gegeben.
Alizadeh ist die dritte iranische Spitzensportlerin, die innerhalb der letzten Monate angekündigt hat, das Land nicht mehr im internationalen Wettbewerb zu vertreten. So gab der iranische Schachverband im vergangenen Monat bekannt, dass Großmeister Alireza Firouzja wegen des informellen Wettkampfverbots gegen israelische Spieler beschlossen hat, nicht mehr für den Iran zu spielen.
Irans Judo-Weltmeister für die Mongolei
Firouzjas Verzicht kam drei Monate nachdem der iranische Judoka Saeid Mollaei, Weltmeister von 2018, sich geweigert hatte, aus Angst um seine Sicherheit nach Hause zurückzukehren. Mollaei gab an, im WM-Halbfinale auf Befehl seines nationalen Verbandes absichtlich verloren zu haben, um im Finalkampf nicht gegen den Israeli Sagi Muki antreten zu müssen. Der Internationale Judo-Verband IJF hatte den iranischen Judo-Verband daraufhin suspendiert.
Im Dezember veröffentlichte der IJF eine Erklärung auf seiner Website, in der bekannt gegeben wurde, dass Mollaei die mongolische Staatsbürgerschaft angenommen habe. Ob Mollaei damit in Tokio für die Mongolei antreten darf ist allerdings unklar. Auch auf diese Frage der DW gab es vom IOC keine Antwort.