Verhaftet, befreit - und jetzt?
5. Dezember 2017Michail Saakaschwili dürfte nicht überrascht gewesen sein, als am frühen Dienstagmorgen bewaffnete und maskierte Mitarbeiter des ukrainischen Geheimdienstes SBU vor der Tür seiner Kiewer Wohnung standen. Der 49-jährige frühere Präsident Georgiens und ukrainische Oppositionspolitiker hatte seine drohende Festnahme selbst vor ein paar Tagen angekündigt. Auch die Szenen in einer Seitenstraße, die zum Kiewer Unabhängigkeitsplatz (Maidan) führt, waren vorhersehbar. Der für seine medienwirksamen Auftritte bekannte Saakaschwili sprach vom Dach eines Hauses zu seinen Anhängern, beschimpfte Präsident Petro Poroschenko als "Dieb" und wurde schließlich in ein Auto geschafft und weggebracht. Dabei kam es zu Rangeleien zwischen seinen Anhängern und den Sicherheitskräften, es gab Verletzte.
Noch am Vormittag trat Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko vor die Presse und gab die Vorwürfe gegen Saakaschwili bekannt. Der Oppositionspolitiker soll eine halbe Million US-Dollar über Umwege von einem Geschäftsmann aus der Umgebung des früheren prorussischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch erhalten haben. Mit dem Geld seien die jüngsten Proteste in Kiew finanziert worden.
Eine Allianz von Poroschenko-Gegnern
Gemeint sind Aktionen wie der so genannte "Marsch für Impeachment" am vergangenen Sonntag, als ein paar Tausend Oppositionsanhänger im Herzen von Kiew Poroschenkos Amtsenthebung und Neuwahlen forderten. Sie werfen dem Präsidenten Korruption vor. Saakaschwili und seine neue Partei "Bewegung neuer Kräfte" gelten als eine der treibenden Kräfte hinter den Protesten. Sie ist zwar nicht im Parlament vertreten, wird aber von einigen parlamentarischen Oppositionsparteien unterstützt, darunter der "Vaterlandspartei" der früheren Ministerpräsidentin Julia Timoschenko.
Mitte Oktober hatten diese Kräfte ein Zeltlager in der Nähe des Parlaments aufgeschlagen und versucht, auch mit solchen symbolischen Bildern den Revolutionsgeist der Ukrainer zu wecken. Doch die Zahl der Protestler blieb bisher überschaubar. Saakaschwili und seinen politischen Verbündeten gelang es nicht, die Massen zu mobilisieren.
Ratlose Sicherheitskräfte
Ob sich das nun ändert, dürfte sich in den kommenden Tagen zeigen. Hunderten Anhängern Saakaschwilis gelang noch am Dienstag seine spektakuläre Befreiung aus einem Polizeiauto mitten in Kiew. Danach gab ihm der Generalstaatsanwalt Luzenko 24 Stunden, sich zu stellen.
Die ukrainischen Sicherheitskräfte wirkten am Dienstag genauso hilf- und ratlos wie im September, als Saakaschwili von einer Auslandsreise in die Ukraine zurückkehrte. Eigentlich durfte Saakaschwili damals nicht einreisen, weil der Präsident ihn im Juli überraschend ausgebürgert hatte. Der offizielle Grund dafür: Saakaschwili soll ein Verfahren gegen ihn in Georgien verheimlicht haben. Doch der Oppositionspolitiker wurde an einem polnisch-ukrainischen Grenzübergang von seinen Anhängern geradezu in die Ukraine getragen.
Vom Verbündeten zum Gegner
Mit der versuchten und zunächst gescheiterten Festnahme steht der Konflikt zwischen Poroschenko und Saakaschwili wieder an einer Grenze - diesmal an der zur Farce, so die Einschätzung vieler Beobachter.
Die beiden Politiker kennen sich seit Studienzeiten in Kiew und galten seit der ukrainischen "Revolution in Orange" 2004 auch als politische Verbündete. Als Poroschenko zehn Jahre später Präsident wurde, ernannte er Saakaschwili im Mai 2015 zum Gouverneur des südukrainischen Gebiets Odessa am Schwarzen Meer. Saakaschwili lebte zuvor im Ausland, denn zu Hause in Georgien hatte seine Partei die Wahlen verloren. Gegen ihn selbst laufen in Georgien mehrere Strafverfahren, darunter wegen Amtsmissbrauchs.
Die Zeit als Gouverneur in Odessa war kurz und von Konflikten mit der Zentralregierung in Kiew überschattet. Im November 2016 entließ Poroschenko seinen einstigen Verbündeten. Seitdem erhebt Saakaschwili schwere Vorwürfe gegen die Staatsspitze und versucht sich als Kämpfer gegen Korruption zu profilieren.
Schadenfreude in Russland
In Russland, wo Saakaschwili spätestens seit dem russisch-georgischen Krieg im August 2008 eine Reizfigur ist, ist jetzt die Schadenfreude groß. Statt über den drohenden Ausschluss der russischen Nationalmannschaft von den Olympischen Winterspielen in Südkorea wegen Dopingvorwürfe zu berichten, kennen russische Medien nur ein Top-Thema: Saakaschwili als skurriler Revoluzzer in Kiew. Moderatoren im Radio und Fernsehen können sich ein Grinsen kaum verkneifen, wenn sie über ihn sprechen.
Auch der Kreml äußert sich undiplomatisch. Saakaschwili habe einen langen politischen Weg hinter sich, vom "Verzehr einer Krawatte" bis hin zum "Sitzen auf dem Dach", ätzte der sonst zurückhaltende Dmitrij Peskow, Pressesprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Gemeint ist eine Episode im August 2008, als der sichtbar angespannte Saakaschwili während eines Telefonats an seiner Krawatte kaute und dabei gefilmt wurde. Jetzt staune der Kreml und habe nichts zu sagen, so Peskow.
Gerichtsentscheidung am 50. Geburtstag
Saakaschwili drohen in der Ukraine nun mehrere Verfahren. Noch ist unklar, ob er nach Georgien ausgeliefert wird. Das dürfte auch vom Obersten Verwaltungsgericht abhängen, der über eine Klage Saakaschwilis gegen seine Ausbürgerung durch Poroschenko urteilen wird. Das Gericht in Kiew hat die Verhandlung für den 21. Dezember angesetzt. Für Saakaschwili ist es auch aus einem anderen Grund ein besonderes Datum: Es ist sein 50. Geburtstag.