Saakaschwili brüskiert Poroschenko
11. September 2017Es war eine Grenzüberschreitung im wörtlichen Sinne. Obwohl ihm die ukrainische Staatsbürgerschaft entzogen wurde, kehrte der prominente Oppositionspolitiker und ehemalige Präsident Georgiens, Michail Saakaschwili, am Sonntag aus dem Ausland über den polnischen Grenzübergang Schehyni in die Ukraine zurück.
Die Umstände waren überraschend auch für ein Land wie die Ukraine, deren jüngste Geschichte reich an skurrilen politischen Ereignissen ist. Zunächst versuchte der 49-Jährige ehemalige Gouverneur der Hafenstadt Odessa, begleitet von einem Journalistentross, mit der Bahn einzureisen. Der ukrainische Zug wurde in Polen angehalten und der Politiker aufgefordert, auszusteigen. Dann fuhr Saakaschwili mit einem Bus zu einem anderen Grenzübergang, wo seine muskelbepackten Anhänger ihn buchstäblich über die Grenze trugen. Die ukrainischen Grenzschützer wirkten dabei hilflos.
Wie aus Freunden Feinde wurden
Dieser Vorfall markiert einen vorläufigen Höhepunkt im Konflikt zwischen Saakaschwili und dem Präsidenten Petro Poroschenko. Er zeigt, wie so oft in der ukrainischen Politik, wie aus Freunden bittere Feinde werden können.
Poroschenko und Saakaschwili kennen sich noch aus der Studienzeit in Kiew. Während der "Revolution in Orange" 2004 unterstütze Saakaschwili als Präsident Georgiens den prowestlichen ukrainischen Wahlsieger Viktor Juschtschenko, ein enger Vertrauter Poroschenkos. Später machten Saakaschwilis erfolgreiche Reformen sein Land zum Vorbild für viele Ukrainer.
Nach dem Machtwechsel in Kiew 2014 wagte die Ukraine ein Experiment und holte mehrere Politiker aus Georgien in die Regierung. 2015 ernannte Poroschenko Saakaschwili zum Gebietsgouverneur in Odessa am Schwarzen Meer. Doch das von Kiew erhoffte "Wunder von Odessa" blieb aus. Saakaschwili mischte die ukrainische Politik vor allem mit verbalen Attacken auf. Er erhob schwere Korruptionsvorwürfe zunächst gegen den damaligen Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk, dann gegen Poroschenko persönlich. Im November 2016 reichte Saakaschwili seinen Rücktritt ein.
Angst vor Auslieferung nach Georgien
Im Juli entzog Poroschenko Saakaschwili überraschend die von ihm selbst verliehene ukrainische Staatsbürgerschaft. Der Präsident begründete dies damit, dass Saakaschwili Strafverfahren gegen ihn in Georgien verschwiegen hätte. In seiner Heimat wurde Saakaschwili die Staatsangehörigkeit bereist 2015 entzogen. In Georgien laufen insgesamt vier Strafverfahren gegen Saakaschwili, darunter wegen Amtsmissbrauchs. Ihm drohen bis zu elf Jahren Haft. Er selbst bestreitet alle Vorwürfe und spricht von politisch motivierter Justiz.
Nun könnte die Ukraine Saakaschwili an Georgien ausliefern. Das legte Poroschenko am Montag in seiner ersten Stellungnahme nach Saakaschwilis umstrittener Rückkehr nahe. Saakaschwili selbst will sich vor Gericht gegen seine Ausbürgerung wehren.
Bei seinem Grenzübertritt wurde Saakaschwili von der ehemaligen Ministerpräsidentin und Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko begleitet. Sie fordert vorgezogene Wahlen und hofft offenbar auf Saakaschwilis Hilfe im Kampf gegen ihren Erzrivalen Poroschenko. Im westukrainischen Lwiw wurde Saakaschwili außerdem vom Bürgermeister Andij Sadowy empfangen, dessen Partei "Selbsthilfe" auch in der Opposition ist.
Ein Bündnis gegen Poroschenko?
In der Ukraine wird nun über eine mögliche Allianz gegen Poroschenko spekuliert, der sich auch andere oppositionelle Politiker und Parteien anschließen könnten. Timoschenko, die in Umfragen knapp hinter Poroschenko liegt, legte eine solche Allianz nahe.
Noch ist es schwer zu sagen, welche Konsequenzen der illegale Grenzübertritt für Saakaschwili haben könnte. Poroschenko versprach "rechtliche Folgen" für alle Beteiligten. Sollte Saakaschwili in der Ukraine bleiben dürfen, ist es unklar, ob er tatsächlich viele Bürger mobilisieren kann.
In Lwiw kündigte er eine "Auto-Tour" durch die Ukraine an. Seine Partei "Bewegung neuer Kräfte" lag in Umfragen bisher im unteren einstelligen Bereich. "Saakaschwili war früher beliebter, seine Umfragewerte sind zuletzt stark gesunken", sagte die Soziologin Irina Bekeschkina.
Die Leiterin der Stiftung "Demokratische Initativen" glaubt, die Ausbürgerung sei deshalb ein "Geschenk" für Saakaschwilis Imagepflege gewesen. Saakaschwili könne theoretisch anderen Parteien als Zugpferd helfen. Alllerdings sei Saakaschwili vor allem an seiner eigenen Partei interessiert, so Bekeschkina.
Schwerer Imageschaden
Kritiker werfen sowohl Poroschenko als auch Saakaschwili ein gefährliches Machtspiel vor, das die ohnehin fragile innenpolitische Lage in der Ukraine gefährde. Vor allem in sozialen Netzwerken zeigten sich viele schockiert und angewidert von Bildern an der Grenze - besonders vor dem Hintergrund des andauernden Stellungskrieges in der Ostukraine.
"Saakaschwili kämpft um sein Comeback", sagte der DW der Politik-Experte Olexij Haran von der Kiew-Mohyla-Akademie. "Doch er kämpft für sich und nicht für die Ukraine." Der Vorfall an der Grenze sei so destabilisierend gewesen, dass man ihn als eine Provokation bewerten könne, so Haran. Die Grenze habe sich als schutzlos angesichts des Ansturms von Pseudo-Patrioten erwiesen. Der Imageschaden sei "verheerend".
Die EU reagierte bisher zurückhaltend auf die Ereignisse rund um Saakaschwilis Rückkehr. "Das sind innerukrainische Angelegenheiten, wenige Politiker im Westen wollen sich in diese Streitereien einmischen", sagte der DW Gustav Gressel von der Brüsseler Denkfabrik European Council on Foreign Relations. Der Experte bezeichnete die Verfahren gegen Saakaschwili in Georgien als "rein politisch" und kritisierte gleichzeitig seine Ausbürgerung in der Ukraine. "Europäische Länder machen so etwas nicht", sagte Gressel. "Das wurde früher nur von kommunistischen Regimes in Osteuropa gemacht, um Dissidenten loszuwerden."