Zu wenig "fresh money"
3. September 2007DW-WORLD.DE: Wie beurteilen Sie die Zahlen, mit denen die UNO Bilanz zieht?
Jens Martens: Die Zahlen, die die UNO vorlegt, kommen von den statistischen Ämtern der jeweiligen Länder beziehungsweise von der Weltbank und diese Zahlen sind so gut oder so schlecht wie die Statistiken dieser Länder. Die sind zum Teil problematisch, dass ist aber nicht das Hauptproblem. Das Problem ist eher die Frage, wie Armut gemessen wird. Wenn die UNO sagt, die absolute Armut, das heißt der Anteil der Menschen die von weniger als einem US-Dollar am Tag leben, ist in den letzten 15 Jahren gesunken, dann liegt das nur daran, dass man absolute Armut mit diesem Indikator misst. Das ist ein problematischer Indikator, da er suggeriert, dass Menschen, die zum Beispiel einen Dollar zehn am Tag haben, nicht mehr extrem arm sind.
Würden Sie sagen, dass die Millenniumsziele als Ganzes noch erreicht werden können?
Die UNO sagt das, die Regierungen sagen das und wir als NGOs sagen eigentlich auch, dass die Ziele theoretisch erreicht werden können, wenn die Regierungen die entsprechenden Politiken kurzfristig umsetzen. Zum Beispiel muss mehr Geld in den Süden fließen, das dort für Armutsbekämpfung, Wasserversorgung und Gesundheitsversorgung verwendet werden kann. Zwar sind die Mittel auf dem Papier gestiegen, aber wir stellen fest, dass sie vor allem gestiegen sind, weil Entschuldungsleistungen gegenüber dem Irak und Nigeria auf die Entwicklungshilfe angerechnet wurden. Wirklich neues Geld, "fresh money", ist nur in sehr geringem Umfang geflossen. Noch viel wichtiger ist die Mobilisierung von heimischen Ressourcen in den Ländern des Südens selbst. Sie müssen ein Steuersystem aufbauen, das auch die Reichen in diesen Ländern zur Kasse bittet, sie müssen dafür sorgen, dass ihre öffentlichen Einnahmen wirklich für die Bekämpfung der Armut bereitgestellt werden.
Wie sehen Sie die Gründe, die von der UNO häufig angeführt werden, dass viele Probleme bei der Umsetzung auf Konflikte, Korruption und Misswirtschaft zurückzuführen sind?
Vor allem in den Ländern Afrikas sind es natürlich Mitursachen dafür, dass es bei der Verwirklichung der Ziele keine großen Fortschritte gegeben hat. Das muss bekämpft werden, aber es sind nicht die einzigen Ursachen. Man muss auch die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Blick haben. Solange die Handelsbeziehungen zwischen Nord und Süd die Länder des Südens benachteiligen - solange beispielsweise durch Agrar-Export-Subventionen billige Nahrungsmittel in den Süden geschafft werden und dort die ländliche Entwicklung gehemmt statt gefördert wird, Kleinbauern ihre Existenz verlieren, weil sie nicht konkurrenzfähig sind - solange kann sich dort nichts positiv entwickeln. Eine weitere externe Ursache der Armut ist die hohe Verschuldung vieler Länder. Sie müssen Schuldendienste leisten und das sind Mittel, die ihnen nicht für die eigene Entwicklung zur Verfügung stehen.
Wie sehen Sie das Bewusstsein in der Öffentlichkeit und deren Rolle? Sollte sie die Politiker mehr unter Druck zu setzen?
Ohne Druck aus der Öffentlichkeit werden die Politiker sich nicht in dem Maße bewegen wie es notwendig wäre. Wir haben gesehen, dass sich durch die internationalen Kampagnen für die Millenniumsziele und für die Bekämpfung der Armut schon viel verändert hat. Umfragen zeigen, dass das Wissen über die Ziele in der deutschen Öffentlichkeit gewachsen ist. Allerdings wissen immer noch sehr wenige Leute, was sich eigentlich dahinter verbirgt und es ist noch viel zu tun, um die Menschen zu informieren und ihnen bewusst zu machen, um welche Probleme es sich handelt und dass diese Probleme durchaus etwas mit unserer Entwicklung zu tun haben. Denn die Ziele betreffen zwar in erster Linie die Länder des Südens, aber in einer interdependenten Welt müssen immer die Entwicklungen im Süden und die im eigenen Land zusammen gesehen werden. Wenn sich die Armut im Süden nicht verringert, wird das Rückwirkungen auf unsere Entwicklung in Deutschland haben.