Russlands Rentner hoffen auf Nawalny
24. September 2018Das Schicksal von Russlands bekanntestem Oppositionspolitiker Alexej Nawalny ist aller Voraussicht nach an den Verlauf der geplanten Rentenreform geknüpft. Nach Einschätzung von Russland-Experte Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) könnten die Proteste gegen die Rentenreform, die Ergebnisse der jüngsten Gouverneurswahlen und die erneute Festnahme Nawalnys in einem Zusammenhang stehen.
"Wir sehen, dass die Protestbereitschaft in Russland mit der Pensionsreform massiv gestiegen ist. Und dass bei Regionalwahlen viel aus Protest gewählt worden ist", erklärt Meister gegenüber der DW. "Nawalny ist die Schlüsselfigur für diesen Protest."
Es war noch dunkel, als Alexej Nawalny am frühen Montagmorgen für nur wenige Sekunden ein freier Mensch war. Eine DW-Reporterin hielt auf Video fest, wie er die Haftanstalt in Moskau verließ, um dann sofort erneut festgenommen zu werden. Ein Polizeibus brachte den 42-Jährigen zu Gericht. Nach Angaben seiner Sprecherin wurde er zu weiteren 20 Tagen Haft verurteilt.
Dabei hatte Nawalny wegen einer Protestaktion im Januar dieses Jahres gerade 30 Tage hinter Gittern verbracht. Die neuen Vorwürfe, so twitterte am Montag sein Mitstreiter Leonid Wolkow, hätten mit einer Demonstration gegen die Erhöhung des Rentenalters am 9. September zu tun. Zu dieser Aktion hat zwar auch Nawalny aufgerufen, konnte jedoch wegen der früheren Festnahme nicht selbst daran teilnehmen.
Unmut über Rentenreform
Laut Russland-Experte Meister ist die erneute Festnahme Nawalnys ein Zeichen der "Nervosität der Führung". Außerdem gebe es in Moskau offenbar die Befürchtung, der Oppositionspolitiker könne schnell neue Proteste organisieren, "die dann ab irgendeinem Punkt nicht mehr unter Kontrolle" zu halten sein könnten.
Die im Sommer von der Regierung verkündete Rentenreform in Russland sieht eine schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters um fünf Jahre vor. In einem ursprünglichen Vorschlag war eine besonders stärkere Erhöhung für Frauen vorgesehen, nämlich um acht Jahre.
Nach einer Protestwelle sprach sich Präsident Wladimir Putin für eine Reduzierung auf fünf Jahre aus. Doch die Proteststimmung ist geblieben. Wie auch in den vergangenen Wochen gingen am Wochenende in Moskau, aber auch in anderen russischen Städten Tausende gegen die Reform auf die Straßen.
Vor diesem Hintergrund spricht Stefan Meister von einem möglichen "Schlüsselmoment" für Nawalny, der wie kein anderer Oppositioneller in Russland landesweit mobilisieren könne, inzwischen nicht nur Jugendliche. "Diese Pensionsreform hat so eine tiefe gesellschaftliche Wirkung, dass es tatsächlich zu einer breiteren Protestbewegung kommen könnte, wenn man es zulassen würde", sagt der Berliner Experte. "Wir haben eine neue Situation."
Kreml-Partei verliert Gouverneurswahlen
Ein weiterer Ausdruck dieser Situation seien die Ergebnisse der regionalen Wahlen in den vergangenen Wochen und vor allem am Sonntag. In gleich zwei Regionen, im fernöstlichen Chabarowsk und im zentralrussischen Gebiet Wladimir, verloren amtierende Gouverneure der Kreml-Partei "Geeintes Russland" bei einer Stichwahl. Gewinner waren die Kandidaten der rechtspopulistischen Liberal-Demokratischen Partei Russlands (LDPR).
Politologe Andrej Perzew vom Moskauer Carnegie-Zentrum spricht von einer "Protestwahl". Die beiden LDPR-Sieger in Chabarowsk und Wladimir hätten wohl selbst nicht damit gerechnet, zu gewinnen. Perzew prognostiziert eine weitere Verstärkung der Proteste wegen der Rentenreform, besonders bis 2021, wenn in Russland die nächste Parlamentswahl ansteht. Bis dahin werde es viele Menschen geben, die wegen der Reform länger als erhofft arbeiten müssen.