Russland vor der Regionalwahl
8. September 2018Der Wahlkampf 2018 war so schwach wie seit langem nicht mehr, meinen Beobachter. Sie rechnen daher mit einer niedrigen Wahlbeteiligung. Hinzu komme, dass in den meisten Regionen der Russischen Föderation von einem echten Wettbewerb keine Rede sein könne.
"Schillernde Kandidaten und Vertreter regionaler Eliten, die eine Konkurrenz zu den Machthabern wären, wurden erst gar nicht zugelassen", sagte Georgij Melkonjanz vom Verband zum Schutz der Rechte von Wählern ("Golos") der DW. Ihm zufolge ist es gefährlich, ohne die Unterstützung der Staatsmacht bei Wahlen anzutreten. Solche Kandidaten würden von den Behörden sofort unter Druck gesetzt - sogar mit der Einleitung von Strafverfahren.
Sichere Prognosen
Die Gouverneure von 22 Regionen, darunter auch der Bürgermeister von Moskau, werden direkt gewählt. In den meisten Regionen gilt das Ergebnis schon jetzt als sicher. "Aber es gibt drei Regionen mit schwachen Gouverneuren: die Region Chabarowsk, Chakassien und die Region Wladimir", sagte Aleksandr Kynjew von der "Hochschule für Wirtschaft" in Moskau. "Ich bin gespannt, wie die Wähler unter Bedingungen votieren werden, wo auch die Herausforderer schwach und die Menschen immer unzufriedener sind", so der Politologe gegenüber der DW.
Kaum Gegner hat die Staatsmacht auch bei den Wahlen zu den regionalen Parlamenten. Selbst die oppositionellen Kandidaten, die zunächst zugelassen wurden, wurden nach Klagen von Mitbewerbern von den Wahlen wieder ausgeschlossen. Doch es gibt auch Ausnahmen. Bei den Wahlen zu den Parlamenten von Jekaterinburg, Burjatien sowie der Regionen Irkutsk und Uljanowsk haben es Oppositionelle geschafft, auf den Stimmzettel zu kommen. "Der Wahlkampf in Irkutsk ist der interessanteste", meint Kynjew. Dort sei ein Kommunist Gouverneur und die Kreml-Partei "Einiges Russland" aufgrund interner Machtkämpfe gespalten.
Mobilisierung von Wählern
Auch bei der Bürgermeisterwahl in Moskau herrscht kein echter Wettbewerb. Daher sprechen Beobachter dort eher von einer Vertrauensabstimmung gegenüber der jetzigen Führung der Hauptstadt. Von 32 Kandidaten kamen nur fünf auf den Stimmzettel, darunter natürlich der Amtsinhaber Sergej Sobjanin. Kein einziger oppositioneller Kandidat wurde registriert: weder Dmitrij Gudkow von der "Partei der Veränderungen" noch Ilja Jaschin von der Bewegung "Solidarität".
"Moskau ist eine reiche Region. Vor Wahlen will die Führung den Bürgern gefallen", sagte Georgij Melkonjanz. Das beste Beispiel dafür sei, dass diesmal auch auf der Datscha, in 209 Wahllokalen auf dem Lande, die Stimme abgegeben werden kann. Erstmals werden für die Einwohner Moskaus in anderen Regionen Wahllokale eingerichtet. Zudem kündigte die Stadt Moskau ein Infrastrukturprogramm für Datschensiedlungen an. Nach Einschätzung der NGO "Golos" betrachten die Datschen-Verwaltungen die Wahlbeteiligung als Indikator dafür, ob auch ihre Siedlung von dem Programm künftig profitieren wird. Um es den Bewohnern möglichst bequem zu machen, bleiben dort die Wahllokale zwei Stunden länger geöffnet.
Ferner werden die Bürger mit Geschenken zu den Wahlurnen gelockt. Beispielsweise werden Wählern unter 30 Jahren Freikarten für Konzerte populärer Gruppen versprochen.
Proteste gegen Rentenreform
Für den Wahltag haben Anhänger des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny Kundgebungen gegen die Erhöhung des Rentenalters geplant. Insgesamt wurden in mehr als 80 Städten Aktionen angemeldet. In den meisten, darunter in Moskau, wurden sie allerdings nicht genehmigt. Eine Erlaubnis wurde nur in Sankt Petersburg und Tscheboksary an der Wolga erteilt.
Die Rentenreform sieht vor, dass Frauen nicht mit 55, sondern mit 60 Jahren in Rente gehen. Für Männer soll ein Rentenalter von 65 Jahren gelten, derzeit liegt es bei 60 Jahren. Laut Umfragen lehnen 90 Prozent der Russen die Reform ab. Präsident Wladimir Putin betonte aber, sie sei wegen des demografischen Wandels unumgänglich. Kritiker weisen darauf hin, dass die Lebenserwartung russischer Männer bei 66 Jahren liegt, so dass viele von ihnen - vor allem in armen Regionen - das neue Rentenalter nicht erreichen werden.
"Einmischung in Wahlen"
Nawalny selbst wird nicht zu den Kundgebungen kommen können, da er wegen nicht genehmigter Protestaktionen im Januar derzeit 30 Tage Haft absitzt. Aber ein Video, in dem er dazu aufruft, sich an den Demonstrationen, aber nicht an den Wahlen zu beteiligen, wird von Nawalnys Mitarbeitern aktiv verbreitet, darunter auch auf YouTube.
Die russischen Behörden warnten bereits den Youtube-Mutterkonzern Google, sie würden die Bereitstellung von Werbetools für Nawalny als Einmischung in die Wahlen werten. "Solche Initiativen gegen Google sind die Folge einer Hysterie innerhalb der russischen Behörden. Aber wenn die Staatsmacht nervös wird, dann spüren das die Menschen", sagte der Politologe Aleksandr Kynjew. Die Bürger würden dann genau das Gegenteil von dem tun, was die Staatsmacht wolle. Dies könnte die Wahlbeteiligung unter den Protestwählern erhöhen. Letztlich könnten die Wahlergebnisse in einer Reihe von Regionen für die Regierenden zu einer "unangenehmen Überraschung" werden, so der Experte.