Russlands hybrider Krieg - Desinformation als Waffe
19. September 2024Im Mittelpunkt der Ermittlungen stehen zwei Kreml-nahe Firmen in Moskau. Sie sollen systematisch und mit hohem Aufwand umfangreiche Kampagnen zur Desinformation der Wählerinnen und Wähler in den USA, Deutschland, Frankreich, der Ukraine und Israel entwickelt haben. Das ist das Ergebnis von Ermittlungen der US-amerikanischen Sicherheitsbehörde FBI, des Bayerischen Verfassungsschutzes in Deutschland und von Medienrecherchen.
In einem Bericht zur Desinformationskampagne fasst das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz im August 2024 zusammen: "Die groß angelegte Kampagne verfolgt das Ziel, durch die Verbreitung bewusster Falschinformation und pro-russischer Narrative in westlichen Gesellschaften, Zweifel an liberalen demokratischen Werten zu säen."
Kontakte zu Putins Präsidialamt
Im Visier des amerikanischen FBI stehen die beiden Firmen STRUCTURA und SDA. Beide Unternehmen stehen offenbar in enger Verbindung zum russischen Präsidialamt von Wladimir Putin. Die Unternehmen sollen arbeitsteilig für den Aufbau propagandistischer Webseiten verantwortlich sein. Diese Seiten ähneln vom Aufbau und Design denen echter Qualitätsmedien zum Verwechseln.
Dieses Vorgehen wird von den Ermittlern "Doppelgänger"-Kampagne genannt. Der Inhalt der gefälschten Seiten besteht aus pro-russischer Propaganda und Desinformationen, die über sogenannte Bots und extra angelegte Accounts in den Sozialen Medien gestreut werden. Allein in Deutschland sollen mit der Kampagne rund 750.000 User erreicht worden sein.
Auf die Spur der russischen Unternehmen kamen die Ermittler durch verschiedene Hinweise. So berichtet der Verfassungsschutz in Bayern, dass die Accounts zur Verbreitung der Propaganda während der üblichen Bürozeiten in der russischen Zeitzone aktiv waren. An russischen Feiertagen dagegen gab es kaum Aktivitäten. Und die Funktionstests der Desinformationswebseiten liefen über russische Admin-IP-Adressen. Beim Verschicken von Daten in digitalen Netzen hat die IP-Adresse eine ähnliche Funktion wie eine Postanschrift. Sie macht Absender und Empfänger der Daten eindeutig identifizierbar.
Kampagnen mit akribischer Planung
Am stärksten von der Desinformationskampagne ist demnach Deutschland betroffen, bilanziert der Bayerische Verfassungsschutz. "Zwischen Mai 2023 und Juli 2024 wurden 7983 Kampagnen erstellt und über Facebook oder X verteilt", heißt es in dem aktuellen Bericht der Behörde. Fast 30 Prozent der Kampagnen zielten auf Deutschland ab. Fast genauso viele auf Frankreich, gefolgt von den USA. Weiter heißt es in dem Bericht: "Forensische Analysen des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz ergaben, dass die Kampagnenverantwortlichen anfänglich mit Tests, redaktionellen Varianten und der Anpassung der Arbeitsabläufe beschäftigt waren. Ab Oktober 2023 war der Arbeitsprozess ausgereift." Seitdem erreichten die Werte einen neuen Höhepunkt.
Zentrales Ziel der Desinformation sei es, zu suggerieren, dass nicht Russland den Krieg gegen die Ukraine begonnen habe, sagt Philipp Sälhoff vom Think-Tank Polisphere.
"Das ist ein sehr zentrales, ein sehr präsentes Narrativ", erklärt Sälhoff im Gespräch mit der DW. Er ist Geschäftsführer des Beratungsnetzwerks, das seit Jahren russische Propagandaaktivitäten in den sozialen Medien analysiert. "Das Narrativ ist, dass Russland sich eigentlich nur verteidigt, dass die Ukraine oder die ukrainische Regierung beziehungsweise auch das ukrainische Volk Nazis sind. Dass der Krieg nur ein Marionettenstellvertreterkrieg der USA und des Westens ist."
Das Ziel: gesellschaftliche Spaltung
In den deutschen Kampagnen der russischen Unternehmen werden offenbar außerdem Themen aufgegriffen, die zur Spaltung der deutschen Gesellschaft beitragen könnten, so Sälhoff. "Zum Beispiel durch die Verknüpfung von Migration und Terrorismus. Dass zum Beispiel die Regierungskoalition von Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen sich nicht um die Interessen der Bevölkerung kümmert und teilweise sogar noch aktiv dagegen handelt."
Die Kreml-nahe Propaganda unterstützt offenbar vor allem zwei Parteien, die in Deutschland äußerst umstritten sind, so Philipp Sälhoff im DW-Gespräch: "Es gibt ein ganzes Ökosystem an Kreml-freundlichen Accounts. Und da wird schon relativ klar für die AfD Stellung bezogen und jetzt auch für das BSW. Diese Parteien werden sehr spezifisch dargestellt als Kümmerer-Parteien, als Friedensparteien, als Parteien, die die Interessen der Menschen hören und wahren."
Die russischen Firmen haben dabei offenbar konkrete Ziele für ihre Arbeit definiert. Das berichtet ein deutsches Recherchekollektiv von Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR. Durch ein Datenleck konnten sie Einblick in die Arbeit der Firma SDA erlangen. In den Aufzeichnungen der Firma befinden sich demnach sogenannte "Key Performance Indicators", KPIs, also definierte Erfolgsziele.
Propaganda mit definierten Zielen
Als ein Ziel für die "Doppelgänger"-Kampagne definiert SDA demnach die "Erhöhung des Stimmenanteils der AfD auf 20 Prozent". Als weiteres Ziel definiert das Unternehmen die "Zunahme des Indikators Zukunftsangst auf 55 Prozent". Außerdem gebe es Hinweise, dass SDA auch einzelne Ereignisse, wie zum Beispiel Demonstrationen, sehr genau beobachten würde. Auf internen Listen seien mehr als 35 Protestveranstaltungen in Deutschland notiert worden, die im Herbst 2022 stattfanden.
Die Alternative für Deutschland, AfD, und das Bündnis Sahra Wagenknecht, BSW, werden seit Monaten für ihre russlandfreundliche Politik kritisiert. Vor allem in der AfD sind zahlreiche Politikerinnen und Politiker durch umstrittene Kontakte zu russischen Propagandamedien aufgefallen. Die beiden AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl gerieten wegen ihrer Russland-Kontakte in die Kritik. Der AfD-Europaabgeordnete Maximilian Krah wurde unter anderem vom US-amerikanischen FBI über Zahlungen von prorussischen Aktivisten befragt. Und dem AfD-Politiker Petr Bystron wird vorgeworfen, Geld von einer russischen Propaganda-Plattform erhalten zu haben.
Korrekturhinweis: Das BSW wurde im Text ursprünglich an einer Stelle falsch bezeichnet, die Stelle wurde am Veröffentlichungstag dann korrigiert.