Desinformation kontra Demokratie
19. März 2024"Wie können wir unsere Demokratie schützen?" Diese Frage bewegt viele Menschen auf der Welt, wo freie Gesellschaften zunehmend unter Druck geraten. Ein Gradmesser dafür, wie stark dieser Druck auch in Deutschland ist, könnte die Zahl der öffentlichen Auftritte eines Geheimdienst-Präsidenten sein: Thomas Haldenwang leitet das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und war seit seinem Amtsantritt 2018 auffallend häufig auf Pressekonferenzen oder Diskussionsrunden anzutreffen.
Zwei Jahre nach dem Beginn des völkerrechtswidrigen Krieges Russlands gegen die Ukraine gehört Haldenwang zu den eindringlichsten Mahnern und Warnern vor Desinformation, Fake News und Spionage. Dass er die Gefahren 2024 für besonders groß hält, machte er jetzt auf einer Veranstaltung der Freien Demokraten (FDP) im Deutschen Bundestag deutlich.
Mehr Desinformation im Superwahljahr 2024?
Haldenwang verwies auf die in diesem Jahr bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament, die Präsidentschaftswahl in den USA und drei Landtagswahlen in Deutschland. Zweifellos sei das ein "Superwahljahr" und deshalb müsse man noch stärker mit Desinformation rechnen. Sie werde gezielt verbreitet, "um politische Gegner zu diskreditieren und Wähler zu verunsichern, um die Demokratie und ihre Institutionen zu untergraben", sagte der BfV-Präsident.
Dass Deutschland zu den bevorzugten Angriffszielen russischer Propaganda und Spionage zählt, zeigte sich an den sogenannten Taurus-Leaks. Dabei belauschten Hacker ein digital geführtes Gespräch hochrangiger Offiziere der Bundeswehr. Ein Vorfall, der auch und gerade den FDP-Sicherheitsexperten Konstantin Kuhle besonders alarmierte. Als Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) für die deutschen Nachrichtendienste weiß er wie wenige andere um die Brisanz solcher hybriden Bedrohungen.
Wie viel Geheimhaltung verträgt eine Demokratie?
Was Kuhle von Haldenwang hinter verschlossenen Türen erfährt, bleibt unter ihnen. Der Grund: Die Feinde der Demokratie sollen nicht erfahren, was deutsche Sicherheitsbehörden über sie wissen. Für eine offene, freie Gesellschaft kann diese Form der Geheimhaltung aber durchaus problematisch sein. Zumal der Verfassungsschutz mitunter fragwürdige Methoden anwandte.
Auf dieses Spannungsfeld zwischen notwendiger Verschwiegenheit und wünschenswerter Transparenz ging Kuhle ein und warb indirekt für Vertrauen in die Arbeit des Verfassungsschutzes: "Der schmale Grat zwischen der Verteidigung der Meinungsfreiheit auf der einen Seite und der Verteidigung gegen Desinformation auf der anderen Seite ist etwas, mit dem sich unsere Behörden jeden Tag beschäftigen", sagte der FDP-Politiker.
Deutsche Welle: Verteidigerin der Demokratie
Einen aufmerksamen Blick auf Geheimdienste im In- und Ausland einerseits und auf die eigene Bedrohung haben naturgemäß die Medien. Auch in demokratischen Ländern müssen sie damit rechnen, jederzeit ins Visier fremder Mächte zu geraten. Das gilt besonders für einen internationalen Sender wie die Deutsche Welle (DW). Die mit Steuergeld finanzierte, aber staatlich unabhängig berichtende Rundfunkanstalt versteht sich wie der Verfassungsschutz als Verteidigerin der Demokratie.
Intendant Peter Limbourg skizzierte bei der FDP-Veranstaltung zu den Gefahren von Desinformation die Rolle der DW, die Programme in 32 Sprachen anbietet. Wichtig sei, für Menschen da zu sein, die an die Demokratie glaubten: "In Russland, in China, in Belarus, in Venezuela, wo auch immer." Allerdings versuchten die Machteliten in Ländern ohne Pressefreiheit immer wieder, den Empfang der DW-Angebote einzuschränken oder gleich ganz zu sperren.
Leichtes Spiel für Diktatoren und Autokraten?
Aktuell erreicht die Deutsche Welle mit ihren Angeboten wöchentlich weltweit rund 320 Millionen Menschen. Aber Limbourg sorgt sich, dass die Programme durch restriktive Maßnahmen in den Zielgebieten für viele nur noch schwer oder schlimmstenfalls gar nicht mehr zu empfangen sein werden. Und das hätte gravierende Folgen: "Wenn wir nicht erreichbar sind, dann wird es für die Diktatoren und Autokraten immer einfacher", betonte der DW-Intendant.
Für die Gefahren russischer Desinformation und Propaganda ist Estland aufgrund seiner Geschichte besonders sensibilisiert. Das nördlichste Land im Baltikum grenzt direkt an Russland. 1940 wurde Estland während des Zweiten Weltkriegs von der damaligen Sowjetunion annektiert und erlangte erst 1991 erneut seine Unabhängigkeit. Die Botschafterin Estlands in Berlin, Marika Linntam, sprach auf der Veranstaltung im Deutschen Bundestag von einem "Schattenkrieg" gegen die Demokratie.
Wie Estland die Medienkompetenz stärkt
"Er findet nicht auf dem Schlachtfeld statt, sondern in den Köpfen und Herzen der Menschen" sagte Linntam. Russlands Ziel sei es, zu destabilisieren, Unsicherheit zu schaffen und zu manipulieren. Um sich dagegen so gut wie möglich zu wappnen, tut Estland viel für eine bessere Medienkompetenz seiner Bevölkerung.
Die Botschafterin berichtete von Partnerschaften zwischen Behörden, Medien, der Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf junge Menschen gerichtet: Schon seit 2010 gebe es an Gymnasien einen Pflichtkurs "Medien und Manipulation".