Russlands Handelskriege
29. September 2016Moskau kritisiert die vom Westen gegen die Russische Föderation verhängten Wirtschaftssanktionen. Doch der Kreml selbst greift schnell und bereitwillig in der Wirtschaft zu einer Waffe: dem Embargo. Das jüngste Beispiel ist der Streit um russische Weizenexporte nach Ägypten, dem wichtigsten Auslandsmarkt für russisches Getreide im vergangenen Jahr. Internationale Standards erlauben einen Gehalt von 0,05 Prozent Mutterkornpilz. Doch in diesem Jahr verlangte Kairo plötzlich Null Prozent.
Frankreich und andere Länder, die traditionell Getreide nach Ägypten liefern, beteiligten sich einfach nicht mehr an den ägyptischen Ausschreibungen. Russland dagegen griff zur Erpressung. Am 19. September erklärte es einen vorübergehenden Einfuhrstopp von Obst und Gemüse aus Ägypten unter dem fadenscheinigen Vorwand einer "systematischen Verletzung internationaler und russischer phytosanitärer Anforderungen" durch die ägyptische Seite.
Schon zwei Tage später hob Ägypten seine Null-Prozent-Forderung auf. Noch einmal fünf Tage später bat eine ägyptische Delegation in Moskau darum, das russische Embargo für Obst und Gemüse aufzuheben. Die russische Agraraufsichtsbehörde "Rosselchosnadsor" kündigte noch am selben Tag an, das Importverbot - ausgenommen Kartoffeln - wieder aufzuheben. Der Erfolg dieses Weizen-Blitzkriegs dürfte die russischen Behörden weiter in ihrem Glauben bestärken, dass Druckmethoden schnell zum gewünschten Ziel führen.
Erfolgreicher Feldzug gegen die Türkei
Während Moskau in Ägypten nur ein lokales Außenhandels-Problem zu regeln hatte, wollte der Kreml im jüngsten Handelskrieg mit der Türkei zwei ehrgeizige Aufgaben lösen: Einerseits ging es Moskau um eine außenpolitische Strafaktion - die Rache für den Abschuss eines russischen Jagdbombers durch das türkische Militär. Andererseits ging es Russland um Protektionismus - den Schutz russischer Obst- und Gemüseproduzenten vor türkischer Konkurrenz und die Förderung von Tourismus in Sotschi und auf der Krim.
Russland hat auch diesen Krieg gewonnen. Die türkische Tourismusbranche erlitt Verluste in Milliardenhöhe. Millionen russischer Touristen blieben fern, da Moskau den Verkauf von Pauschalreisen in die Türkei verbot. Natürlich litten auch russische Reiseanbieter und Fluggesellschaften unter dem Verbot.
Letztendlich musste der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nach St. Petersburg reisen, wo er am 9. August mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin "Frieden" schloss. Doch selbst danach hörte Russland nicht auf, wirtschaftlich zuzuschlagen: Moskau hob das Embargo für türkisches Obst und Gemüse nicht auf, sondern versprach nur, dies in Zukunft zu tun. Mit der Wiederaufnahme der Charterflüge nach Antalya wartete der Kreml bis zum Ende der Sommerferien in Russland.
Protektionismus unter dem Deckmantel von Gegensanktionen
Doch den größten und längsten Handelskrieg führt Russland gegen die EU. Auch hier ist Protektionismus das Motiv. Nach und nach wurde - in Verletzung der Bestimmungen der Welthandelsorganisation WTO - der russische Markt für europäische landwirtschaftliche Erzeugnisse geschlossen.
Das begann lange, bevor der russische Präsident Putin am 6. August 2014 per Dekret als Reaktion auf die Wirtschaftssanktionen des Westens ein Embargo gegen Lebensmittel aus der EU und einer Reihe westlicher Länder verhängte. So wurde bereits am 1. Juli 2013 die Einfuhr von Saatgut und Speisekartoffeln aus der EU begrenzt, am 27. Januar 2014 der Import von lebenden Schweinen und Schweinefleisch aus der EU verboten und am 1. August 2014 die Einfuhr von Äpfeln und anderem Obst und Gemüse aus Polen gestoppt.
In Russland profitieren von diesem Handelskrieg die inländischen Produzenten. Der russische Verbraucher hingegen leidet unter ihm, denn er bekommt Produkte schlechterer Qualität zu höheren Preisen. In der EU leiden unter dem Handelskrieg vor allem die osteuropäischen Länder, die Verluste beim Absatz von Schweinefleisch, Milch sowie von Obst und Gemüse hinnehmen müssen. Doch sie werden von Brüssel teilweise entschädigt. Die meisten von ihnen haben sich auf andere Märkte umorientiert oder ihre Produktion reduziert. Makroökonomische Auswirkungen auf die gesamte EU hat dieser Handelskrieg nicht.
Handelskrieg in der Eurasischen Wirtschaftsunion?
Inzwischen scheint sich Moskau daran gewöhnt zu haben, Handelsprobleme mit Druck zu lösen. Der Kreml wendet solche Methoden offenbar zunehmend auch in den Beziehungen zu seinen Partnern in der Eurasischen Wirtschaftsunion an, obwohl Handelskriege innerhalb eines gemeinsamen Binnenmarktes völliger Unsinn sind.
Beispielsweise führt Russland offiziell keinen Wirtschaftskrieg gegen Weißrussland. Doch der Präsident des Landes, Alexander Lukaschenko, warf am 20. September Russland und direkt der Agraraufsichtsbehörde "Rosselchosnadsor" vor, im Interesse russischer Oligarchen den Import einiger weißrussischer Waren - vor allem Lebensmittel - zu blockieren. Zwei Tage später erklärte die russische Behörde diese Beschwerden für haltlos. Ein solcher Ton ist in der Regel ein Merkmal für einen sich ausweitenden Handelskrieg.