Russland vor der Wahl: Boris Nadeschdin gegen Wladimir Putin
30. Januar 2024Die erste Hürde hat er gemeistert: Boris Nadeschdin darf 100.000 Unterschriften sammeln. Unterschriften, die er braucht, um bei der russischen Präsidentschaftswahl im März gegen Amtsinhaber Wladimir Putin antreten zu dürfen. Nach eigenen Angaben hat er sogar schon 200.000 zusammen - mehr als genug, um sie bei der Zentralen Wahlkommission der Russischen Föderation einzureichen, selbst wenn diese einige nicht anerkennen sollte. Erst nach Prüfung durch die Wahlkommission kann Nadeschdin als Präsidentschaftskandidat registriert werden. In der Vergangenheit waren bereits mehrfach Kandidaten wegen angeblicher "Formfehler" nicht zugelassen worden - etwa, weil Wahlhelfer angeblich teilweise Unterschriften nicht korrekt erfasst haben.
Nadeschdins Helfer aber fühlen sich gut vorbereitet. "Wir sammeln Unterschriften aus 200 Städten, 65 Regionen Russlands und von russischen Wahlberechtigten in 30 anderen Ländern, darunter Deutschland", erklärt Boris Nadeschdin im DW-Interview. Sollte die Zentrale Wahlkommission sich weigern, ihn zur Wahl zuzulassen, will er Massenkundgebungen in 150 Städten des Landes beantragen. Das hatte er bei einem Treffen mit seinen Anhängern in Moskau verkündet. Aber wer ist dieser Mann, der es wagt, Wladimir Putin politisch die Stirn zu bieten?
Wer ist Boris Nadeschdin?
Politisch gesehen ist der heute 60-jährige Nadeschdin kein unbeschriebenes Blatt. Seine politische Karriere begann in den 1990er Jahren als Berater des damaligen Vizepremierministers Boris Nemzow und Assistent von Ministerpräsident Sergej Kirijenko. Auch stand er mit Wladimir Putin nach dessen erster Wahl zum Präsidenten im Jahre 2000 in engem Kontakt. Dieser brach jedoch nach der Festnahme des Oligarchen Michail Chodorkowski im Jahr 2003 ab. Schon damals festigte Putin seine Macht und begann rücksichtslos gegen seine Gegner vorzugehen.
Heute ist Nadeschdin der einzige Antikriegskandidat, der zur Wahl zugelassen werden könnte. "Putin hat einen fatalen Fehler begangen, als er die Spezielle Militäroperation ins Leben rief. Keines der erklärten Ziele ist erfüllt worden. Und es ist unwahrscheinlich, dass sie erfüllt werden, ohne der Wirtschaft großen Schaden zuzufügen und Russlands Demographie einen irreparablen Schlag zu versetzen", schreibt Nadeschdin auf seiner Website. Für ihn ist das Russland der Zukunft eines, in das freie und gebildete Menschen zurückkehren wollen und das den Krieg in der Ukraine beendet. Nadeschdin zeichnet damit ein völlig anderes Bild seines Landes als Putin.
Vor allem junge Menschen unterstützen Nadeschdin
Vor Nadeschdins Wahlbüro haben sich schon mehrfach lange Schlangen gebildet. Tausende, meist junge Menschen harren stundenlang in bitterer Kälte aus, um für ihn zu unterschreiben. "Die meisten meiner Unterstützer sind ziemlich jung, zwischen 20 und 30. Aber es gibt auch Ältere, die mich unterstützen. Die älteste Person, die für mich unterschrieben hat, ist eine Frau aus Orjol, die 1936 geboren wurde", erzählt Nadeschdin der DW.
Vor allem der jungen Generation ist es wichtig, sich zu positionieren, zu demonstrieren und nicht in den Krieg ziehen zu müssen. Sie sind die potenziellen Wähler Nadeschdins.
Der Politologe Dmitri Oreschkin kann sich vorstellen, dass Nadeschdin besonders junge Menschen mobilisieren kann: "20 bis 25 Prozent der Bevölkerung unterstützen Putin nicht. Das Problem ist, dass sie nicht wählen gehen." Sie hätten weder für den russischen Präsidenten noch für das politische System insgesamt etwas übrig und verachteten das Wahlverfahren. Daraus erwachse die wichtigste Ressource für Putins Sieg, erläutert Oreschkin. "Wenn Nadeschdin also nicht gestört würde - und er wird gestört werden, daran besteht kein Zweifel! - könnte er zehn oder fünfzehn Prozent der Stimmen bekommen."
Unterstützung durch die Opposition
Ekaterina Duntzowa hat als erste die Nominierung von Boris Nadeschdin unterstützt, nachdem sie selbst von der Zentralen Wahlkommission wegen angeblicher "zahlreicher Fehler" von der Kandidatur ausgeschlossen worden war. Er sei der einzige Antikriegskandidat, betont sie. Selbst die üblichen Oppositionskandidaten, die selten einer Meinung ist, haben sich bereit erklärt, Nadeschdin zu unterstützen: Maxim Katz, Michail Chodorkowski, das Korruptionsbekämpfungsteam (FBK) des inhaftierten Kremlkritikers Alexej Nawalny sowie dessen Ehefrau Julia Nawalnaja.
"Ich habe weder mit Chodorkowski noch mit jemand anderem kommuniziert. Ich habe sie weder um Geld noch um Unterstützung gebeten. Aber ich bin jedem russischen Bürger dankbar, der mich in legaler Form unterstützt", erklärt Nadeschdin der DW.
Boris Nadeschdin sei ein eher schwacher Politiker, der nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, so Nikolai Petrow, Gastwissenschaftler bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. In der Vergangenheit galt er eher als Pragmatiker, der auch schon mal mit dem Kreml kooperierte, wenn es seinen eigenen Zwecken dienlich schien. Dass sich die in vielen Fragen grundsätzlich gespaltenen Oppositionskräfte in diesem Fall auf ihn einigen konnten, erklärt Petrow wie folgt: "Natürlich kann man Nadeschdin nicht als eine einigende Figur der Opposition bezeichnen. Er ist einfach der einzige Kandidat, der sich in irgendeiner Weise gegen den Krieg stellt."
Wie realistisch ist ein Sieg Nadeschdins?
Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass Wladimir Putin am 17. März zum fünften Mal zum Präsidenten gewählt wird. Wie gering die Chancen für einen Sieg Nadeschdins gesehen werden, lässt sich an einer Antwort von Kremlsprecher Dmitri Peskov auf Fragen von Journalisten ablesen: "Wir betrachten ihn nicht als Konkurrenten."
Auch für Dmitri Oreschkin ist klar, dass Boris Nadeschdin keine ernsthafte Gefahr für Putin darstellt. Im Gegenteil: Er könnte für den Kreml von Nutzen sein, zumindest um den Anschein legitimer und freier Wahlen zu bewahren. "Für den Kreml ist es sicherlich günstig, bequeme oder akzeptable Kandidaten auf der Kandidatenliste zu haben. Ich denke, Boris Nadeschdin fällt in die Kategorie der akzeptablen Kandidaten. Allerdings nur, solange er nicht mehr als fünf Prozent der Stimmen erhält. Im Idealfall sollte Putin 80 Prozent bekommen, der zweite Platz sollte an Leonid Slutsky gehen", sagt Oreschkin im DW-Interview. Slutsky ist der Vorsitzende der rechtsextremen Partei LDPR, ist aber kein Oppositioneller und unterstützt auch den Krieg in der Ukraine.
Sollte Nadeschdin mehr als fünf Prozent der Stimmen bekommen oder sogar Zweiter werden, wäre es, wenn auch kein politischer, so doch zumindest ein ideologischer Sieg: Denn das Bild des Zusammenhalts der russischen Bevölkerung gegen die Ukraine und den Westen, welches der Kreml nur zu gerne nutzt, würde sichtbare Kratzer bekommen.