Kein Russland-Ausschluss in Rio
24. Juli 2016Bisher ist noch nie ein Land wegen Dopingvergehens komplett von Olympischen Spielen ausgeschlossen worden. Und das bleibt auch so: Das Internationale Olympische Komitee entschied sich für eine Kompromiss-Lösung: Es lässt ein Rumpfteam bei den Spielen starten. Sportler, die gegenüber ihren jeweiligen Weltverbänden den Nachweis erbringen können, nicht in das russische Staatsdopingsystem involviert gewesen zu sein, dürfen in Rio starten. "Die IOC-Exekutive stand vor einer sehr schwierigen Entscheidung. Wir mussten die Konsequenzen aus dem McLaren-Report ziehen. Wir mussten dabei die Balance finden zwischen der Gesamtverantwortung und dem Recht des Einzelnen, um jedem Athleten gerecht zu werden", sagte IOC-Präsident Thomas Bach nach der Verkündung der Entscheidung in einer Telefonkonferenz: "Jeder muss die Chance haben, auf die Anschuldigungen zu reagieren, es gilt die Unschuldsvermutung. Deswegen haben wir strenge Kriterien entworfen, die jeder russische Sportler erfüllen muss, wenn er an den Olympischen Spielen teilnehmen will." Die russischen Leichtathleten waren schon vorher von den Spielen ausgeschlossen worden.
Seit Sonntagmittag hatte das IOC final beratschlagt. Die Telefonkonferenz des 15-köpfigen Exekutiv-Komitees unter der Leitung des deutschen Präsidenten Bach hatte um 12.00 Uhr (MESZ) begonnen. Um 16 Uhr (MESZ) gab es dann die Telefon-Pressekonferenz mit der Bekanntgabe. Russische Medien hatten bereits 45 Minuten zuvor darüber berichtet. "Die Entscheidung wird sicher nicht jedem gefallen, aber es geht um Gerechtigkeit. Die Entscheidung respektiert das Recht eines jeden sauberen Athleten auf der ganzen Welt", begründete Bach den Beschluss und fügte hinzu: "Die Botschaft ist eindeutig. Es wird eine Gesamtverantwortung angenommen angesichts der üblen Anschuldigungen, aber es soll auch eine Ermutigung für alle sauberen Athleten sein. Man kann im russischen Sport ein Vorbild sein, wenn man sauber ist."
Bach: "Wir schützen sauberer Athleten"
Die internationalen Sommersportverbände sollen nun alle Einzelfälle prüfen und dann in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Sportgerichtshof CAS darüber befinden, welche russische Athleten in welchen Sportarten antreten dürfen. Sportler, denen schon einmal Doping nachgewiesen werden konnte, sind von vornherein raus. "In diesem Sinne schützen wir saubere Athleten, weil wir strenge Kriterien für russische Sportler festgelegt haben", sagte Bach.
Russlands Sportminister Witali Mutko zeigte sich sicher, dass die meisten Athleten beim Ringe-Spektakel in Brasilien dabei sein werden. "Die Kriterien sind sehr hart, aber ich bin überzeugt, dass die meisten Athleten sie erfüllen", befand er. "Das ist eine rechtmäßige Lösung", sagte der Chef des Sportausschusses im russischen Parlament, Dmitri Swischtschjow. "Aber solche Entscheidungen sollten nicht nur in Bezug auf russische Athleten, sondern auf Sportler in der ganzen Welt getroffen werden. Dann wäre das Problem Doping endgültig ausgerottet", sagte er der Agentur Tass zufolge in Moskau.
Staatsdoping nachgewiesen
Der am vergangenen Montag veröffentlichte McLaren-Report der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA hatte dem IOC eigentlich keine Wahl gelassen: Er lieferte Belege für Staatsdoping im russischen Sport - weit über die Leichtathletik hinaus. Positive Doping-Kontrollen russischer Athleten wurden demnach mit einem System manipuliert, von dem das nationale Sportministerium mindestens Kenntnis hatte.
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte daraufhin eilig die Gründung eines Anti-Doping-Ausschusses bis zum 28. Juli angekündigt, der vom langjährigen IOC-Mitglied Witali Smirnow geleitet werden soll. Unterstützung holte sich Russlands Staatsoberhaupt dazu unter anderem von Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow, der sich in einem Brief an Bach wandte.
Die internationalen Dopingjäger der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA hatten vom IOC eine Sperre ohne Ausnahme gefordert. 14 nationale Agenturen, darunter auch die deutsche NADA, konnten sich einen Komplett-Ausschluss mit Ausnahmegenehmigungen vorstellen. Auch das Internationale Paralympische Kommitee (IPC) reagierte auf den McLaren-Report und eröffnete am Freitag ein Ausschlussverfahren gegen den russischen Nationalverband. Damit droht auch Russlands Behindertensportlern das Aus für die Paralympics in Rio (7. bis 18. September).
Kronzeugin Stepanowa darf nicht starten
Dass die russischen Leichtathleten nicht an den Start gehen dürfen, hatte der Internationale Sportgerichtshof CAS am Donnerstag entschieden: Er wies den Einspruch von 68 russischen Leichtathleten gegen die Aussperrung durch den Weltverband IAAF ab. Dabei sein darf allerdings die russische Weitspringerin Darja Klischina, die außerhalb des russischen Dopingsystems in den USA trainiert. Sie profitiert deshalb von einer Ausnahmegenehmigung der IAAF. Dieselbe IAAF-Genehmigung hatte auch Whistleblowerin Julija Stepanowa erhalten, doch das IOC lehnte ihren Antrag, unter der olympischen Flagge antreten zu dürfen, ab. Sie erfülle angesichts ihrer Doping-Vergangenheit trotz ihrer Verdienste um Aufklärung nicht die "ethischen Anforderungen", begründetet das IOC am Sonntag in Lausanne.
Positive Nachtests
Wie aussichtslos der Anti-Doping-Kampf scheint, wird durch die kürzlich veröffentlichen Ergebnisse der zweiten Welle der Nachuntersuchungen von Proben der Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking und 2012 in London deutlich: Hier wurden weitere 45 Sportler überführt, darunter 23 Medaillengewinner von Peking und acht von London. Bereits im Mai hatte es bei den ersten Nachuntersuchungen 53 positive Fälle (30 Peking, 23 London) gegeben. Darunter waren 22 (14/8) russische Sportler.
og/ck (sid, dpa)