Stimmen zur Entscheidung des IOC
24. Juli 2016Von verpassten Chancen sprechen viele Funktionäre und Athleten kurz nach Bekanntgabe der Entscheidung des IOC für die Zulassung Russlands bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro. Die Verantwortung sei schlicht an die jeweiligen Weltverbände abgegeben worden. "Das IOC hatte die Chance ein Statement abzugeben", so Richard Pound, ehemaliger Chef der Anti-Doping-Agentur WADA. Diese sei durch die Entscheidung des IOC "vergeudet" worden. Mit scharfer Kritik fuhr er fort: "Bach (Thomas Bach, Präsident des IOC, Anm. d. Red.) und das IOC haben null Toleranz gegenüber Doping, außer es geht um Russland".
An eine "Grundlage für einen Komplett-Auschluss Russlands" glaubte eigentlich Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes angesichts des CAS-Urteils. Auch für ihn ist die Entscheidung daher nicht nachzuvollziehen: "Ich halte die Entscheidung für problematisch, hier entsteht leicht der Eindruck, dass politische Rücksichtnahmen höher gewichtet worden sind als die Frage der Glaubwürdigkeit des Sports." Er fragt sich, wie bei einer "Art des Staatsdopings zwischen involvierten und nicht involvierten Athleten glaubwürdig differenziert werden kann". Zudem habe das IOC mit dem fehlenden Startrecht für Julia Stepanowa eine "große Chance verpasst, ein Zeichen im Kampf gegen Doping zu setzen."
Hart, konsequent - und absehbar
Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, versuchte es diplomatisch: Das IOC habe damit "eine zweifelsohne schwierige, harte und in mehrfacher Hinsicht konsequente Entscheidung getroffen." Schließlich zeige der "erstmalige generelle Ausschluss aller vom Staatsdoping betroffenen Athletinnen und Athleten eines nationalen Teams, dass die Nulltoleranz-Politik auch künftig weltweit gilt." Für ihn sei es entscheidend, "dass aus der jetzigen Situation die richtigen Lehren gezogen werden". Hörmann sprach weiter von einem "Neubeginn im Kampf gegen Doping", falls dies gelingen sollte.
Bereits abgesehen hatte die Entscheidung hingegen der Präsident des Tischtennis-Weltverbandes Thomas Weikert: "Das IOC hat eine von mir erwartete Entscheidung getroffen. Ich hätte mir aber gewünscht, dass das IOC selbst in dieser Frage mehr Verantwortung übernommen hätte."
Erleichterung in Russland
Russlands Sportminister Witali Mutko schien erleichtert und zuversichtlich zugleich: "Ich bin sicher, dass die Mehrheit der infrage kommenden russischen Sportler in Rio antreten wird. Ich bin dem IOC für die getroffene Entscheidung dankbar." Seiner Meinung nach sei dies eine Entscheidung für den Sport: "Ich finde, dass diese Entscheidung im Interesse des internationalen Sports getroffen wurde."
Auch Jelena Issinbajewa, zweimalige Stabhochsprung-Olympiasiegerin, ist froh über die Zulassung für Olympia. "Ein kompletter Ausschluss der russischen Mannschaft wäre ein riesiger sportpolitischer Skandal gewesen. Das IOC hat glücklicherweise verstanden, es kann sich im Moment auch keinen Skandal erlauben", sagte die 34-Jährige. Harte Worte fand sie unterdessen für Whistleblowerin Julia Stepanowa, die nicht starten darf: "Sie sollte lebenslang gesperrt werden. Ich verstehe die Aufregung über einen Menschen, der gedopt hat, und dafür bestraft wurde, nicht. Sie zu einer Heldin zu machen, ist wie ein Schlag ins Gesicht."
Experte fassungslos: "Widerliches, abgekartetes Spiel"
Aus Experten-Kreisen sind die Stimmen eindeutig und scharf. "Komplett versagt" haben das IOC und Thomas Bach laut Doping-Experte Fritz Sörgel. Er wählte deutliche Worte: "Das ist ein widerliches, abgekartetes Spiel. Allein die Tatsache, dass die russischen Sportfunktionäre mit der Entscheidung zufrieden sind, ist doch ein starkes Zeichen dafür, dass gemauschelt worden ist."
Für ihn hat diese Entscheidung Kalkül: "Es glaubt doch wohl niemand, dass das IOC das nicht im Vorfeld mit den Verbänden abgesprochen hat. Der olympische Gedanke hat großen Schaden genommen. Das IOC hätte endlich ein Exempel statuieren können, aber das war doch nie ernsthaft vorgesehen." Das Startverbot für Julia Stepanowa ist auch für ihn unverständlich: "Es wäre eine wichtige symbolische Geste gewesen, sie dort antreten zu lassen. Aber da hat man lieber vor dem russischen System einen Knicks gemacht."
NADA: "Fatales Signal"
Auch die Nationale Anti Doping Agentur NADA reagierte enttäuscht: "Die NADA hat sich ein klares Signal für den sauberen Sport gewünscht, das ausgeblieben ist. Die Entscheidung lässt leider viele Fragen offen und schwächt dadurch das Anti-Doping-System." Die Prüfung und Bewertung der Einzelfälle an die internationalen Fachverbände zu übertragen, hält die NADA für "falsch. Es gibt keine einheitlichen Regeln für ein einheitliches und fachmännisches Vorgehen aller internationalen Verbände. Dies führt zu einem unterschiedlichen Vorgehen der Sportarten. Dies ist ein fatales Signal."
Ähnlich enttäuscht von der Entscheidung zeigte sich auch Joseph de Pencier, Vorsitzender des Dachverbands von 59 nationalen Anti-Doping-Agenturen (iNADO). "Es ist ein trauriger Tag für den sauberen Sport", sagte der Kanadier: "Das IOC hat den Ruf der ungedopten Athleten, einer Vielzahl von Athleten-Organisationen und führender Nationaler Anti-Doping-Komitees ignoriert. Es ist alles andere als das Zeichen für Fair Play als Kerngedanke der Olympischen Idee, das nötig gewesen wäre."
kb/og (sid/dpa)