Karlspreisträger auf nationalistischem Abweg
14. Mai 2020Rumäniens deutschstämmiger Staatspräsident Klaus Iohannis, im Amt seit 2014 und in diesem Jahr Karlspreisträger, ist eigentlich der politische Gegenentwurf zu den Nationalisten in Mittel- und Südosteuropa. Er steht laut eigenem Bekunden für die Werte der liberalen Demokratie und des Rechtsstaats, tritt für europäische Verständigung ein und gehört selbst einer Minderheit Rumäniens an, den Siebenbürger Sachsen.
Nun jedoch hat Iohannis sein politisches Credo selbst mit Füßen getreten, indem er eines der hartnäckigsten Narrative rumänischer Nationalisten offenbar für ein wahltaktisches Manöver nutzte: In einer Video-Presseerklärung beschuldigte er Ende April die größte Oppositionspartei, die Sozialdemokraten, zusammen mit Vertretern der ungarischen Minderheit Rumäniens den Landesteil Siebenbürgen (Transsilvanien) heimlich an Ungarn verschachern zu wollen. Dem ungarischen Premier Viktor Orbán warf er indirekt vor, in diesem angeblichen Szenario die Strippen zu ziehen. Gekrönt war Iohannis' Erklärung von einem gehässig-parodistischen Gebrauch einer ungarischen Grußformel.
Der Auftritt, der in Rumänien und Ungarn für große Aufregung sorgte, ist mehr als nur ein schwerwiegender persönlicher Tabubruch des rumänischen Staatspräsidenten. Er hat in der häufig überreizten rumänischen Innenpolitik bereits eine neue nationalistische Erregungsspirale in Gang gesetzt. Einschneidend sind auch die Folgen für das konfliktträchtige rumänisch-ungarische Verhältnis, das in der Region einer der wichtigsten Faktoren für Stabilität ist.
Anrüchiges Wahlkampfmanöver
Nominell ging es bei Iohannis' Auftritt um ein Autonomiestatut für eine Region im Südosten Siebenbürgens namens Szeklerland, in der überwiegend Ungarn leben. Seit vielen Jahren legen Vertreter des "Demokratischen Verbands der Ungarn in Rumänien" dazu immer wieder einen umstrittenen Gesetzentwurf vor, der regelmäßig zurückgewiesen wird. Ein nenneswertes mediales Echo hatte das in Rumänien schon länger nicht mehr.
Ende April war das Gesetz erstmals von der Unterkammer des rumänischen Parlaments "stillschweigend" angenommen worden - denn nach einer bestimmten Frist ohne Plenardebatte gilt ein Gesetz als automatisch verabschiedet. Diesen Vorgang bezeichnete Iohannis als heimliches separatistisches Szenario der Sozialdemokraten (PSD) und der ungarischen Minderheitenvertreter. Belege nannte er nicht, in Wirklichkeit war es wohl eher Schlamperei. Klar war jedoch von vornherein auch, dass die Oberkammer, die in einem solchen Fall zu einer Abstimmung im Plenum verpflichtet ist, das Gesetz zurückweisen würde.
Iohannis nutzte die Situation offenbar dennoch für ein anrüchiges politisches Spiel, denn: Die dem Präsidenten nahestehende nationalliberale Regierung hat seit längerem keine eigene Mehrheit im Parlament, dort sind die Sozialdemokraten die größte Oppositionskraft. Gegen Jahresende wird in Rumänien gewählt, dann geht es für Iohannis und die Nationalliberalen um eine seit langem ersehnte eigene Mehrheit. Noch vor einigen Monaten bestanden dafür relativ gute Aussichten. Doch in der Coronakrise gab die nationalliberale Regierung ein chaotisches Bild ab, was die Popularität der Partei zuletzt sinken ließ.
Unter Druck, als guter rumänischer Patriot zu erscheinen
In Rumänien war es in Krisensituationen und Wahlkämpfen lange gebräuchlich, die "ungarische Karte" zu spielen. Üblicherweise lief es auf den Vorwurf hinaus, Ungarn wolle Siebenbürgen wieder an sich reißen, das erst seit Ende des Ersten Weltkriegs zu Rumänien gehört. Die knapp anderthalb Millionen Ungarn im Land und ihre politische Vertretung im Parlament standen dabei häufig unter dem kollektiven Verdacht, "Fünfte Kolonne" und Landesverräter zu sein.
Vor ziemlich genau dreißig Jahren führte eine derartige Verschwörungstheorie fast zu einem Bürgerkrieg in Siebenbürgen. Inzwischen hat das Abspaltungsszenario unter Rumänen zwar an Mobilisierungskraft verloren, verschwunden ist es als politisches Instrument allerdings nicht. Die böse Ironie im jetzigen Fall: Ausgerechnet die häufig sehr nationalistischen Sozialdemokraten inszenierten in der Vergangenheit immer wieder üble antiungarische Kampagnen. Und ausgerechnet Iohannis, gegen den die Sozialdemokraten wegen seiner nicht-rumänischen Abstammung immer wieder hetzen, hatte diese Praxis kurz vor seiner Wahl 2014 scharf verurteilt.
Beobachter sagen Iohannis allerdings nach, dass er sich unter Nachweisdruck fühle, als guter rumänischer Patriot zu erscheinen. Fest steht, dass er sich nicht zum ersten Mal gegen die ungarische Minderheit positioniert. Im Frühjahr 2016 hatte er dem siebenbürgisch-ungarischen Pfarrer László Tökés einen hohen rumänischen Verdienstorden aberkannt, der ihm für seine herausragende Rolle beim Sturz der Ceaușescu-Diktatur verliehen worden war. Der Grund für die Aberkennung waren haarsträubende Separatismusvorwürfe gegen Tökés - initiiert hatten die Aberkennungsprozedur PSD-Politiker, darunter die spätere EU-Kommissarin Corina Crețu.
Orbán pumpt Millionensummen nach Siebenbürgen
Mit den jetzigen Äußerungen habe sich Klaus Iohannis persönlich aus den Reihen der europäischen Politiker disqualifiziert, schreibt der prominente liberale siebenbürgisch-ungarische Anwalt Péter Eckstein-Kovács. Der ehemalige Dissident und Bürgerrechtler Gabriel Andreescu spricht davon, dass Johannis der "fatalen Entfremdung der ungarischen Gemeinschaft Rumäniens" den Weg ebne. "Statt darauf hinzuwirken, dass die Ungarn sich in Rumänien zuhause fühlten, hat der rumänische Staat sie seit Jahrzehnten drangsaliert und gedemütigt", schreibt Andreescu. "Heute hat der rumänische Staat die Kontrolle über das Leben der Ungarn in Siebenbürgen großenteils verloren."
Die weitgehende Kontrolle darüber übt inzwischen Ungarns Premier Viktor Orbán aus. Seine Regierung pumpt jährlich viele Dutzend Millionen Euro nach Siebenbürgen, um die dortigen Ungarn zu unterstützen. Orbán braucht die Auslandsungarn, von denen viele die ungarische Staatsbürgerschaft besitzen, als Wähler.
Zunächst reagierte Orbán ungewöhnlich zurückhaltend auf Iohannis' Äußerungen. Inzwischen postete er aber auf seiner Facebook-Seite das Foto eines historischen Globus, das "Groß-Ungarn" in seinen Grenzen vor 1918 zeigt, also einschließlich Teile der heutigen Staaten Kroatien, Rumänien, Serbien und der Slowakei. Das vieldeutige Posting löste nicht nur in Rumänien große Empörung aus. Und eine Antwort des Bukarester Parlaments: Am Mittwoch erklärte eine große Mehrheit der Abgeordneten den 4. Juni zum nationalen Gedenk- und Festtag. Es ist der Tag, an dem Ungarn durch den Friedensvertrag von Trianon 1920 Siebenbürgen verlor. Viktor Orbán hatte 2010 den 4. Juni zum Tag des nationalen Zusammenhalts aller Ungarn in der Welt erklärt. Für viele Ungarn ist es immer noch ein Trauertag, auch ein Jahrhundert nach Trianon.