Rumänien streitet über Homo-Ehe
6. Oktober 2018"Verteidige die Familie und die Kinder Rumäniens! Wenn du nicht zur Abstimmung kommst, werden zwei Männer dein Kind adoptieren können!" Das war auf einem riesigen Plakat an der Außenfassade eines Wohnblocks im Zentrum der Großstadt Timisoara zu lesen. Nach einigen Tagen ist es wieder verschwunden - der Bürgermeister persönlich hatte darum gebeten, dass es entfernt wird. Die Stimmung ist aufgeheizt, auch in vielen Familien, Freundeskreisen und unter Arbeitskollegen wird seit Wochen heftig über Homosexualität, gleichgeschlechtliche Ehen oder Adoptionen durch gleichgeschlechtliche Paare gestritten. Am 6. und 7. Oktober können die Rumänen bei einem Referendum darüber abstimmen, ob in der Verfassung die Ehe als Bund zwischen "Mann und Frau" definiert werden soll. Bislang wird der geschlechtsneutrale Begriff "Ehegatten" verwendet.
Seit 2015 sammelten konservative und religiöse Gruppen, die sich zur "Koalition für die Familie" zusammengeschlossen haben, drei Millionen Unterschriften, um die Politik zu dieser Verfassungsänderung aufzufordern - in einem Land mit rund 20 Millionen Einwohnern. Parlament und Senat haben die Verfassungsänderung mit einer klaren Mehrheit befürwortet, auch mit Stimmen aus der Opposition, nur die Newcomer-Partei USR (Union zur Rettung Rumäniens) war geschlossen dagegen.
Paul Grigoriu: Homo-Ehe würde "Gesellschaft als Ganzes" bedrohen
Zwar ist in Rumäniens Zivilgesetzbuch eindeutig von der Ehe als Bund zwischen "Mann und Frau" die Rede. Doch das sei nicht genug, meint der Bukarester Musiker und Dolmetscher Paul Grigoriu, ein Unterstützer der "Koalition für die Familie": "In Rumänien ist es heutzutage leider sehr leicht, Gesetze zu ändern", sagt er im Gespräch mit der DW. Die Sozialdemokratische Partei PSD, die zusammen mit dem liberalen Juniorpartner ALDE regiert, hat unter anderem umstrittene Änderungen im Justizbereich beschlossen, die seit Anfang 2017 immer wieder zu Massenprotesten geführt haben. "Wenn etwas in der Verfassung steht, kann es nicht so leicht geändert werden", erläutert Paul Grigoriu, der auch in einem Video der "Koalition für die Familie" für ein "Ja" beim Referendum wirbt.
Er habe nichts gegen Homosexuelle, betont er mehrmals im DW-Interview: "Jeder tut in seinem Privatleben, was er will, und umso mehr in seinem Schlafzimmer. Aber was der Staat als Ehe anerkennt, ist etwas Anderes". Durch eine Legalisierung der Homo-Ehe würde "die Gesellschaft im Ganzen bedroht", der nächste Schritt sei nämlich, dass gleichgeschlechtliche Familien Kinder adoptieren könnten - also genau das, wovor das umstrittene Plakat in Timisoara warnte. "Mann und Frau sind zwar gleich, aber nicht identisch, und ein Kind braucht beide Einflüsse, um ein psychisches Gleichgewicht zu entwickeln", meint Paul Grigoriu - deshalb sei er gegen Adoptionen durch gleichgeschlechtliche Partner.
Vlad Viski: "Welle des Hasses" gegen Schwule und Lesben
Vor dem Referendum sei in der Öffentlichkeit immer wieder die Rede von Homosexuellen, die anderen angeblich die Kinder "wegnehmen" wollen, kritisiert der LGBT-Aktivist Vlad Viski, Direktor der Organisation MozaiQ in Bukarest. Unter dem Motto "Über die Liebe stimmt man nicht ab: Bleib Zuhause am 6-7 Oktober!" ruft MozaiQ zu einem Boykott der Volksabstimmung auf. Wenn nicht mindestens 30 Prozent der Wahlberechtigten teilnehmen, ist das Referendum ungültig. "In letzter Zeit sind mehrere Menschen zu uns gekommen und haben berichtet, dass sie auf offener Straße beschimpft oder sogar körperlich angegriffen wurden", sagt Vlad Viski im Gespräch mit der DW. Im Vorfeld des Referendums beobachte er eine "Welle des Hasses" gegen Schwule und Lesben im öffentlichen Raum.
Andererseits gebe es auch überraschend viel Zuspruch: "Viele Heterosexuelle, die bisher überhaupt keine Meinung zu diesem Thema hatten, unterstützen uns jetzt und kündigen an, das Referendum zu boykottieren." Auf der anderen Seite ruft die Orthodoxe Kirche Rumäniens die Gläubigen dazu auf, zum Referendum zu gehen und mit "Ja" zu stimmen, damit eine Homo-Ehe auch in Zukunft nicht möglich ist. Der LGBT-Community in Rumänien gehe es heutzutage nicht um die gleichgeschlechtliche Ehe, so wie sie beispielsweise in Deutschland vor einem Jahr eingeführt wurde, sagt Vlad Viski: Das Ziel sei ein Gesetz, dass die eingetragene Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare ermöglicht. In Deutschland wurde das Lebenspartnerschaftsgesetz 2001 verabschiedet - im selben Jahr, in dem in Rumänien der Artikel 200 des Strafgesetzbuches abgeschafft wurde, der Homosexualität unter Strafe stellte, ein Relikt aus der Zeit der kommunistischen Diktatur.
Armand Gosu: "Rumänische Elite fühlt sich von Brüssel gedemütigt"
Viele Kritiker der rumänischen PSD und ihres vorbestraften Parteichefs Liviu Dragnea sehen im Referendum ein Ablenkungsmanöver der Regierung, damit sich die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf etwas Anderes richtet als auf die Probleme im Justizwesen und die Gewalt der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten am 10. August. Aus der Sicht des rumänischen Politologen und Historikers Armand Gosu, Fellow der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, geht es aber um viel mehr. "Es ist ein anti-westliches Manifest Rumäniens. Die Elite, die Rumänien seit dem Ende der Diktatur 1989 regiert und ihre Wurzeln in der alten Nomenklatura hat, fühlt sich von Brüssel gedemütigt", erläutert er gegenüber der DW.
Zu dieser Elite gehörten viele Politiker mit schwerwiegenden Problemen mit der Justiz, die daran interessiert seien, diese zu kontrollieren und Amnestiegesetze durchzudrücken. Doch die EU stehe ihnen noch im Weg - viel mehr als die schwache Opposition im eigenen Land: "Brüssel hört nicht auf, daran zu erinnern, dass sich die rumänische Regierung von Rechtsstaat und unabhängiger Justiz entfernt", sagt Gosu. Seit Mittwoch diskutiert das Europäische Parlament die Gefahren für den Rechtsstaat in Rumänien.
Doch nach diesem Referendum könnte sich Rumänien von "Brüssel" entfernen und "in den Osten zurückkehren", meint der Politologe Armand Gosu: näher an die byzantinisch-orthodoxe Zivilisation - und näher an Putins Russland.