Ruhe vor dem Sturm in Ferguson?
19. November 2014"Den Tod hat er nicht verdient", sagt die 78-jährige Marthyell Hall in einem Supermarkt in Ferguson. Um ihre Aussage zu bekräftigen schüttelt die pensionierte Lehrerin den Kopf. Sie hat sich wegen der kalten Temperaturen in einen dicken Mantel gehüllt. Unter einer Kappe versteckt sie ihr Haar. "Der Polizist Darren Wilson muss sich vor Gericht für seine Tat verantworten." Die Afroamerikanerin, die seit über 50 Jahren in Ferguson lebt, spricht aus, was die meisten Anwohner von ihrem Justizsystem erwarten: einen fairen, öffentlichen Prozess. Wenn Darren Wilson ungeschoren davon komme, könne es erneut zu größeren Protesten in Ferguson und in St. Louis kommen, gibt sie zu. "Doch eigentlich sind wir müde und wollen nicht mehr demonstrieren", meint Marthyell Hall.
"Wir sind auf alles vorbereitet"
Der Bürgermeister von Ferguson, James Knowles, rechnet fest damit, dass es nach dem Urteil des Geschworenengerichts zu Demonstrationen kommen wird. Ob es wieder gewaltsame Auseinandersetzungen geben werde - er wisse es nicht. "Doch wir sind auf alles gut vorbereitet", sagt er. Von den knapp 400 Menschen, die seit dem Ausbruch der Unruhen von der Polizei wegen Unruhestiftung festgenommen worden waren, stammten nur 10 aus Ferguson, erklärt er. Will sagen: Die Krawallmacher reisen aus den ganzen USA an, um sich in dem Vorort von St. Louis mit der Polizei Schlägereien zu liefern.
Der weiße Bürgermeister in Ferguson arbeitet nur halbtags für die Politik. Nebenbei unterrichtet James Knowles Ringen in benachbarten Schulen. Er kennt die Menschen in der Umgebung: "Die meisten hier sind friedlich und kommen gut miteinander aus, ganz gleich ob es Weiße oder Schwarze sind."
Die 21-jährige Melissa - ihren Nachnamen will sie nicht nennen - traut dem Frieden dennoch nicht. Als der Bürgermeister sich auf den Nachhauseweg macht, verrät sie, dass der Ausschank einer örtlichen Brauerei nach der Entscheidung des Geschworenengerichtes für ein paar Tage geschlossen werden soll. "Für alle Fälle, wenn es wie in der Vergangenheit zu gewaltsamen Ausschreitungen kommen sollte."
Ferguson rechnet mit neuen Tumulten
Benachbarte Geschäfte in Ferguson sind bereits verriegelt. Sie haben riesige Bretter vor ihre Schaufenster genagelt. Nicht alle Läden sind geschlossen. Einige haben mit schwarzer Farbe und großen Buchstaben "Open" auf die Bretter gepinselt. Die Geschäftsleute haben in den vergangenen Monaten erlebt, dass die Sicherheitskräfte ihre Auslagen nicht beschützen konnten.
Wie viele Nationalgardisten und Polizisten in Ferguson zum Einsatz kommen werden? Eine genaue Zahl scheint derzeit niemand zu kennen. Im benachbarten St. Louis fordert Bürgermeister Francis Slay, dass neben den rund 1000 Polizisten mindestens 400 Soldaten der Nationalgarde in den Straßen patrouillieren sollen. Der demokratische Gouverneur von Missouri, Jay Nixon, hat kürzlich den Ausnahmezustand über den Bundesstaat verhängt. Bei einer Pressekonferenz konnte er die Frage, wer letztlich für die Sicherheit in Ferguson verantwortlich sei, nicht konkret beantworten. Die lokale Presse überschüttet ihn deshalb mit Spott und Häme.
Warten auf das Urteil der Geschworenen
Wann das Geschworenengericht endlich zu einem Urteil kommen werde, wisse jetzt niemand, meint jedenfalls Richard Hein, ein renommierter Anwalt. Seit über 20 Jahren arbeitet der Jurist in St. Louis. Sein Büro ist nicht weit weg von dem Gebäude, in dem die Geschworenen tagen. Sie kommen einmal die Woche zusammen, manchmal auch öfter. Es könne Tage dauern, vielleicht aber auch Wochen, bis sie entscheiden, ob die Beweise für einen Prozess gegen den Todesschützen Wilson ausreichen, so Hein. Die Geschworenen brauchen Zeit, um alle Hinweise sorgfältig zu begutachten, so der 44-jährige Anwalt. "Sie stehen unter einem enormen öffentlichen Druck", meint er. Sollte es zu einem Prozess kommen, würden andere Geschworene entscheiden, ob Darren Wilson schuldig sei oder nicht. Anders als viele seiner Kollegen kann sich Richard Hein durchaus vorstellen, dass der Polizist Wilson sich vor einem Gericht für seine Tat verantworten müsse. "Die Sache ist noch nicht entschieden."