Gespaltene Stadt
25. August 2014Es ist heiß in St. Louis: 36 Grad Celsius - auch nachdem die Sonne hinter der “Friendly Temple Missionary Baptist Church” schon untergegangen ist. In dem backsteinfarbenen Gotteshaus wird an diesem Montag (25.08.2014) um 10.00 Uhr Ortszeit die Andacht für den von einem weißen Polizisten erschossenen Michael Brown gehalten werden. Auf den schmutzigen Straßen patroullieren nur wenige Polizisten. Demonstranten sind weit und breit nicht zu sehen. Niemand darf vor dem Gottesdienst die Kirche betreten. Aus Sicherheitsgründen, sagt eine Polizistin, freundlich aber bestimmt.
Tausende Besucher erwartet
Die Andacht wird Pastor Michael Jones halten. Die Familie des getöteten Afroamerikaners hat ihn darum gebeten. Sie besucht regelmässig seine Gottesdienste. In der Kirche von Pastor Jones finden 2500 Menschen Platz. Aber zur Andacht für Michael Brown werden deutlich mehr Besucher erwartet, auch wenn sie an einem Werktag stattfindet. "Mindestens doppelt so viele werden kommen", sagt ein Gemeindemitglied. Deshalb habe die Kirche angrenzende Gebäude angemietet, in denen ebenfalls 2500 Gläubige, Freunde der Familie Brown und Nachbarn unterkommen können. Sie werden sich den Gottesdienst auf großen Leinwänden oder Fernsehbildschirmen ansehen.
Wenig Perspektiven
Ein paar Häuserblocks von der Kirche entfernt hocken drei afroamerikanische Männer auf den Stufen ihres zweistöckigen Hauses. "Hier gibt es gar nichts für uns: keine Jobs, keine guten Schulen, keine Perspektive, im Leben weiter zu kommen", sagt Shaw Williamms. Er sei von der Polizei mehrfach festgenommen und diskriminiert worden. "Fragen Sie wen Sie wollen in der Nachbarschaft: Wir haben alle ähnliche Erfahrungen gemacht." In den Augen der mehrheitlich weißen Polizei seien alle Schwarzen verdächtig, sagt er. Dass Michael Brown auf offener Straße von einem weißen Polizisten erschossen wurde, überrascht ihn nicht. "Das passiert hier immer wieder."
Nur wenige Autominuten entfernt scheinen sich die gesellschaftlichen Verwerfungen zu bestätigen: Das mexikanische Restaurant "Mission Taco Joint" ist bis auf den letzten Platz gefüllt - mit ausschließlich weißen Gästen. Alle paar Minuten kommen Obdachlose vorbei und bitten um ein paar Cent. Die Bettler sind alle Afroamerikaner. Kellnerin Carmen Smith ist vor ein paar Monaten in die Stadt gezogen. Sie will studieren und jobbt in Gasthäusern. "Um die Miete bezahlen zu können", sagt sie lächelnd. Sie versteht nicht, weshalb der Polizist Darren Wilson den unbewaffneten 18-jährigen Jungen erschossen hat. "Wenn er sich angegriffen gefühlt hat, hätte er ihn doch anschießen können, also verletzen", meint sie. Dafür müssten die Polizisten doch trainiert sein.
"Rassismus immer präsent"
Michael Berg, ebenfalls ein Weißer, ist der gleichen Meinung. Der 40jährige arbeitet für den Sierra Club in St. Louis. "Der Rassismus war immer da in dieser Stadt", sagt er. Die Tötung von Michael Brown habe das jetzt an die Weltöffentlichkeit gebracht. Und das sei gut so. Nie habe er in St. Louis oder in Ferguson so viele Journalisten gesehen. “Endlich berichten die Medien über das, was in dieser Stadt passiert”, sagt er und spricht von weit verbreiteter Korruption unter Politikern und Geschäftsleuten, von Umweltverschmutzung, von Behördenwillkür.
Es sei beschämend, dass die Leiche des ermordeten Michael Brown vier Stunden lang auf der Straße gelegen hätte. Er verstehe nicht, weshalb der Täter sich immer noch verstecken dürfe. "Jeder andere würde in einem solchen Fall im Gefängnis auf seinen Prozess warten müssen", meint er. Doch die Polizei und die Gerichte steckten unter einer Decke. "Was immer die Polizisten den Richter erzählen, diese glauben es ihnen."
Gespaltene Stadt
Wer mit den Anwohnern von St. Louis spricht, stellt schnell fest, dass die Stadt tief gespalten ist - in Sympathisanten der Opfer-Familie Michael Brown und in Unterstützer des Todesschützen Darren Wilson. Einige weiße Einwohner sammeln Geld für den weißen Polizisten, damit dieser sich einen guten Anwalt leisten kann. Sie glauben, dass er sich nur verteidigt habe. Doch diese Freunde und Anhänger wollen ihren Namen nicht in der Presse sehen.
Auch nach der Beerdigung von Michael Brown werde die Gegend nicht so schnell zur Ruhe kommen, meinen viele in St. Louis. Die Aufarbeitung vergangenen Unrechts, die Überwindung der Rassengrenzen, das alles habe gerade erst begonnen.