Roma gegen Flüchtlinge
19. Oktober 2016"Europäische Grenzschützer? In Bulgarien? Das kann nicht sein!" Ivan glaubt es nicht. Er hat noch nicht mitbekommen, dass die neue EU-Agentur für Grenz- und Küstenschutz seit 6. Oktober ihre Arbeit an der bulgarisch-türkischen Grenze aufgenommen hat.
Der Obstverkäufer steht auf dem Markt in Harmanli, eine Kleinstadt mit 18.000 Einwohnern, nur 30 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt. Auch ein Flüchtlingslager gibt es in der Stadt. "Die Flüchtlinge tun mir leid, sie werden betrogen", seufzt Ivan. Sie würden ihr Leben riskieren, viel Geld an Schlepper zahlen, um letztendlich in Bulgarien zu landen, wo die Bedingungen in den Flüchtlingslagern furchtbar und die Polizisten brutal seien, so sieht es Ivan.
In Harmanli hat niemand etwas davon gehört, dass an der bulgarisch-türkischen Grenze 130 EU-Beamte ihre Arbeit aufgenommen haben. Während die Grenzschützer unbemerkt bleiben, sorgen die Flüchtlinge in Harmanli für große Aufregung. Vor allem eine Frage treibt die Bevölkerung um: "Warum ist die Stadt voll von Polizei und Gendarmerie?"
Angeblich sollen die zusätzlich einbestellten bulgarischen Polizisten im Ort die Einwohner "vor den Flüchtlingen schützen", erzählen die Bewohner. Tatsächlich aber würden die Uniformierten die Einheimischen belästigen. "Innerhalb einer Woche wurden dreimal meine Papiere auf der Straße überprüft", regt sich der Lagerarbeiter Mitko auf. "Wieso überprüfen die mich? Ich wohne hier seit meiner Geburt."
Roma gegen Flüchtlinge
Seine Erklärung: Bei den Polizisten stehen die Roma unter Generalverdacht. Viele andere Männer aus Harmanli mit dunklerer Haut, die man in den Cafés, in den Geschäften, im Park oder im Roma-Viertel anspricht, haben die gleiche Erfahrung wie Mitko gemacht.
"Was machen die Polizisten hier?", fragt eine Frau, die gerade ihre Wäsche vor dem Haus aufhängt. "Hier laufen nur Roma herum, keine Flüchtlinge. Warum bedrängen die gerade uns?", fragt sie aufgeregt. Und eine Antwort hat sie auch schon parat: Entweder könnten die Polizisten keinen Unterschied zwischen den einheimischen Roma und den afghanischen Flüchtlingen machen, oder aber sie wollten gezielt die Roma einschüchtern.
Der massive Polizeieinsatz habe vor ein paar Wochen angefangen, erzählen Einheimische in einem Café im türkischsprachigen Roma-Viertel von Harmanli. Anlass sei eine Schlägerei im Flüchtlingslager gewesen. Man sollte die Flüchtlinge unverzüglich rauswerfen, regt sich einer auf. Sie seien "mit einem Messer in der Tasche" aufgewachsen, "gefährliche Leute".
Ein anderer junger Mann hat zwar keine Angst, ärgert sich aber, dass seine Frau sich bei Dunkelheit nicht mehr aus dem Haus wagt. Wovor habe sie denn Angst? Die Antwort geht im Stimmengewirr unter, alle sprechen aufgeregt durcheinander: Die Flüchtlinge seien ja nur junge Männer, die sich gruppenweise bewegten, ihre Sprache sei unverständlich und die Frauen würden sie "mit schlechten Augen anglotzen".
"Ist aber bislang nichts passiert, oder?", mischt sich ein türkischsprachiger Schüler namens Martin ins Gespräch ein. Martin ist ein Sonderfall: Er hat sich mit einem syrischen Flüchtling angefreundet. Seine Mutter war zuerst dagegen, aber hat die Freundschaft doch akzeptiert. Der Syrer, der mittlerweile in Deutschland ist, habe sie immer mit "Anne" angesprochen – das ist Türkisch für "Mutter".
"Nur Angst, kein Hass"
Ansonsten scheint in Harmanli die Stimmung gegenüber Flüchtlingen nicht aggressiv. "Die Menschen haben Angst, hegen aber keinen Hass gegen Flüchtlinge", erzählt die Kellnerin Iveta Lazarova. Alle seien sich darüber einig, dass man im Lager eine abendliche Ausgangssperre einführen sollte, damit die Frauen in Harmanli sich sicher fühlen können.
Die Kellnerin weiß nicht, dass die Ausgangssperre schon eingeführt worden ist. Sie selbst habe aber keine Angst, versichert sie: "Viele Frauen beklagen sich, dass die Flüchtlinge sehr unverschämt glotzen. Diese Männer sind aber gar nicht daran gewöhnt, Frauen in T-Shirts und ohne Kopftuch zu sehen. Mich hat keiner so angeglotzt. Wahrscheinlich, weil ich sie auch nicht beglotze."
Ihrer Meinung nach liegt das Problem anderswo. Die Flüchtlinge würden alle über einen Kamm geschert. Während die Männer aus Afghanistan sich schlecht benähmen und nur über eine geringe Bildung verfügten, seien die syrischen Flüchtlinge wohlhabend und gebildet. "Die Einheimischen haben trotzdem alle zuerst sehr feindselig behandelt", sagt Lazarova.
"Sie haben einfach kein Niveau", sagt Mitko, der gerade Pause macht. Er hockt auf dem Bürgersteig vor dem Lagerhaus, sein Gesicht ist unter der schwarzen Kapuze kaum zu sehen, in seinem Mund steckt eine Zigarette.
"Die Flüchtlinge sind schlecht erzogen", meint er. "Sie hocken auf dem Boden und tragen Hoodies über dem Kopf", sagt Mitko. Dann wird er sich bewusst, dass diese Beschreibung auf ihn selbst zutrifft: er wirft die Zigarette weg und legt die Kapuze ab. Es ist ihm ein bisschen peinlich, aber er lächelt trotzdem zurück.