Corona-Lage ist für RKI "weiter sehr ernst"
12. November 2020Das Robert-Koch-Institut (RKI) will trotz zuletzt etwas langsamer steigenden Infektionszahlen noch von keiner Trendwende sprechen. Es stimme ihn zwar "vorsichtig optimistisch", dass die Zahlen zuletzt nicht mehr so stark gestiegen seien, sagte der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, in Berlin. "Wir wissen aber noch nicht, ob das eine stabile Entwicklung ist." Die Fallzahlen seien zuletzt weniger stark gestiegen. Dies zeige, dass Deutschland dem Virus nicht hilflos ausgeliefert sei. "Wir sind nicht machtlos."
Dem RKI zufolge ist unklar, inwieweit dies mit den neuen Einschränkungen wie Restaurant-Schließungen zusammenhängt. Möglich sei auch, dass die Testkapazitäten der Labore an ihre Grenzen gestoßen seien. Andererseits sei zuletzt auch die Ansteckungsrate leicht zurückgegangen. Klar sei aber, dass die Zahl der schweren Verläufe und der Intensivpatienten weiter steigen werde, ebenso die Zahl der Todesfälle. "Wir müssen damit rechnen, dass Kliniken an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen."
Personalmangel in den Kliniken
Fast die Hälfte der Krankenhäuser melde inzwischen, dass die Verfügbarkeit an Intensivbetten eingeschränkt sei, sagte Wieler. Dies liege vor allem an Infektionen beim Personal, das dann nicht mehr zur Verfügung stehe. "Es kommt zunehmend zu Einschränkungen des Betriebs aufgrund des Personalmangels." Auffällig sei auch, dass vermehrt Fälle in Schulen aufträten. Es müssten die Hygiene-Konzepte dort auf jeden Fall umgesetzt werden, etwa das Maskentragen.
Für eine Beurteilung der Effekte des derzeitigen Teil-Lockdowns wegen der Corona-Pandemie ist es aus Sicht des RKI noch zu früh. Man müsse abwarten, erklärte Wieler. Wie schnell das Infektionsgeschehen abgebremst werden könne, hänge vom Verhalten der Menschen ab. Im Winter sei es schwieriger, weil man mehr Zeit in geschlossenen Räumen verbringe - das erleichtere Ansteckungen. Wieler rief erneut zum Einhalten der Maßnahmen auf: Regeln wie Abstandhalten, Tragen von Mund-Nasen-Schutz, Hygiene und Lüften würden die Menschen noch lange begleiten. "Wir müssen noch ein paar Monate die Pobacken zusammenkneifen."
Das RKI meldete am Morgen 21.866 Neuinfektionen in Deutschland, knapp 3400 mehr als am Mittwoch. Damit liegt die Gesamtzahl der bestätigten Corona-Ansteckungen bei 727.553. Die Zahl der Todesfälle steigt nach Angaben des RKI um 215 auf 11.982.
Die Infektionszahlen sind auch mit Blick auf die Beratungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten der Länder am kommenden Montag von Bedeutung. Die Runde hatte am 28. Oktober einen Teil-Lockdown beschlossen, der seit dem 2. November zunächst bis Monatsende gilt. Unter anderem müssen viele Freizeiteinrichtungen und Restaurants geschlossen bleiben. Nach 14 Tagen - also am Montag - soll eine Zwischenbilanz gezogen und Maßnahmen möglicherweise verändert werden.
Spahn erwartet Einschränkungen im ganzen Winter
Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn rechnet mit coronabedingten Einschränkungen bis zum Frühjahr. Veranstaltungen mit mehr als zehn oder fünfzehn Menschen sehe er in diesem Winter nicht mehr, sagte Spahn im Rundfunk Berlin-Brandenburg. Selbst wenn die Infektionszahlen sänken, bedeute das nicht, dass ab Dezember oder Januar Weihnachts- oder Hochzeitsfeiern stattfinden könnten, "als wäre nichts gewesen". Das nordrhein-westfälische Modell, die Weihnachtsferien früher beginnen zu lassen, bezeichnete der CDU-Politiker als "pragmatischen Ansatz". Darüber müsse jedoch jedes Bundesland selbst entscheiden.
Wegen steigender Infektionszahlen bei Schülern und Lehrern wird einem Bericht zufolge an mindestens 3.240 Schulen in Deutschland nicht mehr im Regelbetrieb unterrichtet. Das gehe aus Zahlen aus 14 Bundesländern hervor, berichten die Zeitungen der Funke Mediengruppe. Allein in Nordrhein-Westfalen befänden sich Schülerinnen und Schüler an 552 Schulen auf Anordnung der Gesundheitsbehörden in Quarantäne und würden digital unterrichtet, hieß es unter Berufung auf das Kultusministerium in Düsseldorf.
In Niedersachsen wurden dem Bericht zufolge an 347 Schulen einzelne Klassen oder Jahrgänge vorübergehend aus dem Präsenzunterricht genommen und ins Homeschooling geschickt. 221 Schulen in dem Bundesland unterrichteten im sogenannten Wechselmodell mit geteilten Klassen, bei dem ein Teil zum Unterricht in die Schule kommt und ein Teil zu Hause lernt.
Experten empfehlen geteilte Schulklassen
Für geteilte Klassen plädierte auch die Chefin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marlis Tepe. "So wie im Moment unterrichtet wird, sind die Gesundheitsrisiken zu hoch", sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Für die Schüler sei es besser, die Klassen rechtzeitig zu teilen als zu riskieren, die ganzen Klassen in die Quarantäne zu schicken.
Der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung, Udo Beckmann, kritisierte die unterschiedlichen Bestimmungen der Gesundheitsbehörden. "Wird in einem Landkreis die ganze Klasse unter Quarantäne gestellt, sind es in dem anderen nur die direkten Banknachbarn, sagte er. Das sei nicht nachvollziehbar und führe zu Unmut und Verunsicherung.
kle/se (dpa, afp, epd)