Rhein-Ruhr-Region will Olympia
19. Juli 2017Schon einmal gescheitert
Vor allzu großer Bewerbungseuphorie muss gewarnt werden. 2003 schaffte es die Rhein-Ruhr-Region nicht einmal, sich im nationalen Ausscheidungskampf durchzusetzen. Olympia 2012 sollte in Leipzig ausgetragen werden - eine politische Entscheidung. Unter den fünf deutschen Bewerbern belegte die Rhein-Ruhr-Region Platz drei. Im Evaluierungsbericht des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) war der Kandidat aus dem Westen sogar nur viertbester. Ein neuer Versuch, das olympische Feuer dorthin zu holen, ist sicher perspektivreicher als damals. Auch, weil andere gescheiterte Bewerber wie Berlin (für 2000) oder München (für 2022) inzwischen kaum noch Olympia-Fieber zu erkennen geben.
Dezentral als Chance
13 Städte zwischen Aachen und Dortmund, Recklinghausen und Bonn wollen dabei sein. Das gab es noch nie. Mehrere Schultern können mehr tragen als nur eine. Möglicherweise ein Plus. Der besondere Trumpf der Gemeinschaftsbewerbung besteht darin, dass gleich mehrere klassische Sportarten in der Region ihr "Mekka" haben. Spring- und Dressurreiter finden in Aachen die Weltadresse ihrer Disziplinen vor. Das gleiche gilt für den Ruderer- und Kanusportler, die auf der Duisburger Wedau eine mehrfach weltmeistererprobte Rennstrecke vorfinden. Und auch die Hockeyspieler treffen in Mönchengladbach und Mülheim auf internationale Spitzenanlagen. Der Nachteil: Die Spiele wären räumlich ziemlich verstreut. Von Dortmund bis Aachen sind es mehr als 150 Kilometer.
Fast alles schon da!
Das wohl stärkste Ass der Region ist der Status Quo der Sportanlagen. 80 Prozent sind schon da, sagt Michael Mronz, der Bewerbungschef für Olympia. In Zeiten, in denen sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) in seiner Agenda 2020 zu Nachhaltigkeit verpflichtet und Kostenreduzierung als Ziel vorgibt, ist sowohl die Masse, als auch die Klasse der Wettkampfstätten samt Hotelkapazität ein Pfund, mit dem sich wuchern lässt. Zum Beispiel mit 24 Großsporthallen mit mehr als 3.000 Plätzen, fünf Stadien mit Sitzplatzkapazitäten von 45.000 plus, mit über 700.000 überdachten Quadratmetern Messegelände für Indoor-Sportarten und Hotelbetten, die die IOC-Mindestanforderung um mehr als das dreifache übersteigt. Eindeutig ein Bewerbungsvorteil, auch wenn vieles des schon Vorhandenen erheblich modernisiert werden müsste.
Olympia ist Bewegung: Die Verkehrslage
Das Manko der Rhein-Ruhr-Region ist die Verkehrsinfrastruktur. Vor allem entlang der ehemaligen Schwer-Industrieroute zwischen Dortmund und Duisburg sind Schiene und Straße chronisch überlastet. Der Nahverkehr krankt bis heute an der jahrzehntelangen Kirchturms-Politik der Städte, die nirgendwo sonst in Europa in so enger Nachbarschaft zueinander liegen. Teilweise gibt es noch heute unterschiedliche Spurbreiten bei den Straßenbahnen. Doch in dem objektiven Dilemma liegt auch eine Chance. Deutschland befindet sich seit der großen Bauphase der 1960er und 1970er Jahre in der ersten großen Sanierungsetappe. Olympia könnte Neu- und Ausbau von Straßen und Schienen in der Ruhrregion, in der rund fünfeinhalb Millionen Menschen leben und arbeiten, beschleunigen. Und die Region könnte mit einer Besonderheit aufwarten. Ein über 100 Kilometer langer Radschnellweg (RS1) ist schon im Entstehen. Er verbindet Hamm mit Duisburg und verläuft entlang gleich mehrerer Bewerberstädte - ohne Ampel, ohne Kreuzung. Teilstücke sind schon fertig. Eindeutig ein Projekt mit Pilotcharakter für alle Ballungsräume. Olympische Spiele wären allein dafür eine Schaufenster-Präsentation.
Was nichts kostet, ist nichts wert
Das Votum für Leipzig 2003 als nationaler Kandidat war eine politische Entscheidung - was kaum jemand bestreitet. Eine "Aufbau-Ost-Maßnahme" mit anderen Mitteln. Schon lange fordern gerade die Städte des Ruhrgebiets einen "Aufbau West", denn im Vergleich geht es vielen Kommunen tief im Westen finanziell schlechter als ihren Partnerstädten in der ehemaligen DDR. Die Stadtoberen von Gelsenkirchen blicken schon lange neidisch auf das inzwischen schicke Zentrum ihrer Partnerstadt Cottbus. Ein Infrastrukturprogramm für das Ruhrgebiet wäre eine lohnende Investition in die Zukunft - und würde zumindest in Teilen dem Ruf nach einem "Aufbau West" gerecht werden. Sicher, es kostet was, aber es ist es wert. Auch ohne Olympia, aber für große Symbolik zahlt man gerne etwas mehr.
Tolle Stadien, keine Tartanbahn
Es gibt noch kein Olympiastadion. Ausgerechnet die Königsdisziplin, die Leichtathletik, hat derzeit noch keine Adresse. Der Trend zum "engen" Fußballstadion, ohne achtspurige Laufbahn zwischen Spielern und Zuschauern, hat sich nahezu komplett durchgesetzt. Die letzten Großstadien mit 400-Meter-Bahn in Gelsenkirchen, Dortmund, Düsseldorf und Köln sind längst reine Fußball-Arenen. Ein exklusives Leichtathletik-Stadion ist im Kosten-Nutzen-Vergleich zu teuer, betrachtet man die seltene Nutzung nur in der warmen Jahreszeit. In der Überlegung ist ein Modell einer Großanlage für Läufer, Werfer und Springer, die sich nach den olympischen Spielen wieder in ein Fußball-Stadion umfunktionieren ließe. Vielleicht in Köln, dort will sich der heimische Bundesligist sowieso vergrößern. Auch der Standort des olympischen Dorfes ist noch eine offene Frage. Nur soviel steht fest: es soll da entstehen, wo anschließend Verkauf oder Vermietung garantiert ist.
Kein olympischer Geist beim Bürger
Eine Hürde der besonderen Art ist der mündige Bürger. In Hamburg und München war bei den Stadtvätern und Müttern der olympische Wille seinerzeit groß, der Widerstand dagegen bei den Bürgern aber größer. Die Stimmung war vergiftet, Olympia wurde verhindert. Fest steht: Der olympische Geist hat zuletzt erheblichen Schaden genommen. Bestechungsskandale, Doping und Schuldenberge nach dem Fest für die Ausrichterstädte haben die Bevölkerung kritischer gemacht. Steuergelder für Prestigeobjekte will eine immer stärker werdende Bevölkerungsgruppe nicht mehr akzeptieren. Von ökologischen Bedenken ganz abgesehen.
An Rhein und Ruhr könnte Volkes Stimme anders ausfallen. Besonders im Ruhrgebiet, das seit Jahrzehnten den Strukturwandel mehr schlecht als recht hinkriegt, wäre Olympia eine Option für eine Veränderung. Wenn gesehen und gewollt wird, dass das Weltereignis den Schub geben könnte, Grundlegendes in der Struktur des Städtekonglomerats zu verbessern - durch Olympia und mit öffentlichen Geldern. Allzu viele Gelegenheiten wird es später nicht mehr geben.