Retro-Trend: Gefühl durch Vinyl
11. April 2017Technik-Fan Brandon Salt ist schwer begeistert. Auf seinem YouTube-Kanal testet er etwas, das klingt wie eine Schreibmaschine. "Oh mein Gott, die ist ja sowas von schön!" Doch tatsächlich bearbeiten seine Finger hier eine kabellose Computertastatur in mattem Schwarz und roten Tasten, die über Bluetooth mit einem Rechner verbunden ist.
Hinter dem Hybriden aus moderner Tastatur und alter Schreibmaschine steckt das New Yorker Unternehmen Lofree. Modernste Technik, kombiniert mit dem Design, Klang und Gefühl einer längst überholten Technik. Auf dem Markt ist das Produkt noch nicht, aber YouTuber wie Salt sollen die Tastaturen vorab testen und so Werbung machen. Das muss Salt gar nicht, denn auch andere sind schwer begeistert: Auf der Crowd Funding Plattform indiegogo hat das New Yorker Startup von knapp 6000 Menschen mehr als eine halbe Millionen Dollar eingesammelt, um die erste Produktion zu finanzieren. Jeden Tag werden es mehr.
Nostalgie liegt im Trend
Lofree bedient einen Trend, mit dem sich momentan viel Geld verdienen lässt: Den Retro- oder Nostalgie-Trend. Unternehmen bieten Produkte an im Design aus alten Tagen. Oder sie verkaufen Produkte, die wirklich aus einem anderen Jahrzehnt stammen: Schallplatten, Polaroid-Kameras, Notizbücher, Bücher. Noch nie war "analog" so angesagt. Selbst der Onlinehändler Amazon wird dieses Frühjahr einen echten, analogen Buchladen in Manhattan eröffnen.
Dass Nostalgie im Trend ist, lässt sich in Zahlen belegen. Die berühmten Notizbücher der italienischen Firma Moleskine haben zugelegt, in 2016 ist der Absatz weltweit um 16 Prozent gewachsen. Der Verkauf von Schallplatten ist seit neun Jahren in Folge gestiegen und hat in 2015 ein 25 Jahreshoch erreicht. David Sax ist Journalist und Autor des Buches "Die Rache des Analogen". Darin widmet er sich dem analogen Trend. "Die Treiber dieses Trends sind Teenager und junge Erwachsene", sagt er. Knapp die Hälfte der Käufer von Vinyl-Schallplatten im Jahr 2016 war 35 Jahre alt oder jünger, hat die Marktforschung ICM Unlimited herausgefunden. Für diese Menschen sei die alte Technologie sozusagen eine neue.
"Wie ich konsumiere, so bin ich"
Doch ein Teenager kann beim Abspielen von Platten keine Nostalgie empfinden. Andersrum seien viele ältere Konsumenten sehr froh über ihren eBook-Reader, mit dem sie die Schrift vergrößern können, sagt Sax. Was also steckt dahinter?
"Wenn du konsumierst, dann drückst du deine Identität aus", sagt Konsumentenforscherin Daphne Kasriel-Alexander vom Institut Euromonitor International. Alt ist eben anders. In einer digitalen Welt ist das Analoge das Besondere, das Faszinierende. Junge Menschen wollen individuell sein, nicht mehr mitschwimmen, sondern aus dem Mainstream herausstechen. Eine Schreibmaschine ist definitiv ein Hingucker.
Anfassen, Riechen, Fühlen
Doch es gibt noch einen weiteren Grund, geht es nach David Sax. Und der betrifft vielmehr die eigene Sinneswahrnehmung als das, was Menschen der Außenwelt zeigen. In der Welt des Scrollen und Wischens wollen sich Konsumenten wieder mehr mit Produkten zum Fühlen und Riechen umgeben, die alle Sinne bedienen. "Im Digitalen hast du nur zwei Dimensionen und durch die kannst du scrollen", sagt Sax. Das vergleicht er mit einem Besuch im Plattenladen - dort könne man die Platten anfassen, riechen, mit Leuten reden. "Ein Buch oder eine Platte zu kaufen und zu lesen oder hören, ist etwas Emotionales."
Die digitale Ablenkung
Zu diesen emotionalen Motiven kommt laut Sax noch ein handfestes hinzu: Produktivität. In der digitalen Welt lauern viele Ablenkungen. Auf dem Handy blinken allerlei WhatsApp-Nachrichten, und das alle paar Minuten, wenn ich eigentlich fokussiert arbeiten oder lesen will. Im Berufsleben sind Apps angesagt, mit denen man seinen eigenen Drang bekämpfen kann, sich durch Facebook und Co ablenken zu lassen - diese Seiten sperrt man sich sozusagen selbst. Sie heißen SelfControl oder Freedom, Selbstkontrolle und Freiheit.
Das Schweizer Unternehmen Punkt produziert gleich ein ganzes Telefon, mit dem nur telefoniert und die ein oder andere Nachricht geschrieben werden kann - besonders gut verkauft sich das ausgerechnet im Schoss aller digitalen Technologien, dem Silicon Valley.
Neue Chancen für Unternehmen
Zurück zur Einfachheit wollen offenbar vor allem Menschen unter 35 - die "Digital Natives", die im digitalen Zeitalter aufgewachsen sind, sagt Sax. Und die machen einen Großteil der Konsumenten aus. In Amerika zählen 80 Millionen Menschen zu den sogenannten Millenials, die zwischen 1980 und 2000 geboren wurden. Damit repräsentieren sie ein Viertel der gesamten amerikanischen Bevölkerung mit einer Kaufkraft von 200 Milliarden Dollar im Jahr. Davon wollen die Unternehmen ein Stück abhaben.
Doch gleichzeitig war es nie schwerer, die jungen Menschen an Marken zu binden. Sie haben ihr Vertrauen in die Unternehmen verloren, sagt Kasriel-Alexander. "Seit der Rezession sind sie nicht mehr so markenorientiert und -loyal." Wenn aber Unternehmen es schaffen, die Sehnsucht nach alten Produkten zu kultivieren, dann können sie vielleicht - so das Kalkül - eine neue und vielleicht sogar tiefere Beziehung zu ihren Kunden aufbauen – die im Gegenzug dafür dann gerne etwas tiefer in die Tasche greifen könnten.