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Digital allein macht nicht glücklich

Suzanne Cords 23. Juli 2014

Weniger Elektronik, mehr Handwerk: Vom Designer bis zum Musiker rücken Künstler von der jahrelangen Technikgläubigkeit ab. Stattdessen greifen sie auf altbewährte Traditionen zurück. Und stellen fest: Das macht Spaß.

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Ein Füller liegt auf einem Brief Foto: © Jakub Krechowicz
Bild: Fotolia

"Natürlich sind unsere Studierenden alle technikaffin", so Dirk Waldhoff, Betreuer der Abteilung Karriereservice an der Mediadesign Hochschule in Berlin, "aber bei uns sollen sie auch mit den Händen arbeiten." So basteln zukünftige Gamedesigner erst mal Figuren aus Knetmasse und bauen Burgen aus Styropor, bevor sie eine dreidimensionale Spielwelt am Computer entwickeln. "Bei den Studenten weckt das die spielerische Ader", meint Waldhoff. "Das ist erst mal ungewohnt, aber dann sind die jungen Leute mit Feuereifer dabei. Sie sind einfach stolz darauf, mit eigenen Händen etwas geschaffen zu haben, das man später anfassen kann."

Drucken wie Gutenberg

Aus diesem Grund hat man kürzlich auch eine Bleisatzwerkstatt für die nächste Generation von Typografie-Gestaltern eingerichtet. Aus ganz Deutschland wurden alte Druckerpressen und das notwendige Werkzeug angekarrt. 100.000 Lettern stehen zur Verfügung, um wie schon Gutenberg Wort für Wort zu setzen. "Diese schwarze Kunst erlebt gerade eine Renaissance", sagt Dozent Raymond Meier.

Monstermodell für ein Gamedesign Foto: DW/Silke Wünsch
Analoges Monster zum AnfassenBild: DW

Obwohl er 95 Prozent seiner Zeit am Computer verbringt, will er seine "analoge" Arbeitszeit nicht missen. "Es wird immer wieder diskutiert, ob Design-Hochschulen überhaupt Werkstätten alter Tradition brauchen", sagt er und betont: "Ich bin hundertprozentig überzeugt davon. Etwas anzufassen, zu fühlen und damit zu experimentieren ist wichtig, um später kreativ etwas gestalten zu können."

Kürzlich hat Raymond Meier in drei Minuten eine Visitenkarte am Computer entworfen; für den gleichen Entwurf brauchte er an der Druckerpresse drei Stunden. Trotzdem kommt er ins Schwärmen: "Die abgehobene Tinte, der wunderschöne Druck, so etwas hatte ich lange nicht in den Händen." Dennoch wird die Buchdruckkunst seiner Meinung nach ein Nischenprodukt bleiben. "Es ist nicht nur eine Zeit-, sondern auch eine Geldfrage. Althergebrachtes Handwerk ist in der Produktion oft viel zu teuer. Aber die Wertschätzung wird zunehmen."

Schrift als Kunst

Trendsetter ist das Institut für Buchkunst in Leipzig, wo Studenten aus aller Welt das uralte Handwerk des Büchermachens erlernen. Der österreichische Studierende Benjamin Buchegger vergleicht das gedruckte Buch und das E-Book mit dem Verhältnis der Malerei zur Fotografie. "Das Buch als Informationsträger stirbt und wird damit frei, selbst zur Kunst zu werden", findet er.

Dozent Raymond Meier @privat
Dozent Meier setzt mit seinen Schülern die Lettern setzen wie anno dazumalBild: Privat

Die Schönschrift, noch vor 20 Jahren in jeder Schulklasse ein Pflichtfach, ist heute zum Hobby geworden. In Schreibwerkstätten malen Schüler wie Lore Birkner eifrig Buchstaben mit dem Füller aufs Papier. "Es macht einfach Freude, es hat sehr viel mehr Persönliches als die ganze Computerwelt", sagt sie.

Mädchenherzen unplugged erobern

Auch in der Musik ist der Trend zum Handgemachten nicht mehr wegzudenken. Bei jungen Pop-Musikern wie Philipp Poisel oder Tim Bendzko ist das gute alte musikalische Handwerk wieder hörbar. Poisel klimpert hingebungsvoll auf seiner Gitarre, und Bendzko, der einst "die Welt retten wollte", umgibt sich mit einer groovende Rhythmusgruppe, einem Piano und satten Orgeltönen. Cello und Akkordeon sorgen für klangfarbliche Tupfer – natürlich unplugged. Synthesizer braucht er nicht. Seine Musik ist handgemacht, ursprünglich und geradeaus. Das kommt an. Tim Bendzko hat inzwischen nicht nur viele Mädchenherzen erobert, sondern auch so ziemlich alle deutschen Preise gewonnen – und durfte schon im Vorprogramm von Joe Cocker auftreten.

Tim Bendzko @ DW POPXPORT
Tim Bendzko mag es ohne TechnikBild: Paul Ripkeo

Warum nicht Techno mit Klassik mischen?

Zunehmend gibt es auch experimentierfreudige Klangbastler, die das Beste aus der digitalen und der analogen Musikwelt vereinen. Dazu gehören Größen wie Philip Glass, der schon lange an der Überwindung der Genre-Grenzen arbeitet, und selbst die DJ Legenden Jeff Mills und Carl Craig aus den USA sind schon mit klassischen Orchestern aufgetreten.

Auch bei dem Wahlberliner Trio Brandt Brauer Frick trifft elektronische Musik auf Pop und Klassik, obwohl sie gerne in der Schublade "Techno-Projekt" abgelegt werden. Dabei kann Paul Frick mit Techno gar nichts anfangen. "Ich musste erst mal acht Jahre Komposition studieren, um Techno zu mögen", erzählte er - und meint dabei nicht die synthetischen stumpfen Bassgrooves, sondern eine Clubmusik, die bis auf einen Moog-Synthesizer ohne maschinelle Zuhilfenahme auskommt. Die Musik von Brandt Brauer Frick entsteht mit klassischem Instrumentarium: Schlagzeug, Xylophon, Glockenspiel, Cello, Geige, Trompete, Tuba, Harfe.

Trio Brandt Brauer Frick @ DW POPXPORT
Brückenbauer zwischen den Genres: Brandt Brauer Frick

Inspriration aus der analogen Welt

Von einem allgemeinen Trend zurück zu den analogen Wurzeln zu sprechen, wäre übertrieben. Stattdessen lässt sich eine junge Generation von Designern, Künstlern und Musikern von dem inspirieren, was ihre Eltern und Großeltern ganz ohne Computer entwickelt haben.