Restituierter Kopf Alexander des Großen - eine Fälschung?
22. August 2023Zum ersten Mal sah Stephan Lehmann die Bronze des antiken Herrschers im Jahr 2000 im Winckelmann-Museum in der Kleinstadt Stendal in Sachsen-Anhalt. Der Archäologe, heute im Ruhestand, war damals Professor an der Universität in Halle - und neugierig auf das gut erhaltene antike Werk, das als Sensation galt. Die Büste von Alexander dem Großen sei die Leihgabe eines Privatsammlers, hieß es. Für Lehmann war sie vor allem eins: eine Fälschung. "Ich war da, habe mir die angeguckt und hielt sie für schreiend falsch", sagte er der DW. "Ausgeschlossen, dass wir ein antikes Original vor uns hatten."
Katalog mit "gefälschten" Kunstwerken
Lehmann durchforstete den Museumskatalog nach Provenienzangaben- Fehlanzeige. Er fragte direkt beim Museum nach, bekam aber keine Antworten. Er fragte immer wieder - vergebens. "Da sind die Museen eben nie amüsiert, das ist ja klar, wenn wichtige Stücke, die in ihrem Hauptsaal gezeigt werden, angezweifelt werden", sagt er.
Den Archäologen hielt das nicht davon ab, die Bronze weiterhin als Fälschung zu bezeichnen. Denn Stephan Lehmann sieht es als seine Aufgabe an, verdächtige Werke zu entlarven. Er fürchtet, dass ein rarer Fund aus der Antike Einzug in einen Museumskatalog hält und damit wissenschaftlich geadelt wird. Deswegen listete er 2015 in einem Katalog 36 antike Kunstwerke auf, die er für gefälscht hält. Darunter: die Bronze-Statue Alexanders. Auch eine Ausstellung zum Thema organisierte er im Archäologischen Museum der Universität Halle und nannte sie: "Einst in Stendal".
Meisterhafte Fälschungen
Er warf dem Museum vor, sich als "Waschanstalt" missbrauchen zu lassen. Prompt verklagte ihn die Winckelmann-Gesellschaft wegen Verleumdung. Das Gericht beschäftigte sich damals allerdings nicht mit der Frage, die Lehmann wirklich interessierte: Ist die Plastik echt? Das wäre auch unmöglich gewesen, denn direkt nach der Ausstellung verschwand die Bronze - sie galt lange als verschollen.
Lehmann hält sie für die gut gemachte Fälschung einer internationalen Kunsthändlermafia. Um so etwas zu erkennen, braucht man jahrzehntelange Erfahrung, sehr viel Wissen - und Intuition. Die halft ihm auch, als ein Schweizer Sammler ihm den angeblich antiken Kopf von Kaiser Augustus zur Prüfung zukommen ließ. "Wenn man sich die Details anguckt, dann kommen auch Zweifel, ob das wirklich falsch ist. Das ist doch perfekt gemacht. Das ist schon meisterlich", räumte er gegenüber der DW ein.
Wer ist der Fälscher "Spanischer Meister"?
Er ließ den Torso per Computertomographie durchleuchten. Fälscher, so die Vermutung, lassenantike Münzen einschmelzen, um daraus neue Köpfe zu gießen. So gelingt die perfekte Täuschung, weil das Material wirklich 2000 Jahre alt ist. Den Röntgenstrahlen hielt Augustus aber nicht stand. Einige Kriterien, wie der Grad der Korrosion, stimmten nicht überein, so dass sich nachweisen ließ, dass er erst später gegossen wurde.
Vermutlich, so Lehmann, stammt der Kopf aus der Fälscherwerkstatt des sogenannten Spanischen Meisters, der bis heute nicht enttarnt wurde. Er wählt oft die Porträts antiker Herrscher, verpasst ihnen eine schöne Patina. Die Gesichter sind immer wie von Zauberhand erhalten. Die Fälscher würden natürlich Bildnisse herstellen, die am Markt gefragt sind. "In der Wertung archäologischer Objekte ist eine Bronzestatue die Königsklasse. Das ist was ganz Besonderes, dann ist natürlich höchste Aufmerksamkeit zu erwarten", sagt Lehmann.
Ein lukratives Geschäft
Wenn ein solcher Fund auftaucht, stehen die Interessenten Schlange. "Wir reden hier über Geld, Geld und nochmals Geld als alles dominierenden Faktor, so Oscar White Muscarella, der viele Jahre lang Kurator im Metropolitan Museum of Art war. Er hat beobachtet, wie die Händler die Fälschungen in den Markt einschleusen,wie Galerien und Messen Haupteinfallstor seien aber Auktionshäuser. "Ich musste irgendwann erkennen, dass gerade Händler, aber auch Sammler, ihre gefälschten Objekte ins Auktionshaus geben", erzählt er.
"Ich habe darüber mal mit einem Händler gesprochen und er hat nur gelächelt. Was die machen, ist Folgendes: Statt Fälschungen in ihrem eigenen Laden zu verkaufen, geben sie die Objekte unter falschem Namen in die Versteigerung, sagen dann: Die Antike kommt aus einer alten Sammlung, denken sich eine Provenienz aus, einen Monsieur X. Dadurch tauchen diese Händler nicht persönlich vor den Käufern auf."
Restituiert nach Griechenland
Auch der Bronzetorso Alexanders des Großen stammt aus dem New Yorker Kunsthandel - aus der Galerie von Robin Symes. Der Brite gilt als eine der Schlüsselfiguren des illegalen Handels mit antiken Werken und ist mittlerweile untergetaucht. Seine Firma wurde liquidiert, die in verschiedenen Ländern eingelagerten Kunstobjekte wurden beschlagnahmt. Und so fand auch die Bronze-Plastik Alexander des Großen ihren Weg zurück nach Griechenland: als eines von 351 als Raubkunst definierten Objekten. Nummer 11 ist Alexander.
Stephan Lehmann erfuhr von einem griechischen Kollegen davon, der ihm einen Zeitungsauschnitt mit einem Foto schickte. "Er schrieb nur: 'Kann das sein?' Und ich guckte hin und sah eine Kiste, und darin lag verpackt 'Alexander aus Stendal'. Der Text dazu besagt, dass es ein Stück aus dem Kunstlager des kriminellen Robin Symes in Genf war... Und so ist er wieder aufgetaucht."Damit ist klar: Der Torso hätte in Stendal nicht ohne Herkunftsnachweis ausgestellt werden dürfen. So wie Lehmann es im Jahr 2000 eingefordert hatte. Er hält den Kopf weiterhin für eine Fälschung, freut sich aber, dass er wieder aufgefunden wurde. Er hätte ja auch eingeschmolzen sein oder im Wohnzimmer eines Milliardärs stehen können. "Aber als Rückübertragung an einen Staat aufzutauchen, das ist spektakulär", findet Lehmann.
Jetzt hofft er auf eine Materialuntersuchung. Denn dass die Bronze unter Fälschungsverdacht steht, müsste auch in Athen bekannt sein: Die Kulturministerin ist immerhin selbst promovierte Archäologin. Es liegt nun beim griechischen Staat, die Provenienz der Alexanderbronze zu erforschen. Ist er echt, ist er viele Millionen Euro wert, oder nur 100 Euro, die Kosten seines Materials. Das allerdings wäre ein unrühmliches Ende für den Alexander von Stendal.