Dauerkrise in der Republik Moldau
20. Januar 2016Seit Februar 2015 wurde in Chisinau der Premierminister ganze fünf Mal ausgetauscht. Nach mehreren misslungenen Versuchen hat sich das gespaltene pro-europäische Lager jetzt für einen neuen Kandidaten entschieden: Pavel Filip von der Demokratischen Partei, Informationsminister in der scheidenden Regierung.
Die pro-europäische Mehrheit im Parlament von Chisinau wählte ihn am Mittwoch zum Regierungschef. Nach der Abstimmung aber kam es bei Massenprotesten zu Ausschreitungen (Foto). Zahlreiche Demonstranten drangen Berichten zufolge in das Gebäude ein. Die Polizei setzte Tränengas ein. Tausende Menschen waren am Nachmittag vor das Parlament geströmt. Sie lehnen die neue Regierung ab und verlangen Neuwahlen. Nach DW-Informationen wurde die Vereidigung der neue Regierung daraufhin in aller Eile unter Ausschluss der Öffentlichkeit noch in der Nacht vollzogen.
Richtungskämpfe: Pro-europäisch? Pro-russisch?
All das zeigt, wie verunsichert die moldauische Gesellschaft weiterhin ist. Der Machtkampf zwischen den liberalen Parteien und der vom Oligarchen Vlad Plahotniuc kontrollierten Demokratischen Partei (PD) dürfte mit der Ernennung Filips nicht beigelegt werden, darin sind sich die moldauischen Politologen einig. Zudem werden die pro-russischen Parteien, die in den Umfragen an führender Position stehen, weiterhin versuchen, Neuwahlen zu erzwingen. Die politischen Lager haben bereits weitere Demonstrationen angekündigt.
Einerseits braucht das Land endlich eine stabile Regierung, die sich vor allem um einen raschen Ausweg aus der wirtschaftlichen Misere kümmern sollte. Andererseits befürchten einige Analysten, dass sich der einflussreiche Strippenzieher Plahotniuc das Land völlig unterordnet. Seine Partei, die PD, war zwar Anfang Januar mit dem Versuch gescheitert, den Staatspräsidenten Nicolae Timofti zu zwingen, Plahotniuc selbst als Kandidaten für das Amt des Regierungschefs zu ernennen. Durch politische Winkelzüge hatte die PD zwar eine parlamentarische Mehrheit zusammengestellt, die sich aber als instabil herausstellte. Zudem hatte Timofti von seinem Recht Gebrauch gemacht, den Kandidaten wegen seiner “zweifelhaften Integrität“ abzulehnen.
Wer ist Vlad Plahotniuc?
Plahotniuc erschien erst 2010 auf dem politischen Parkett in Chisinau, kurze Zeit nachdem Abweichler aus der Kommunistischen Partei die Demokratische Partei gegründet hatten. Vorher hatte er die Geschäfte des ehemaligen kommunistischen Präsidenten Vladimir Voronin und seiner Familie aus dem Hintergrund verwaltet.
Nach den Wahlen von 2010 wurde Plahotniuc Vizepräsident des Parlaments, musste aber drei Jahre später das Amt aufgeben. Die Wahlen von 2014 brachten ihn wieder ins Parlament, acht Monate danach verzichtete er aber auf sein Abgeordneten-Mandat.
In den vergangenen Jahren erschien sein Name immer wieder im Zusammenhang mit politischen und wirtschaftlichen Machenschaften, die eine Unterordnung der staatlichen Institutionen zum Ziel hatten. Heftige Kritik gab es deshalb vor allem durch die EU und die USA. In Bürssel hieß es, Moldau drohe im Würgegriff der Oligarchen zu ersticken.
Nachdem Plahotniuc seine Rückkehr in die Politik angekündigt hatte, gab es mehrere Versuche der Demokratischen Partei, die Kontrolle über die Regierung zu übernehmen. Neue Mehrheiten wurden im Parlament geschaffen, unter anderem auch durch mehrere Überläufer aus der Kommunistischen Partei und Abweichler aus dem liberalen und liberal-demokratischen Lager. Vor allem die Liberal-Demokraten erhofften sich dadurch, ihren früheren Parteichef und Premierminister Vlad Filat frei zu bekommen. Dieser sitzt wegen Korruptionsverdachts und Amtsmissbrauchs in Untersuchungshaft. Andrei Nastase, der Chef der neuen Bürgerplattform “Gerechtigkeit und Wahrheit“, ist davon überzeugt, dass es einen “Kuhhandel“ zwischen den einstigen Rivalen Plahotniuc und Filat gegeben hat.
Ein Fuß im Grab, der andere am Ufer
Der moldauische Politologe Igor Botan glaubt nicht, dass die neue Regierung unter Pavel Filip das Land aus der Krise führen kann. Dennoch könne Moldau mit Hilfe der internationalen Partner vor dem Untergang bewahrt werden, sagte er im DW-Gespräch. "Es wird eine gewisse Stabilität einziehen, wobei wir mit einem Fuß im Grab und mit dem anderen am Ufer stehen werden."
Für die Partei Plahotniucs dürfte es die letzte Möglichkeit sein, an der Macht zu bleiben. Neuwahlen, das zeigen alle Umfragen, würden die beiden pro-russischen Gruppierungen - die Sozialisten und “Unsere Partei“ – an die Spitze bringen.
Die Aufgaben der neuen Regierung sind gewaltig. Für das laufende Jahr gibt es noch kein Budget, die internationalen Partner – allen voran der Internationale Währungsfonds und die EU – haben ihre Finanzhilfen nach dem milliardenschweren Bankenskandal vom vergangenen Jahr auf Eis gelegt. Auch das Partner- und Schwesterland Rumänien macht eine weitere Unterstützung der Republik Moldau von der klaren Einhaltung des pro-europäischen Kurses abhängig.
Hoffen auf Europa
Der rumänische Europaabgeordnete Siegfried Muresan (EVP) sieht die jüngste Entwicklung sehr kritisch. Im DW-Interview beklagt er den erheblichen Vertrauensverlust zwischen der Europäischen Union und der Republik Moldau. Dennoch müsse die EU auch weiterhin die Geschehnisse im Land positiv begleiten - und sich nicht auf eine Zuschauerrolle beschränken.
“Eine pro-europäische Regierung in der Republik Moldau ist der einzige Ausweg aus der politischen Krise. Das Risiko ist da, dass am Ende des Prozesses pro-russische Kräfte eine Mehrheit im Parlament haben. Die einzige Möglichkeit, das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen, ist jetzt die schnelle und glaubwürdige Umsetzung des EU-Assoziierungs-Abkommens und der Aufbau des Rechtsstaates“, so Muresan.
Der Moldau-Experte Hans-Martin Sieg, Direktor des "Institute for European Politicies and Reforms" in Cisinau, ist auch der Meinung, dass die EU mit der Regierung Filip pragmatisch zusammenarbeiten und Reformen unterstützen sollte. Die demokratische Legitimation der Regierung sei jedoch bestenfalls prekär, sagt er. Sieg gibt den sogenannten pro-europäischen Parteien die Schuld am Scheitern der Reformen und an der vorherrschenden Politikverdrossenheit im Land.
Die eigentlichen Pro-Europäer haben keine Lobby
“Nach allen Meinungsumfragen wird die pro-europäisch eingestellte Bevölkerung inzwischen ganz überwiegend durch oppositionelle Kräfte repräsentiert, die im Parlament überhaupt nur noch marginal vertreten sind.“ Der pro-europäische Kurs der Moldau, so Sieg, wird langfristig davon abhängen, ob sich die pro-europäischen Kräfte in der Opposition konsolidieren und zu einer gemeinsamen Plattform und Agenda finden.
Politiker und Politologen in der Republik Moldau sind sich einig: Ein Scheitern dieser Regierung wäre eine Verlängerung der Dauerkrise auf ungewisse Zeit. Für den ehemaligen Musterschüler der "östlichen EU-Partnerschaft" dürfte es die letzte Chance sein, den pro-europäischen Kurs, den sich die meisten Moldauer wünschen, tatsächlich einzuschlagen.