Rekruten für den Dschihad
11. März 2014Es sind Frauen mit Kindern, streng gläubige Muslime und Schüler, die einem Spektakel der besonderen Art beiwohnen: Am hellichten Nachmittag tritt Salafist Pierre Vogel im Schutze seiner Bodyguards auf eine kleine Bühne in Bonn und hält einen Vortrag. Thema: Die Aufklärung über Missverständnisse im Islam. Passanten sind entrüstet über die Bekehrungsversuche des Predigers und mischen sich ein. Nach etwa 20 Minuten folgt der "Höhepunkt" der Veranstaltung: Eine öffentliche Konversion zum Islam.
Einige Wochen ist das her, Eltern und Lehrer sind seitdem in großer Sorge. Denn die Salafisten werben im Vorfeld auf Schulhöfen für ihre Veranstaltungen - teilweise mit Erfolg. "Es passiert ja nicht nur an einer Schule, wo Jugendliche von Salafisten angeworben werden", sagt Saloua Mohammed. Seit vielen Jahren ist die 32-jährige Streetworkerin in Bonner Brennpunkten unterwegs. Sie hat einen guten Einblick in die Szene. Insbesondere sucht sie den Kontakt zu jungen Muslimen sowie zu Schülern aus dem bildungsfernen Milieu. "Weil ich Angst habe, dass gerade auch benachteiligte Jugendliche in die radikale Szene abdriften."
Bildungsferne Milieus besonders anfällig
In ihrem neuesten Buch haben sich die Islamwissenschaftler Rauf Ceylan und Michael Kiefer mit dem Phänomen des Salafismus beschäftigt. "Was wir sehen können ist, dass im letzten Sommer ganze Gruppen von sehr, sehr jungen Männern aus Frankfurt weggegangen sind, die allesamt eher den bildungsbenachteiligten Milieus zuzurechnen sind", sagt Michael Kiefer. Sie seien nach Syrien in den Krieg gezogen, wo derzeit etwa 250 Dschihadisten aus Deutschland mitkämpften. Besonders anfällig für diese radikalen Strömungen seien "Menschen, die nicht auf der goldenen Seite des Lebens stehen, die Diskriminierungserfahrungen hinter sich haben." Die salafistischen Akteure fischten gezielt in diesem Feld.
Das weiß auch Saloua Mohammend. Nicht selten wenden sich besorgte Eltern an sie, wenn mit den Kindern etwas nicht stimmt. "In letzter Zeit haben sich einige Eltern bei mir gemeldet und erzählt, dass ihre Töchter oder Söhne verschollen sind", sagt die 32-Jährige. Einige hätten den Wunsch geäußert, nach Syrien gehen zu wollen. Zwei ihrer Schützlinge seien spurlos verschwunden, mit anderen liefen derzeit intensive Gespräche. "Die Jugendlichen wollen in den Krieg, weil sie einfach an diese Sache glauben", sagt Saloua Mohammed. Sie gingen davon aus, etwas Gutes zu tun, indem sie gegen Ungerechtigkeit und das Abschlachten von Menschen ankämpften.
Entweder Hölle oder Paradies
Wenn man die Botschaften der Salafisten analysiere, werde deutlich, warum sie erfolgreich seien. "Sie sagen den jungen Männern: 'Wenn ihr zu uns kommt, seid ihr auf der richtigen Seite. Wenn ihr gottgefällig handelt, nach Syrien reist und für Gottes Sache kämpft, ist euch das Paradies gewiss. Und die anderen kommen in die Hölle'", sagt Michael Kiefer. Der Salafismus biete jungen Menschen eine Reihe von positiven Erlebnissen. "Es fängt an mit einer Kameradschaft, die man dort genießen kann, es geht weiter mit einer Selbstüberhöhung, die diese Ideologie ermöglicht und das sehr einfache Modell der Weltdeutung erübrigt jedes weitere eigene Nachdenken", sagt der Islamwissenschaftler.
Aus ihrer täglichen Arbeit in den Brennpunkten der Stadt weiß Saloua Mohammed genau, wie die Jugendlichen "ticken". Attraktiv sei auch das ganze Drumherum. Etwa der Auftritt der Prediger mit ihren Bodyguards übe auf viele Jugendliche eine gewisse Faszination aus. Grundlegend sei auch die Sprache. "Die Salafisten kommunizieren auf Deutsch und in einem jugendlichen Slang. Sie sind damit eine 'coole' Alternative zu den traditionellen, meist arabischsprechenden Imamen in den Moscheen", sagt die Streetworkerin.
Präventionsstrategie der Briten als Vorbild
Wenn ein Radikalisierungsprozess schon weit fortgeschritten sei, erreiche man die Betroffenen kaum noch, sagt Michael Kiefer. "Was wir brauchen, ist ein sensibilisiertes Umfeld bei den Jugendlichen und moderierte Netzwerke, die im Stande sind, angemessen und pädagogisch sinnvoll zu reagieren." Das gäbe es in Deutschland derzeit nicht.
In Großbritannien hingegen habe man wirksame Präventionsstrategien entwickelt. Akteure des Sozialraums seien miteinander verbunden und sammelten so wichtige Informationen. Wenn bei Jugendlichen auffälliges Verhalten festgestellt werde, überlege man gemeinsam, wie die Betroffenen wieder eingefangen werden könnten. Die sogenannten Interventionsgespräche der Briten seien nachweislich überaus erfolgreich - ein Modell, von dem man auch in Deutschland profitieren könne.