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Bilanz des Autojahres

28. Dezember 2011

Doppelter Grund zum Feiern: Pünktlich zum Jubiläum "125 Jahre Automobil" erzielen die großen Hersteller Verkaufserfolge wie nie zuvor. Doch schon ziehen dunkle Wolken am Horizont auf – die Schuldenkrise lässt grüßen.

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Audi TT Sportwagen bereit zum Transport (Foto: AP)
Bild: AP

Dieser Auftritt hat Kult-Charakter: Volkswagen-Chef Martin Winterkorn besucht Mitte September 2011 auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt mit großem Gefolge den Messestand des südkoreanischen Herstellers Hyundai. Dort inspiziert er den neuen Golf-Konkurrenten, das Hyundai-Modell "i30". Der Verschluss an der Lenkradverstellung des Fahrzeugs lässt sich zu seiner großen Überraschung völlig geräuschlos bedienen. "Da scheppert nix", kommentiert der mächtige VW-Mann sichtlich ungehalten und fragt seinen herbeigerufenen Designchef: "BMW kann's nicht, wir können's nicht - warum kann's der?".

Martin Winterkorn (VW) lobt auf der IAA 2011 Hyundai; Amateurvideo wird zum Youtube-Hit
VW-Chef Martin Winterkorn lobt auf der IAA 2011 Hyundai - das Amateurvideo wird zum YouTube-HitBild: youtube.com

Die von einem unbekannten Messebesucher gefilmte Szene wird im Internet ein Hit: Beim Videoportal YouTube registriert man für das verwackelte Handyvideo mehr als 1,5 Millionen Aufrufe.

Bestes Ergebnis aller Zeiten

Die unfreiwillige Werbung für die Konkurrenz wird wohl als größte Kuriosität in die Annalen des Autojahres 2011 eingehen. Ein Jahr, in dem 125 Jahre Automobilgeschichte gefeiert wurden - und neue Umsatzrekorde. "Es wird absolut das beste Jahresergebnis bei den Autobauern und Zulieferern, was wir je gesehen haben", sagt Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des Centers Automotive Research an der Universität Duisburg-Essen gegenüber DW-WORLD.DE. Besonders die deutschen Autobauer VW, BMW und Daimler werden "Traumrenditen erwirtschaften und mit dicken Gewinnpolstern ins nächste Jahr gehen".

Dudenhöffer rechnet in diesem Jahr insgesamt mit gut 60 Millionen verkauften Neufahrzeugen weltweit. Der Autoanalyst Frank Schwope von der NordLB bezieht die Nutzfahrzeuge mit ein und spricht sogar von insgesamt rund 80 Millionen Neuzulassungen. – wobei er sich sich auf Zahlen des Weltverbandes der Autoindustrie OICA beruft.

Infografik: die wichtigsten PKW-Märkte weltweit (DW-Grafik: Per Sander)

GM belegt Platz eins

Größter Hersteller der Welt 2011 dürfte nach Schätzungen aus Fachkreisen der US-amerikanische Konzern General Motors mit gut neun Millionen verkauften Autos werden. Auf den Plätzen zwei und drei folgen demnach der deutsche Hersteller Volkswagen mit rund acht Millionen verkauften Einheiten und der ehemalige Champion Toyota aus Japan mit rund sieben Millionen Verkäufen.

Allerdings hatten die Japaner mit Qualitätsproblemen und vor allem mit den Folgen von Naturkatastrophen zu kämpfen: Erdbeben und Reaktorcrash in Japan, Überschwemmungen in Thailand, wo wichtige Produktionsstätten und Zulieferer des Konzerns betroffen waren. Ferdinand Dudenhöffer: "Toyota war ein verletzter Kämpfer in diesem Jahr, deutlich verletzt. Und einem verletzten Sportler wird man nie einen Weltrekord zutrauen können."

VW holt auf

Der deutsche Volkswagenkonzern dagegen kommt seinem selbst gesteckten Ziel, bis zum Jahr 2018 weltweit die Nummer eins zu sein, immer näher. Die Wolfsburger sind bereits Europas größter Autohersteller. In Deutschland stellen sie einer Studie zufolge in diesem Jahr bundesweit mit Golf, Passat und Polo erstmals die drei meistverkauften Automodelle. Die VW-Gruppe, zu der auch Marken wie Audi, Skoda und Porsche gehören, werde 2011 einen Marktanteil von knapp 37 Prozent erreichen.

Das Foto zeigt Frank Schwope, Autoanalyst bei der NordLB (Foto: NordLB)
Frank Schwope: "Fünfkampf der Autokonzerne"Bild: NordLB

Analyst Frank Schwope sieht beim Kampf um die Weltspitze in den nächsten Jahren neben VW auch den jetzigen Spitzenreiter General Motors weiterhin ganz vorne. Auch die nächsten Konkurrenten Toyota, Renault/Nissan und Hyundai-Kia – bereits jetzt schon auf Platz fünf – dürfe man nicht unterschätzen. Mittelfristig sei auch ein großer chinesischer Konzern denkbar, der in diesen Fünfkampf eingreifen könne, so Schwope zu DW-WORL.DE.

"Größter Autobauer der Welt" - für den Analysten geht es bei diesem inoffiziellen Titel in erster Linie lediglich ums Prestige. Der Kunde werde sich aber fragen, "ob er unbedingt ein Auto kaufen will vom größten Massenhersteller der Welt."

Wichtiger als Größe sei sowieso die Rentabilität. Vor allem im nächsten Jahr. Denn dann, da ist sich die Fachwelt einig, wird der Boom nicht weiter anhalten.

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Boom flaut ab

Der Automobilexperte Prof. Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen (Foto: DW)
Ferdinand Dudenhöffer: "2012 kein Wachstum"Bild: DW

Alleine in Europa werde der Verkauf aufgrund der Schuldenkrise und deren Auswirkungen um 300.000 bis 400.000 Fahrzeuge einbrechen, hat Ferdinand Dudenhöffer errechnet. Auch in den USA werde der Automarkt kaum noch wachsen. Steigende Verkaufszahlen seien zwar weiterhin aus China zu erwarten, allerdings wegen interner Probleme wie Inflation und Blasenbildung bei weitem nicht mit den hohen zweistelligen Raten wie in der Vergangenheit.

Dudenhöffers ernüchternde Prognose: "Alle Probleme zusammen genommen führen nach unserer Einschätzung dazu, dass der Weltmarkt 2012 kein Wachstum im Automobilbereich zeigen wird."

Was aber mit Sicherheit bleiben wird, ist der Drang der großen Autohersteller nach Fernost, genauer gesagt nach China. Denn dort herrscht trotz gebremsten Wachstums immer noch Goldgräberstimmung. Zum Vergleich: Während in Deutschland in diesem Jahr voraussichtlich gut drei Millionen Autos neu zugelassen werden, rechnet man in China mit rund 14 Millionen Verkäufen. Im Jahr 2017 sollen es schon 28 Millionen Einheiten sein.

Nobelkarossen für China

Gerade die Nobelmarken made in Germany profitieren von diesem Kaufrausch. Mercedes konnte in den ersten neun Monaten des Jahres 2011 fast 33 Prozent mehr Fahrzeuge in China absetzen und kam in diesem Zeitraum auf mehr als 135.000 Verkäufe. BMW setzte bis September mehr als 177.000 Autos im Reich der Mitte ab - ein Plus von fast 46 Prozent. Bei Audi, dem Marktführer im chinesischen Premiumsegment, waren es gar 226.000 Einheiten, was einem Zuwachs von fast 30 Prozent entspricht.

Ein Arbeiter reinigt das Firmenschild eines Volkswagen Autohauses in der Nähe von Shanghai (Foto: dpa)
Gigantische Zahl: 600 Millionen Autos "fehlen" in ChinaBild: picture-alliance/dpa

Und auch wenn sich das Wachstumstempo in China demnächst verlangsamen sollte, ist eine Sättigung des Marktes noch lange nicht in Sicht. Autoanalyst Frank Schwope von der NordLB rechnet vor: "China hat über 1,3 Milliarden Einwohner und wenn man westlichen Standard zugrunde legt, sprich: 550 Autos auf tausend Einwohner – dann fehlt in China noch die unglaubliche Zahl von mehr als 600 Millionen Autos."

600 Millionen PKW – das ist rund das Zehnfache der weltweiten Produktion des Jahres 2011. Auch angesichts solch gigantischer Zahlen wird klar: Es müssen effizientere Antriebe mit geringerem Verbrauch und möglichst niedrigem CO2-Austoß entwickelt werden. Und nicht zuletzt deshalb ist das Thema Elektromobilität einer der ganz großen Trends in der Autoindustrie.

Elektrofahrzeuge in Serie

Ferdinand Dudenhöffer nennt das Jahr 2011 auch in dieser Hinsicht "historisch": Zum ersten Mal in der Geschichte der Automobilindustrie seien Fahrzeuge mit Elektro-Antrieben serienmäßig auf den Markt gekommen: Zwar mit verschwindend geringem Marktanteil, aber immerhin. Die E-Mobile seien noch ziemlich teuer, die Ladekapazitäten der Elektro-Akkus noch zu klein und damit die Reichweite der Fahrzeuge noch zu gering.

Experten schätzen, dass 2011 insgesamt rund 70.000 bis 80.000 Elektro-Fahrzeuge verkauft werden können, nachdem Prognosen ursprünglich von 100.000 ausgegangen waren. Vor allem die Katastrophen in Japan hätten gebremst, da japanische Hersteller gerade bei der Entwicklung von Elektroautos und Batterien ganz vorne lägen.

Hinzu kommt: Besonders bei der Erforschung und Produktion von völlig neuen Produkten – und dazu gehört die Elektrotechnologie im Individualverkehr – kommt es in der Regel immer wieder zu Verzögerungen.

Revolution im Automobilbau

Stefan Bratzel, Autoexperte der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach (dpa)
Stefan Bratzel: "Revolution -aber kein Mauerfall"Bild: picture alliance/dpa

Es sei aber dennoch lediglich eine Frage der Zeit, bis sich das Thema Elektromobilität auf breiter Front durchsetzen werde, meint auch Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management an der Fachhochschule Bergisch Gladbach im Gespräch mit DW-WORLD.DE: "Es wird eine Revolution im Automobilbau auslösen. Allerdings wird diese Revolution nicht über Nacht kommen wie der Fall der Berliner Mauer, sondern es wird eher eine Revolution im Sinne eines Dreißigjährigen Krieges sein."

Parallel müssten neue Sicherheitssysteme zur Senkung der Unfallzahlen weltweit entwickelt werden, meint Bratzel. Aber noch wichtiger seien höhere Umweltstandards mit Hilfe von Elektroantrieben, eben "eine ökologische Modernisierung". Die Automobilindustrie müsse sich den neuen Anforderungen anpassen, "damit sie langfristig eine wichtige Rolle behalten kann."

Dass der Automobilbau auch in Zukunft weltweit zu den Schlüsselindustrien gehören wird, davon ist Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen fest überzeugt. Schließlich seien die Begriffe "Mobilität, Wachstum und Wohlstand" nicht voneinander zu trennen. Und Mobilität, sowohl von Personen als auch von Gütern, finde in großem Maße nun mal im Auto statt. "Wenn wir Wohlstand auch in Afrika, auch in China, auch in Indien wollen", so der Experte, "dann kommen wir am Auto nicht vorbei."

Autor: Klaus Ulrich
Redaktion: Henrik Böhme