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"Reiseführer" zum Dschihad

Karin El Minawi12. Februar 2016

Die Terrormiliz IS rekrutiert Freiwillige aus dem Ausland über das Internet. Seit einem Jahr kursiert online ein Reiseratgeber. Auch die Schweizerin Franziska S. hatte ihn im Gepäck - und scheiterte.

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Symbolbild Deutsche Frauen beim IS (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Auf den ersten Blick wirkt das 50-seitige E-Book wie eine Mischung aus Survival-Ratgeber und Wanderführer: Militärstiefel seien dringend anzuraten, schreiben die Autoren. Auch Knie- und Ellenbogenschützer sollten in der Ausrüstung nicht fehlen, "denn es wird viel gekrochen". Neben Löffel, Teller und Tasse gehöre auch ein Schlafsack ins Gepäck. Schließlich gehe es nicht in ein edles Hotel. Betten und Matratzen seien am Ziel nicht immer vorhanden.

Es sind aber keine Reisetipps für Outdoor-Freunde, sondern Anweisungen für Möchtegern-Dschihadisten auf dem Weg ins Reich des Terrors. Sie stammen aus dem im Internet kursierenden Ratgeber "Hijra to the Islamic State", frei übersetzt: "Auswanderung in den Islamischen Staat". Das Machwerk zeigt, dass die Dschihadisten inzwischen gut organisiert sind. Ziel des "Reiseführers" ist es, online Terroristennachwuchs zu rekrutieren und ins Zielgebiet zu lotsen. Jugendliche und junge Erwachsene sollen auf einen vermeintlichen Abenteuertrip gelockt werden - nicht nur Männer, sondern zunehmend auch Frauen.

Mit Sohn zum IS

Eine davon ist die 29-jährige Schweizerin Franziska S. Sie entführte vor wenigen Wochen ihren vierjährigen Sohn aus Ägypten, um sich der Terrormiliz in Syrien anzuschließen. Ihr Plan war, einen Dschihadisten zu heiraten und ihren Sohn zu einem "Gotteskrieger" ausbilden zu lassen.

Franziska S. lebte seit 2010 mit ihrem ägyptischen Ehemann in Kairo. Nach der Geburt ihres Sohnes begann sie sich für den Islam zu interessieren. Sie hörte Vorträge des deutschen Predigers Pierre Vogel, erlernte die arabische Sprache, um Material von muslimischen Gelehrten verstehen zu können, wandte sich dann aber extremistischen Islamisten zu. "Sie veränderte sich, wurde immer radikaler", berichtet ihr Ehemann. "Sie legte einen Gesichtsschleier an und erklärte jeden zum Ungläubigen, der ihre Meinung nicht teilte. Auch mich, ihre Eltern, ihre Geschwister", sagt der 30-Jährige. Vor zwei Jahren trennte er sich von ihr. Dass sie heimlich Pläne schmiedete, sich den Extremisten anzuschließen, ahnte er nicht.

Idyllische Versprechungen

Franziska S. ist kein Einzelfall. Immer mehr junge Frauen folgen dem Ruf der Terrormiliz zum Heiligen Krieg. Hunderte Mädchen und Frauen sollen inzwischen aus Europa nach Syrien gereist sein. Laut Bundesinnenministerium stammen mehr als 150 aus Deutschland.

Die selbsternannten Gotteskrieger brauchen für ihr "Kalifat", das sich vom Nordwesten Iraks bis zum Osten Syriens erstreckt, nicht nur Kämpfer, sondern auch Ärzte, Ingenieure und Ehefrauen. Professionelle Rekrutierer treten über soziale Netzwerke gezielt mit Frauen in Kontakt und malen ihnen ein idyllisches Leben als Hausfrau und Mutter an der Seite eines Kämpfers aus. In Wahrheit werden die Frauen dort zu zwangsverheirateten Ehefrauen, Sexsklavinnen oder Selbstmordattentäterinnen.

Cover des "Reiseführers" zum Islamischen Staat (Quelle: IS)
Kursiert seit einem Jahr im Internet: Reiseratgeber zum Islamischen StaatBild: IS

Reiseanleitung aus dem Internet

Auch die Schweizerin Franziska S. ließ sich anwerben. Um an Bargeld zu kommen, verkaufte sie alles, was sie in Kairo besaß. Dann zahlte sie einem Schlepper umgerechnet 10.000 Euro, damit er sie und ihren Sohn von der ägyptischen Hafenstadt Marsa Matruh nach Kreta zu bringen. Auf die dreitägige Reise nahm sie nur einen Rucksack mit. Den Schleier legte sie ab, um nicht aufzufallen. Von Kreta führte ihr Weg nach Kipi, einer Stadt an der griechisch-türkischen Grenze, wo ihre Reise jedoch endete: Sie wurde verhaftet, bevor sie weiter nach Gaziantep in der Südtürkei, das als Drehkreuz für Dschihad-Reisende fungiert.

Ihr Ehemann, der in ihrem zurückgelassenen Computer den "Reiseführer" und eine Reiseroute fand, reiste ihr nach Griechenland nach. "Sie wusste genau, wohin sie fahren und was sie den Behörden anworten musste, um nicht aufgehalten zu werden", sagt er. Diese Informationen fand sie im Reiseführer. Hätten die ägyptischen Behörden nicht Interpol über die Entführung seines Sohnes verständigt, wäre sie womöglich untergetaucht. Wie man das erfolgreich tut - auch dazu gibt der "Reiseführer" konkrete Tipps.

Seit Februar 2015 kursiert das extremistische Handbuch schon im Internet. Es bietet neben Packliste und Reiseroute auch Kontakte zu Schleppern, die die Reisewilligen über die türkische Grenze in das Bürgerkriegsland Syrien schleusen. Ferner finden sich hier Ratschläge, wie man sich an den Grenzkontrollen zu verhalten hat und wie der Visumsantrag für die Türkei auszufüllen ist: Als Grund der Einreise solle man "Tourismus" angeben - nicht etwa "Dschihad in Syrien". Bis heute ist es westlichen Sicherheitsbehörden nicht gelungen, die Verbreitung des Handbuchs im Internet zu verhindern.

Sohn gerettet

Obwohl sich Franziska S. akribisch an die Anweisungen des "Reiseführers" hielt, wurde sie von den griechischen Behörden verhaftet. In einem ersten Prozess übertrug ein griechisches Gericht dem Vater das alleinige Sorgerecht für den Sohn - er konnte ihn nach Ägypten zurückholen.

Auf einem Computer-Bildschirm betrachtet jemand ein Facebook-Foto, auf dem der Vater mit seinem geretteten Sohn im Flugzeug nach Ägypten sitzt (Foto: DW)
Weltweite Anteilnahme: Der Vater postet das erste Bild nach der Rettung seines Sohnes auf FacebookBild: DW

Franziska S. ist inzwischen wieder auf freiem Fuß, ihr steht aber in Griechenland ein zweites Verfahren, nun wegen Entführung und Kindesgefährdung, bevor. Ob sie sich jedoch überhaupt noch in Griechenland aufhält, bezweifelt ihr Ehemann: "Sie hielt bis zuletzt an ihrem Plan fest, nach Syrien zu reisen. Sie ließ sich nicht davon abbringen."