Reisefreiheit für saudische Frauen?
16. Juli 2019Medienberichten zufolge soll Saudi-Arabien noch in diesem Jahr Frauen erlauben, auch ohne die Zustimmung männlicher Verwandter reisen zu dürfen. Ausgangspunkt war eine Meldung der saudischen Zeitung "Okaz", in der diese Entscheidung bereits angedeutet worden war. Das "Wall Street Journal" und die "Financial Times" berufen sich auf saudische Beamte und "Personen, die mit den Vorgängen vertraut sind", ohne namentliche Quellen zu nennen. Demnach soll Männern und Frauen über 18 Jahren erlaubt werden, ohne Einverständnis ihres Vormundes das Land zu verlassen. Momentan dürfen Männer unter 21 Jahren und Frauen in jedem Alter nur mit der Erlaubnis eines Vormundes reisen.
Dieses Gesetz hatte zuletzt wieder mehrfach Aufsehen erregt, nachdem vermehrt Frauen aus Saudi-Arabien geflüchtet sind und im Ausland Asyl beantragt haben. Eine von ihnen ist Rahaf Al-Kunun, eine 19-Jährige, die im Januar trotz Asylgesuchs beinahe von saudischen Beamten auf dem Flughafen von Bangkok zur Rückreise gezwungen worden wäre. Schließlich konnte sie in Kanada Sicherheit finden.
Für immer unmündig
In Saudi-Arabien hat jede Frau einen Vormund. Erst ist es der Vater, nach der Hochzeit dann der Ehemann. Bei unverheirateten Frauen kann es auch der Bruder, der Onkel oder ein anderer männlicher Verwandter sein. Verwitwete Frauen können als Vormund auch den eigenen Sohn haben.
Sollte nun die Vormundschaftsregelung bei der Ausreise fallen, bleiben dennoch weitere offenbar in Kraft: Die Zustimmung eines Vormundes wäre weiterhin nötig, wenn eine Frau heiraten oder ein Frauenhaus verlassen will.
Von offizieller Seite lässt sich dieses Vorhaben nicht bestätigen. Auch wenn die endgültige Entscheidung noch nicht gefallen ist, würde dieser Schritt jedoch zum bisherigen politischen Auftreten des jungen Kronprinzen Mohammed bin Salman passen. Er möchte als der Modernisierer des Landes wahrgenommen werden und hat deswegen unter anderem auch das Autofahren für Frauen für legal erklärt und kleine Erleichterungen für Frauen im Scheidungsfall durchgebracht.
Aktivistin: Regime würde sich durch Frauenrechte selbst gefährden
Vor nur einem Jahr haben saudische Frauen gejubelt, als sie erstmals Autofahren durften. Viele dachten, das wäre ein erster Schritt auf dem Weg zur vollständigen Erlangung ihrer Rechte in Saudi-Arabien. Doch es gibt viele Zeichen dafür, dass das Königshaus keine echten Reformen will und nur Symbolpolitik betreibt. Eine der Frauen, die sich für das Aufheben des Autofahrverbots in Saudi-Arabien einsetzte, Loujain Al-Hathloul, wurde in den Vereinigten Arabischen Emiraten aus ihrem Auto gezerrt und nach Saudi-Arabien gebracht. Dort sitzt sie heute noch hinter Gittern.
Regina Nasr, eine saudische Feministin, die in Australien lebt, glaubt nicht an eine echte Veränderung im Bereich der Frauenrechte in Saudi-Arabien: "Den Männern die Kontrolle über die Frauen zu nehmen, würde das Ende der Königsfamilie bedeuten. Denn das System funktioniert nur, weil Männern, die vom Regime unterdrückt werden, die Macht über die Frauen überlassen wird. Nimmt man ihnen diese Kontrolle weg, würden sie gegen die Herrscherfamilie aufbegehren und ihre Rechte einfordern." Die Königsfamilie würde sich somit selbst gefährden, sagt Regina Nasr. Außerdem würde die saudische Gesellschaft eine solche Modernisierung gar nicht akzeptieren, denn die Männer glauben, ihre Ehre würde darin liegen, Frauen zu kontrollieren, erklärt die saudische Frauenrechtlerin. Sie setzt sich in Australien mit Straßenaktionen für Frauenrechte ein und möchte aus Sicherheitsgründen unerkannt bleiben.
Der regimetreue saudische Politiker Mohammad Al-Zulfa wünscht sich die Aufhebung der Vormundschaft für erwachsene Frauen und hält deren Umsetzung für möglich. "Sie sind alt genug, sorgen selbst für ihre Eltern oder Kinder, arbeiten, sind selbstständig und tragen Verantwortung", erklärt er. So sei eine saudische Frau nicht mehr die Schwache, die Schutzsuchende. Im Fall von jüngeren Mädchen befürwortet er jedoch die Vormundschaft, da sie Unterstützung und Orientierung bräuchten.
Keine politische Liberalisierung in Sicht
Al-Zulfa kann die Nachricht über die Lockerung des Vormundschaftssystems zwar nicht offiziell bestätigen, er weist jedoch auf die Modernisierungsvorhaben der Familie Al-Saud hin, zu denen dieses Vorhaben gut passe: "Wenn die Modernisierung den Frauen zugute kommt, wäre das zu begrüßen."
Allerdings gehört eine politische Liberalisierung nicht zur Agenda des Kronprinzen. Viele Frauenrechtlerinnen, Aktivisten und Wissenschaftler, denen eine Gefährdung der Sicherheit des Landes vorgeworfen wird, sitzen hinter Gittern. Die Prozesse gegen elf Aktivistinnen verlaufen schleppend. In einigen Fällen steht sogar die Todesstrafe im Raum.
Außerdem hat auch nicht jeder positive Schritt eine reale Veränderung der Situation von Frauen in Saudi-Arabien zur Folge - wie im Fall des Autofahrens: "Wenn eine Frau einen Verkehrsverstoß begeht, kommt sie nur mit der Erlaubnis ihres Vormundes aus der Haft heraus", betont die Aktivistin Regina Nasr. Die angekündigte Liberalisierung des Landes unter Kronprinz Mohammed bin Salman sei nur als Besänftigung der internationalen Gemeinschaft zu verstehen.
"Die Frauenrechtlerinnen in den Gefängnissen sind der Beweis dafür, dass es keinen wirklichen Willen zur Veränderung gibt", erklärt sie. Der Versuch der Modernisierung sei aber auch ein Drahtseilakt, denn die saudische Gesellschaft selbst sei rückständig. Die Regierung werde immer Wege finden, Frauen zu unterdrücken, doch gleichzeitig wolle sie nach außen hin ein positives Bild eines modernen Landes zeichnen. Eines kann Regina Nasr versichern: "Uns Frauen werden sie aber nicht mehr zum Schweigen bringen. Wir haben bereits alles verloren."
Mitarbeit: Dina El-Basnaly, Imane Mellouk