Regisseurin Ina Weisse für Frauen-Quote
22. Januar 2020Eigentlich will sie nicht unbedingt über das Thema sprechen. Würden Sie einem männlichen Regisseur die gleichen Fragen stellen? So begegnet Ina Weisse Fragen nach Geschlechtergerechtigkeit in der Filmbranche. Da hat Ina Weisse zweifellos recht. Doch das Thema ist hochaktuell: Die jüngste Golden-Globe-Verleihung und die Oscar-Nominierungen zeigen wieder, dass Frauen deutlich weniger nominiert und ausgezeichnet werden.
Ina Weisse: "Ohne die Quote ändern sich die Verhältnisse zu langsam."
Wir bleiben also beim Thema. Regisseurin Hermine Huntgeburth, die gerade mit einem Spielfilm über die Rock-Legende Udo-Lindenberg im Kino ist, hatte vor ein paar Tagen vorgeschlagen, bei der Besetzung von Regiestühlen auf Geschlechterparität zu setzen - was nichts anderes bedeutet als eine Quote. Was hält Ina Weisse davon? "Ich gebe ihr Recht", sagt Weisse: "Ich hatte die Diskussion über MeToo beim Festival in Toronto. Ich glaube ohne die Quote ändern sich die Verhältnisse zu langsam."
Das Drehbuch zu "Das Vorspiel" hat Ina Weisse mit einer Frau - Daphne Charizani - geschrieben, hinter der Kamera stand Judith Kaufmann, das Szenenbild stammt von Susanne Hopf. Wie wichtig ist es für Weisse, mit weiblichen Protagonistinnen am Set zusammenzuarbeiten? "Es ging bei den Mitarbeitern nicht darum, ob sie ein Mann oder eine Frau sind, das spielt für mich bei der Auswahl überhaupt keine Rolle. Judith Kaufmann und Susanne Hopf sind sehr emphatische, sensible Menschen mit einem sehr genauen Blick." Geschnitten werden Filme meist von Frauen, bei Ina Weisse erledigte den Job ein Mann: Hansjörg Weissbrich.
"Das Vorspiel" erzählt die Geschichte der Geigenlehrerin Anna Bronsky (Nina Hoss/unser Bild oben), die gegen den Rat der Schulleitung einen jungen Violinisten an der Musikschule durchsetzt. Anna war selbst einmal ein großes Talent an dem Instrument, schaffte den Durchbruch aber nie. Nun versucht sie bei dem jungen, begabten Mann das nachzuholen, woran sie selbst gescheitert ist.
Nina Hoss glänzt als ehrgeizige, aber verunsicherte Violinistin
Familiäre Konflikte brechen auf, Vergangenes kommt an die Oberfläche. Anna gerät in einen verhängnisvollen Kreislauf aus übermäßigem Ehrgeiz, Verdrängung und dem Wunsch, es allen recht zu machen. "Das Vorspiel" ist ein ungeheuer intensiv gespieltes und mit Nina Hoss in der Hauptrolle glänzend besetztes Drama. Zu Recht erhielt Hoss dafür beim Filmfestival in San Sebastian den Preis als beste Darstellerin.
Was hat Ina Weisse so fasziniert an dieser Anna Bronsky? "Ihr Kampf. Ihre Suche nach dem Absoluten. Ihre Überzeugung, dass sich alles der Musik unterzuordnen hat, dass nie etwas gut genug ist, setzt sie unter großen Druck. Sie hat große Ansprüche an sich selbst - und gleichzeitig hat sie die Furcht, dass sie scheitert. Sie ist sehr verletzlich, da sie weiß, dass ihr die Zweifel niemand nehmen kann."
Ursprünglich sollte der Protagonist männlich sein
Ist das nun ein typisches Frauenthema, hat sie den Stoff gewählt, weil eine Frau im Mittelpunkt steht? Auch das kann Weisse nicht bestätigen - im Gegenteil: "Am Anfang war der Mann der Geigenlehrerin die Hauptfigur. Aber nach und nach hat uns immer mehr der Charakter der Frau interessiert, ihre Zerrissenheit, ihre Unerbittlichkeit sich selbst gegenüber."
"Das Vorspiel" arbeitet bewusst mit erzählerischen Auslassungen, manches muss sich der Zuschauer selbst beantworten. Ist Anna so unerbittlich, weil sie das von ihren Eltern mit auf den Weg bekommen hat? Und gibt sie das jetzt weiter an den eigenen Sohn, der auch Geige lernen soll und gibt sie es weiter an ihren Schüler? Eindeutige Antworten verweigert der Film.
Film versus Buch: Weniger Freiraum zur Interpretation
Ist das ein bewusstes filmisches Konzept? "Wenn man Bücher liest oder Musik hört, hat man eine große Freiheit, man schafft sich seine Bilder selbst. Im Kino werden einem die Bilder vorgesetzt. Ich denke, man kann den Leuten beim Zuschauen eine größere Freiheit geben, man kann ihnen mehr zumuten, indem man in der Erzählung Lücken lässt, die sie selbst schließen", sagt Weisse.
Kann sie dafür ein Beispiel nennen? Der von Thomas Thieme gespielte Vater Annas entwirft in ein paar kurzen, sehr prägnanten Szenen das Bild eines Menschen, der eigene Ideale und Erziehungsrituale weitergibt: "So wie er mit dem Enkel umgeht, kann man seine eigenen Schlussfolgerungen über die Kindheit der Geigenlehrerin ziehen. Das ist nur angerissen, nicht auserzählt, nicht erklärt", sagt Ina Weisse.
Und wie geht es jetzt weiter in der Karriere der Ina Weisse? Die 1968 in Berlin geborene Schauspielerin hat seit Mitte der 1990er Jahre in über 50 Kino- und Fernsehfilmen mitgespielt, sie ist eine gefragte Aktrice. Nach mehreren Kurzfilmen inszenierte sie 2008 ihren ersten Spielfilm in eigener Regie, "Der Architekt", auch das ein großartiges Psychogramm und Familienporträt - mit einem Mann in der Hauptrolle.
Ina Weisse: "Es kommt immer auf die Empathie an"
"Das Vorspiel" ist nun ihr zweiter Spielfilm. Geht sie anders mit ihren Schauspielern um, weil sie selbst schon viel Erfahrung vor den Kameras gesammelt hat? "Das müsste man die Schauspieler fragen. Vielleicht ist es hilfreich, weil ich manche Mechanismen kenne, die man als Schauspieler hat, und die man in bestimmten Situationen auch abruft, und dass ich vielleicht auch manchmal weiß, dass es großen Mut und eine Überwindung braucht, um bestimmte Situationen zuzulassen", sagt sie und fügt hinzu: "Ich glaube, es kommt immer auf die Wahrnehmung, die Empathie an, die man füreinander hat."
Nach der Uraufführung im kanadischen Toronto im vergangenen Jahr lief "Das Vorspiel" bei verschiedenen Festivals und kommt nun in die Kinos - nicht nur in Deutschland. Rund um den Globus sind Kinoeinsätze geplant. Für einen deutschen Film ist das eine kleine Sensation.
Wie ist das zu erklären? Ina Weisse verweist auf die legendäre, 1961 von Eric Rohmer gegründete französische Produktionsfirma "Les films du losange", die sich um den internationalen Verleih von "Das Vorspiel" kümmert. In Frankreich, so Ina Weisse, werde das Kino viel mehr gepflegt als hierzulande. Davon profitiert nun also ein deutscher Film.