Regimekritiker und Dauerhäftling
29. Oktober 2015Seit mehr als drei Jahren sitzt Raif Badawi in Saudi-Arabien im Gefängnis. Der heute 31-Jährige soll, so der Vorwurf der Behörden, auf seinem Internetportal "Die saudischen Liberalen" den Islam beleidigt haben. Im Juni 2012 wurde er verhaftet, seine Website wurde geschlossen.
Gegen Badawi wurde ein Verfahren wegen "Apostasie" - Abtrünnigkeit vom Islam - eingeleitet. Im Königreich Saudi-Arabien kann dafür die Todesstrafe verhängt werden. Dazu kam es im Fall Badawi zwar nicht, doch am Ende des Verfahrens stand trotzdem ein hartes Urteil: zehn Jahre Gefängnis, eine hohe Geldstrafe, 1000 Peitschenhiebe, von denen bisher 50 im Januar dieses Jahres öffentlich vollstreckt wurden, und eine daran anschließende zehnjährige Ausreisesperre. Wenn es nach den Machthabern geht, wird der gesundheitlich angeschlagene Familienvater seine Frau und die gemeinsamen Kinder weitere 17 Jahre lang nicht zu Gesicht bekommen.
"Papa, warum bist du im Gefängnis?"
In einem öffentlichen Brief an seinen Vater stellte der damals zehnjährige Terad ("Doudi") im vorigen Jahr die Frage, die viele umtreibt: "Papa, stimmt es, dass du im Gefängnis bist, weil du eine Website gegründet hast, die zur sozialen und politischen Diskussion aufruft?"
In der Tat war die mittlerweile verbotene und abgeschaltete Internetseite von Raif Badawi eine Insel der Meinungsfreiheit, auf der auch andere Liberale ihrem Unmut über die strenge Herrschaft der Wahhabiten in Saudi-Arabien Ausdruck verleihen konnten.
Auf der Plattform forderte der Blogger, der sich auf seiner eigenen Internetseite "Menschenfreund, Freigeist und Schriftsteller" nennt, unter anderem die Abschaffung der saudischen Religionspolizei. Er kritisierte führende Politiker, nannte eine große Universität des Landes einen "Hort für Terroristen" - und schrieb über den in Saudi-Arabien verbotenen Valentinstag.
Weltweite Unterstützung und eine starke Frau
Seit dem Urteil gegen Badawi haben sich Menschenrechtler, Politiker und Aktivisten in aller Welt dafür eingesetzt, dass die Strafe gegen ihn aufgehoben wird. Bislang erfolglos. Bundestagspräsident Norbert Lammert kritisierte das Vorgehen von Saudi-Arabien zu Jahresbeginn scharf: Mit staatlicher Autorität werde im Namen Gottes "gegen Mindeststandards der Menschlichkeit verstoßen".
Badawis vehementeste Fürsprecherin ist seine Frau, Ensaf Haidar. Mit der Verurteilung ihres Mannes vor drei Jahren zerplatzte auch ihr Lebenstraum, den sie im Gespräch mit der DW einmal so beschrieb: "Ich wollte eigentlich nur ein ganz normales Leben führen - mit meinen Kindern und mit meinem Mann." Stattdessen musste sie wegen ständiger Drohungen gegen sich und ihre Kinder ihr Heimatland Saudi-Arabien verlassen und bangt seitdem im kanadischen Asyl um das Leben ihres Mannes.
Etwa zweimal pro Woche kann sie mit Raif Badawi telefonieren. Diese Gespräche sind es, die ihr Hoffnung geben - auch wenn sie an seiner Stimme erkennt, dass es ihm eben doch nicht "gut" geht, wie er ihr versichert.
Stellvertreter für viele Leidensgenossen
Raif Badawi ist längst zu einer Ikone der Meinungsfreiheit geworden. Und solange er inhaftiert ist, ist seine Frau seine Botschafterin. Unlängst gründete sie eine Stiftung zur Förderung der Meinungsfreiheit, im Juni nahm sie für ihren Mann den "Freedom of Speech Award" der Deutschen Welle entgegen. Im November wird sie möglicherweise in Berlin dabei sein, wenn beim Bundesmedienball erstmals der "Raif Badawi Award for courageous journalists" vergeben wird, den sie gemeinsam mit der International Media Alliance ins Leben gerufen hat.
Das Europäische Parlament möchte mit der Preisvergabe an Raif Badawi stellvertretend "all diejenigen ehren, die für das Recht auf freie Meinungsäußerung in der Welt kämpfen", sagte der italienische EU-Abgeordnete Pier Antonio Panzeri nach der Nominierung der drei Kandidaten für den Sacharow-Preis.
Der ungarische Delegierte Tamász Meszerics ergänzte, Badawi sei als Blogger in einem der repressivsten Systeme der Welt ein Symbol für den Einsatz für die Meinungsfreiheit. "Europa kann nicht länger schweigen, wenn Menschen gefoltert und mit dem Tod bedroht werden, nur weil sie in Saudi-Arabien ihre Ansichten ausdrücken", sagte der Politiker der Grünen/EFA-Fraktion.
Der mit 50.000 Euro dotierte Sacharow-Preis für Menschenrechte wird vom Europäischen Parlament seit 1988 an Personen oder Organisationen vergeben, die sich in besonderer Weise für Menschenrechte und Grundfreiheiten einsetzen. Neben Raif Badawi waren in diesem Jahr der im Februar ermordete russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow und die demokratische Opposition in Venezuela nominiert. Die Preisverleihung erfolgt am 16. Dezember in Straßburg.