Regierungserklärung Scholz: Deutschland verharrt in Krise
28. November 2023Eine ratlos wirkende Regierung und eine aufgebrachte Opposition haben im Bundestag darüber debattiert, wie Deutschland aus der Haushaltskrise kommen soll. 25 Minuten redete Kanzler Olaf Scholz (SPD) und war vor allem bemüht, die Lage zu beruhigen.
Wer konkrete Ideen erwartet hatte, wie die Staatsausgaben im kommenden Jahr und danach finanziert werden sollen, sah sich allerdings enttäuscht. "Sorgfalt geht vor Schnelligkeit", so Scholz, der durchblicken ließ, dass es in diesem Jahr wohl keine Entscheidung mehr geben wird.
"Sie können es nicht", attackierte daraufhin Oppositionsführer und CDU-Chef Friedrich Merz den Kanzler und sprach Scholz die Eignung für das Kanzleramt ab. "Die Schuhe, in denen Sie als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland stehen, sind Ihnen mindestens zwei Schuhnummern zu groß." Der Kanzler sei allenfalls ein "Klempner der Macht", der mit technischen Antworten auf hochpolitische Fragestellungen reagiere.
Die Fronten in der Ampel sind verhärtet
Tatsächlich hat Scholz vor allem deswegen keine politischen Antworten, weil seine Koalition völlig zerstritten ist. Die beiden linken Parteien SPD und Grüne haben ganz andere Vorstellungen als die wirtschaftsliberale FDP, wie es weitergehen soll, nachdem das Bundesverfassungsgericht ihnen die finanzpolitische Grundlage entzogen hat.
Zur Erinnerung: Die drei Parteien hatten nach ihrem Amtsantritt im Dezember 2021 ungenutzte Kreditermächtigungen über 60 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationsfonds (KTF), ein Sondervermögen für den Klimaschutz, transferiert. Mit dem Geld sollte der klimafreundliche Umbau der deutschen Wirtschaft angekurbelt werden.
Das Problem: Diese Notfallkredite hatte der Bundestag für die Bewältigung der Corona-Pandemie bewilligt. Sie für die Zukunft auf die Seite zu legen und anders zu verwenden als der Bundestag dies beschlossen hatte, sei verfassungswidrig, sagten die Richter.
Das Ende der Schattenhaushalte
Das Bundesverfassungsgericht beendet damit eine Haushaltspolitik, die seit vielen Jahren praktiziert wurde. Auch unter der Regierung von Kanzlerin Angela Merkel gab es zahlreiche Sondervermögen.
"Dieses Urteil schafft eine neue Realität – für die Bundesregierung und für alle gegenwärtigen und zukünftigen Regierungen, im Bund und in den Ländern", sagte Kanzler Scholz dazu. "Eine Realität, die es allerdings schwieriger macht, wichtige und weithin geteilte Ziele für unser Land zu erreichen."
Zumal der KTF nicht das einzige Sondervermögen ist. Es gibt auch noch einen Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), der mit 200 Milliarden Euro gefüllt und ebenfalls als Schattenhaushalt über mehrere Jahre angelegt war. Aus diesem Fonds sind 45 Milliarden Euro bereits in Form von Finanzhilfen an die Wirtschaft und die Bürger ausgegeben worden, um die hohen Energiepreise auszugleichen.
Auch 2023 neue Schulden - rückwirkend
Der WSF wird nun vorsorglich geschlossen. Die bereits eingesetzten Strom- und Gaspreisbremsen sollen über einen Nachtragshaushalt 2023 ausgeglichen und 2024 nicht fortgesetzt werden. Das hatte Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner bereits angekündigt.
Der Bundeskanzler bestätigte dies in seiner Regierungserklärung. "Inzwischen sind überall in Deutschland wieder Strom- und Gastarife verfügbar, die zwar deutlich höher liegen als vor der Krise - aber meist unterhalb der Obergrenzen, die wir für die Preisbremsen gezogen haben."
Keine schnellen Lösungen in Sicht
Wie es im Haushaltsstreit weitergehen wird, steht in den Sternen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts müsse ausführlich beraten werden, sagt Scholz und lässt durchblicken, dass es noch viel Redebedarf gebe. "Das gibt uns Zeit, vorhandene Spielräume im Haushalt auszuloten, Schwerpunkte zu setzen und natürlich auch Ausgaben zu beschränken."
Ausgaben beschränken? Das dürfte die FDP gerne hören, in den eigenen SPD-Reihen und bei den Grünen löst der Satz Alarm aus. Denn die FDP will vor allem Sozialausgaben kürzen und Klimaschutzvorhaben vertagen. SPD und Grüne hingegen sehen die Lösung darin, 2024 und auch 2025 noch einmal die sogenannte Schuldenbremse auszusetzen.
Was ist die Schuldenbremse?
Bei der Schuldenbremse handelt es sich um eine in der Verfassung verankerte Regel, dass der Staat nur so viel Geld ausgeben darf, wie er einnimmt. Von 2014 bis 2019 hat das funktioniert, die Haushalte waren ausgeglichen und wurden jeweils mit der sogenannten "schwarzen Null" abgeschlossen.
Doch dann kam die Corona-Pandemie und ein Krieg, der seit Februar 2022 in der Ukraine tobt. In Krisenzeiten darf die Schuldenbremse in Grenzen ausgesetzt, und es dürfen neue Schulden gemacht werden. Seit 2020 wurden zusätzliche Kredite in hoher dreistelliger Milliardenhöhe aufgenommen. Geld, das auch in die Ukraine fließt.
USA pumpen Geld in die Wirtschaft - und Deutschland?
Deutschland stehe nun vor "Herausforderungen, wie unsere Republik sie in dieser Konzentration und Härte wohl noch nicht erlebt hat", sagt Scholz. Bei der Unterstützung der Ukraine und der Bewältigung der Energiekrise dürfe man "auf keinen Fall nachlassen" und Investitionen in eine moderne Infrastruktur müssten sein.
"Egal, wo man hinschaut, ob in die USA oder nach Frankreich, nach China oder Japan, überall sind sie dabei, massiv in die Zukunft zu investieren." Damit entscheide sich, wo künftig Wertschöpfung stattfinde. "Ich will, dass Deutschland ganz vorne dabei ist."
Die Schuldenbremse erwähnte der Kanzler in seiner Regierungserklärung nicht. Ein Grund könnte darin liegen, dass Scholz in der Regel ein gutes Gespür dafür hat, was politisch durchsetzbar ist und was nicht. Die FDP sperrt sich vehement gegen neue Schulden, SPD und Grüne haben alleine keine Mehrheit.
CDU/CSU wollen die Hand nicht reichen
Auch die größte Oppositionsfraktion, die CDU/CSU, lehnt weitere Schulden ab. "Damit Sie sich keine Illusionen machen: Wir werden an der Schuldenbremse des Grundgesetzes festhalten und Ihnen nicht die Hand dazu reichen, wieder zurückzufallen in die alten sozialdemokratischen Muster einer stetig steigenden Staatsverschuldung", betonte Unionsfraktions- und CDU-Chef Friedrich Merz im Bundestag und verwies zur Begründung auch nach Brüssel.
Innerhalb der EU stünden Entscheidungen zur Wirtschafts- und Währungsunion und zur Fortsetzung der Stabilitäts- und Wachstumspaktes an. Deutschland müsse "ein klares Signal" für stabile Staatsfinanzen in der Währungsunion aussenden.
"Denn wenn in Deutschland die Dämme brechen, werden sie auch in allen anderen Ländern der Währungsunion nicht halten. Da hat Deutschland eine Vorbildfunktion wahrzunehmen", so Merz.