EU-Parlament will Herrschaft des Rechts durchsetzen
5. Oktober 2020Das Urteil des Europa-Abgeordneten Michal Simecka aus der Slowakei war hart. Ungarn sei keine Demokratie mehr und Polen sei auf dem Weg in diese Richtung. Ernste Zweifel müsse man auch an Bulgarien haben, wo die Menschen seit drei Monaten gegen Korruption und die Regierung demonstrieren. Simecka ist der Berichterstatter im Europäischen Parlament, der für einen europäischen Mechanismus zur Sicherung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den EU-Mitgliedsstaaten eintritt. Die Unterwanderung der Pressefreiheit und der unabhängigen Justiz in einigen Mitgliedstaaten, so Michal Simecka in seiner Rede, hätten dazu beführt, "dass das Bild der EU als Garant für Demokratie stark gelitten hat". Die EU müsse ein demokratisches Projekt sein, wo Menschen nicht willkürlich verhaftet werden oder ihre Arbeit verlieren, weil sie ihre Meinung sagen.
Verbindung zwischen Geld und Rechtstreue gesucht
Simeckas Forderung nach einem umfassenden Mechanismus zur Überprüfung der Entwicklungen in den Mitgliedsstaaten wird von der EU-Kommission geteilt. Die für "europäische Werte" zuständige EU-Kommissarin, Vera Jourava, stimmte in der Debatte zu. Auch sie will besseres Monitoring der Mitgliedsstaaten erreichen. Das alleine reiche aber nicht, so der Europa-Abgeordnete Simecka, es müsse auch sichergestellt werden, "dass die Herrschaft des Rechts durchgesetzt werden kann".
Deshalb fordert der Bericht, den das EU-Parlament am Mittwoch voraussichtlich mit großer Mehrheit verabschieden wird, eine Verbindung zwischen der Auszahlung von EU-Geldern und Rechtsstaatlichkeit. In den laufenden Haushaltsverhandlungen zwischen dem Parlament, der EU-Kommission und dem Rat, der Vertretung der Mitgliedsstaaten, wird ein entsprechendes "Rechtsstaats-Instrument" beraten. Bislang ist das Parlament mit diesem Mechanismus nicht zufrieden, weil die Schwellen für Strafen zu hoch liegen. Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten festgelegt, dass Zuschüsse aus EU-Kassen für EU-Staaten nur zurückgehalten werden können, wenn es einen klaren Zusammenhang zwischen Rechtsstaatlichkeit und der konkreten Auszahlung gibt.
Ungarn und Polen reagieren düpiert
Die EU-Kommissarin für Werte, Jourova, wies darauf hin, dass die EU-Kommission in der letzten Wochen ihren ersten Bericht zur Rechtsstaatlichkeit vorgelegt hat. Darin waren Ungarn und Polen heftig kritisiert worden. Aber auch in Bulgarien und anderen Staaten gab es erhebliche Mängel. In Bulgarien ist vor allem die Bekämpfung der Korruption immer noch ein riesiges Problem. Die Reaktionen der Regierungen in den kritisierten Staaten war sehr unterschiedlich. Der innenpolitisch durch heftige Demonstrationen unter Druck stehende bulgarische Premierminister Bojko Borissow sagte vergangene Woche, er sei "sehr zufrieden und glücklich mit dem ausgewogenen Bericht". Er versprach, die Empfehlungen der EU-Kommission zur Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit in Bulgarien anzunehmen. Wie Rumänien ist Bulgarien seit seinem Beitritt zur EU 2013 unter ständiger Beobachtung. Bisher führten alle Reformen nicht zu zufriedenstellenden Ergebnissen.
Der ungarische Premier Viktor Orban, der von vielen Europaabgeordneten als "Autokrat" eingestuft wird, wies den Bericht der EU-Kommission zur Lage der Medien und der Justiz in Ungarn scharf zurück. In einem Hörfunkinterview sagte Orban am Sonntag, die "Bürokraten in Brüssel" würden angreifen. Stattdessen sollten die EU-Politiker die Gemüter eigentlich beruhigen. Die Nationen würden aufeinander gehetzt statt zusammen zu arbeiten. Der polnische Vize-Justizminister Sebastian Kaleta beschwerte sich auf seiner Facebook-Seite, Polen werde wie eine Kolonie behandelt. Dagegen kündigte der rumänische Präsident Klaus Iohannis an, Rumänien werde die Empfehlungen der EU Ernst nehmen und seine Justiz erneut reformieren.
Heftige Debatte
Die EU-Staaten und das Parlament werden in den nächsten Wochen weiter darum ringen, wie man den Haushalt und die Rechtsstaatlichkeit wirksam miteinander verbinden kann. Die deutsche Europaabgeordnete Katarina Barley (SPD) sagte in der Debatte, man könne bei allen möglichen Fragen Kompromisse machen, "aber nicht bei den grundlegenden Werten". Die ehemalige deutsche Justizministerin Barley hatte in einem Interview dem ungarischen Premier Orban vorgeworfen, er sei korrupt. Orban wiederum hatte den Rücktritt der EU-Kommissarin Jourava gefordert, weil diese ihre Kompetenzen überschreite und Ungarn als "kranke Demokratie" bezeichnet hatte.
Die polnische Europa-Abgeordnete Beata Kempa bestritt in der Debatte, dass es eine legale Grundlage für die Rechtsstaats-Berichte der EU-Kommission und des Parlaments gebe. "Es geht hier vielmehr um die förderalen Träume der Linken", sagte die Abgeordnete, die der regierenden nationalkonservativen PiS-Partei in Polen angehört. Sexuellen Minderheiten sollten Sonderrechte eingeräumt werden, wetterte Kempa. Das Ganze sei ein Angriff auf die Souveränität der EU-Mitgliedsstaaten.
"Atmosphäre des Misstrauens"
Die EU-Kommissarin Vera Jourova wies diese Ansicht zurück. Ihr gehe es um Dialog mit den Mitgliedsstaaten. Es könne nicht angehen, dass man in den nächsten sieben Jahren 1,7 Billionen Euro im gemeinsamen EU-Haushalt ausgeben wolle während "eine Atmosphäre des Misstrauens wächst." Deshalb sei eine klare Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit vor Auszahlung von Mitteln nötig. Das haben vor allem Polen und Ungarn bislang entrüstet zurückgewiesen.
Der deutsche Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, wies als Vertreter der EU-Ratspräsidentschaft den Versuch einiger Abgeordneter zurück, die Europäische Union mit einer kommunistischen Diktatur wie der Sowjetunion gleichzusetzen. An die Adresse von Beata Kempa, sagte Roth, es gehe nicht darum, sexuellen Minderheiten, besondere Rechte zu garantieren, sondern die gleichen Rechte wie allen anderen. Für die deutsche Präsidentschaft habe die Rechtsstaatlichkeit Vorrang. "Sie steht ganz oben auf der Tagesordnung." Roth wies darauf hin, dass die EU-Kommission und das Parlament Missstände auch in Deutschland aufzeigen. Die werde man selbstverständlich angehen.