Rechter Terror: "Der NSU lebt"
4. November 2021Zwei Männer, eine Frau. Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Das Trio. Dreizehn Jahre lang morden sie aus dem Untergrund heraus. Bomben. Rauben. In ganz Deutschland. Keiner stoppt sie. Kein Polizist. Kein Geheimdienst.
Ihre Mordserie ist in Deutschland beispiellos. Neun Männer sterben. Hingerichtet an ihren Arbeitsplätzen. Ein Blumenstand. Ein Imbiss. Oder eine Schneiderei. Erschossen am helllichten Tag. Weil sie Migranten sind. Das Trio ermordet auch eine Polizistin.
Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe sind der selbsternannte "Nationalsozialistische Untergrund". "Taten statt Worte" heißt ihr Motto: Mord und Raub statt langer Reden. Sie kommen aus Jena im Bundesland Thüringen. Ihr Ziel: Mit ihren rassistischen Verbrechen wollen sie Einwanderer in Deutschland verängstigen und sie am Ende aus dem Land vertreiben.
Tod nach Banküberfall
Am 4. November 2011 endet der NSU nach offizieller Lesart. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erschießen sich in der Stadt Eisenach in Thüringen. Die Polizei hat sie nach einem Banküberfall verfolgt. Nachdem Beate Zschäpe von dem Tod der Gefährten erfährt, legt sie Feuer in der gemeinsamen Wohnung. Als letzte Tat des selbsternannten "Nationalsozialistischen Untergrunds" verschickt sie das Bekennervideo der Terroristen. Vier Tage später stellt sie sich der Polizei.
Die Selbstenttarnung der rechten Terroristen löst in Deutschland 2011 ein politisches Beben aus. Denn dreizehn Jahre lang verdächtigten Ermittler und Medien vor allem die Opferfamilien selbst der Taten. Zahlreiche hochrangige Mitarbeiter in den Sicherheitsbehörden werden entlassen. Parlamentarische Untersuchungsausschüsse sollen das Versagen des Staates aufklären. Beate Zschäpe wird 2018 wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Vier Unterstützer erhalten Freiheitsstrafen. Seitdem ist es still geworden um den NSU.
"Der NSU lebt", sagt jedoch Mehmet Daimagüler. Er ist Rechtsanwalt. Im Prozess gegen Zschäpe hat er Angehörige der NSU-Opfer für die Nebenklage vertreten. "Der NSU ist ein Netzwerk, ein Netzwerk, das bis heute besteht. Wenn man sich die Struktur anschaut, stößt man immer wieder auf die gleichen Namen, auf die gleichen Organisationen, von denen einige mittlerweile zwar verboten worden sind, aber die Leute sind nicht verschwunden."
Die Legende vom Trio
Nach offizieller Lesart der Justiz bestand der NSU aus dem Trio Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe. Unterstützt wurden sie von "einem eng begrenzten Kreis von wenigen Unterstützern und Gehilfen", so die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklageschrift gegen Zschäpe.
Die Terroristen selbst hatten sich in ihrem Bekennervideo explizit als mehr als nur ein Trio verstanden. Gleich zu Anfang heißt es in dem Film: "Der NSU ist ein Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz: Taten statt Worte."
Nach der Selbstenttarnung stoßen Behörden, Journalisten und antifaschistische Recherchegruppen auf immer mehr Verbindungen des Trios in die rechtsextreme Szene. Zahlreiche Männer und Frauen halfen den Untergetauchten mit gefälschten Ausweisen oder der Anmietung von Wohnungen.
Außerdem fanden die Ermittlungsbehörden in den Überresten der ausgebrannten Wohnung zahlreiche Beweisstücke zu den Verbrechen. Sie verdeutlichen, dass sich die Mörder intensiv auf ihre Taten vorbereitet und die Tatorte im Vorfeld ausgiebig auskundschaftet hatten.
Die rechte Szene schweigt
Martina Renner befasst sich mit dem NSU seit dessen Selbstenttarnung. Sie saß für ihre Partei Die Linke im Untersuchungsausschuss des Bundestages, der das Staatsversagen bei den Ermittlungen aufklären sollte. Sie konnte dort zahlreiche Zeugen, Betroffene und Experten vernehmen. "Es ist höchstwahrscheinlich, dass die lokale Szene mitgewirkt hat an den Taten des NSU. Und die Unterstützer sind weiter aktiv."
Die Aufklärung ist schwierig. Denn das Umfeld schweigt. Und das Schweigen hat Erfolg. In der Öffentlichkeit hat sich das Bild vom Mördertrio festgesetzt. Dass die Justiz diesen Eindruck sogar noch unterstützt, hält Martina Renner für Absicht: "Dass der NSU auf eine Zelle reduziert wird, entspricht dem zentralen Motiv, wie Rechtsterrorismus in Deutschland behandelt wird. Denn wenn man eine Einzeltäterthese wählt, muss man nicht nach Strukturen fragen."
Alarmierender Anstieg rechter Gewalt
Wie gefährlich die rechten Strukturen in Deutschland sind, unterstreichen aktuelle Zahlen der Sicherheitsbehörden. Der Inlandsgeheimdienst schätzt, dass die Zahl der Rechtsextremisten seit der Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011 um alarmierende 50 Prozent auf über 33.000 Personen angestiegen ist. Und auch die Zahl der Straf- und Gewalttaten ist im selben Zeitraum um rund 40 Prozent gestiegen.
Die noch amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte 2012 bei einer Gedenkfeier für die Ermordeten des NSU versprochen, dass der Staat gegen rechten Terror handeln müsse: "Denn es geht auch darum, alles in den Möglichkeiten unseres Rechtsstaates Stehende zu tun, damit sich so etwas nie wiederholen kann", so Merkel.
Seitdem wurden in Hanau neun Migranten von einem Rechtsextremisten erschossen, in München neun Menschen von einem rechtsextremen Täter erschossen, in Halle zwei Menschen von einem rechtsextremen Täter und in Kassel der Politiker Walter Lübcke ebenfalls von einem Rechtsextremisten.
Die Gedenkstätten für die Opfer des NSU werden immer wieder von Rechtsextremisten geschändet und beschädigt. Und Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler lebt seit Jahren mit Morddrohungen gegen seine Person. Der oder die Täter nennen sich "NSU 2.0" . Auch zehn Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU hat der rechte Terror in Deutschland kein Ende gefunden.