Museum darf Kandinsky-Werk behalten
16. Dezember 2020Am Mittwoch (16. Dezember) entschied ein Gericht in Amsterdam, dass das Stedelijk Museum ein Gemälde des russischen Malers Wassily Kandinsky aus dem Jahr 1909 nicht an die Erben der ursprünglichen jüdischen Besitzer zurückgeben muss. Das Werk des Mitbegründers der Künstlergruppe "Der Blaue Reiter" mit dem Titel "Bild mit Häusern" war im Oktober 1940 an das Museum verkauft worden, fünf Monate nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die Niederlande.
Das Amsterdamer Kunstmuseum hatte für das Gemälde seinerzeit 160 Gulden gezahlt - ein Preis, der deutlich unter dem Wert des Werkes lag. "Das Museum hat nicht in gutem Glauben gehandelt", argumentierten die Anwälte der Familie Lewenstein. Es war bereits das zweite Urteil, das zugunsten des Museums ausfiel.
"Restitutionspolitik nicht existent"
Im Jahr 2018 hatte das niederländische Restitutionskomitee den Anspruch der Erben mit der Begründung abgelehnt, dass das Interesse des Museums das der Erben überwiege. Die Kommission führte an, dass die Lewensteins, damals Besitzer einer Nähmaschinenfabrik, das Bild aufgrund ihrer bereits vor der deutschen Besatzung bestehenden schwierigen finanziellen Lage freiwillig verkauft hätten.
Vor der Entscheidung sagte der Anwalt der Erben, James Palmer: "Wenn das Gerichtsurteil Bestand hat, ist die niederländische Restitutionspolitik de facto nicht existent und wichtige Raubkunst wird in den Niederlanden wahrscheinlich nie zurückgegeben werden."
Axel Hagedorn, ein weiterer Anwalt der Familie, hatte zuvor gesagt, der Verkauf von Kunstwerken durch Juden ab Mai 1940 dürfe in den Niederlanden nicht länger als "freiwillig" gelten. "Es ist Unsinn, dass eine jüdische Familie während der Besatzung freiwillig Bilder verkauft hat", sagte er. "Das ist Raubkunst."
Nach Ansicht der Kläger verstößt das Urteil von 2018 gegen die sogenannten Washingtoner Richtlinien. Diese regeln den Umgang mit Raubkunst, sind allerdings für die 44 Unterzeichnerstaaten nicht verbindlich. Die Prinzipien wurden 1998 festgelegt und sollen sicherstellen, dass Wiedergutmachung geleistet wird.
Die Erben der Familie Lewenstein wollen auch das Werk "Das bunte Leben" von Kandinsky aus dem Jahr 1907 zurückerhalten. Es ist im Besitz des Lenbachhausesin München. Über eine mögliche Rückgabe wird die deutsche NS-Raubkunst-Kommission noch entscheiden.
Niederländisches Komitee in der Kritik
Seit seiner Gründung im Jahr 2002 untersucht das niederländische Restitutionskomitee Ansprüche im Zusammenhang mit Kunstwerken, die ehemaligen Besitzern durch Diebstahl, Beschlagnahmung oder Zwangsverkauf während des Naziregimes entzogen worden sind. Das Gremium setzt sich aus Juristen, einem Historiker und einem Kunsthistoriker zusammen.
Das Komitee steht jedoch in der Kritik, wie ein kürzlich vorgestellter Bericht des Kulturministeriums zeigt: Zu häufig urteile das Gremium im Sinne der Museen. Der Bericht kam zu dem Schluss, dass sich die Kommission "in die falsche Richtung bewegt hat" und es ihr an Empathie mit Erben und Opfern mangele.
Zwei der sieben Mitglieder des Gremiums traten nach der Veröffentlichung des Berichts zurück. "Wenn es sich um Raubkunst handelt und es einen Erben gibt, sollten die Interessen des Museums nicht berücksichtigt werden", sagte Jacob Kohnstamm, der an dem Bericht beteiligt war, der "New York Times". "Wir versuchen, nach Gerechtigkeit zu streben."
Schwierige Rechtslage
Die Klärung der viele Jahrzehnte zurückliegenden Fälle gestaltet sich aufgrund einer meist mangelnden Dokumentation und der Rechtssprechung in unterschiedlichen Ländern sehr komplex. So muss der Oberste Gerichtshof der USA im kommenden Jahr entscheiden, ob eine Klage gegen Deutschland in den USA zulässig ist: Eine jüdische Erbengemeinschaft will erwirken, dass die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zur Rückgabe des Welfenschatzes verpflichtet wird. Die Sammlung der Artefakte habe unter dem Druck der Nazis einen deutlich zu niedrigen Preis erzielt.
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hält dagegen, dass zum Zeitpunkt des Verkaufs ein fairer Preis gezahlt worden sei, da die Weltwirtschaftskrise die Preise auf dem Kunstmarkt gedrückt habe. Die Erben des Kunsthändlers hingegen argumentieren, dass jüdische Kunsthändler 1935 einfach kein "faires Geschäft" machen konnten. Ähnlich wie im Fall Lewenstein argumentieren die Anwälte, dass die Sammlung etwa ein Drittel unter ihrem tatsächlichen Wert verkauft worden war.
Adaption: Torsten Landsberg