Rammstein-Tour endet: Die Highlights im Rückblick
23. August 201913 Wochen Feuerwerk. Während Rammsteins Europe Stadium Tour 2019 gab es beinahe täglich Medienberichte, in denen es um jede Nuance der Rammstein-Auftritte ging - auch um bereits bekannte Showeinlagen.
Aber auch das, was Rammstein außerhalb der Bühne unternahm, wurde auf Schritt und Tritt verfolgt: Mal übernahm Frontmann Till Lindemann das Steuer im Flieger, mal angelte er nackt in Finnland, mal schmiss er John Lennons Sohn Sean aus dem Backstage-Bereich. Angeblich habe Lindemann verstanden, der 43-Jährige habe sich als John Lennon vorgestellt. Daraufhin habe Lindemann sich an der Nase herumgeführt gefühlt und Sean Lennon rauswerfen lassen. Man mag Till Lindemann nachsehen, wenn er nach so vielen lauten Konzerten einfach nicht mehr gut hören kann.
Jede Geste wird analysiert
Bei den Rammstein-Konzerten gab es auch Symbolik mit gesellschaftspolitischer Aussage, die für die Band eher untypisch ist: In Wien - wie auch früher in Frankfurt - wurden die Musiker in Schlauchbooten über das Meer von Händen des Publikums zur Bühne befördert. Dort angekommen erwartete sie ein Schild mit der Botschaft "Willkommen". Vor dem Hintergrund der Debatten um Flucht und Migration war die Botschaft unmissverständlich. Das Publikum jubelte. In Polen, wo die LGBTQI-Gemeinde zwischen Staat und Kirche einen schweren Stand hat, schwenkten Bandmitglieder die Regenbogenfahne. Der Männerkuss in Russland war ein weiteres Plädoyer für Toleranz.
Bei der Exegese sind Fans und Medien immer sofort dabei: Jede Textzeile, jede Erscheinung, jede Geste, jede musikalische Wendung wird analysiert. Dazu leisten die Bandmitglieder jedoch keine Unterstützung. Lindemann sagte 2011 im Interview mit dem Musikmagazin "Rolling Stone": "Wenn man seine Naivität verliert, zieht man ein Korsett an, aus dem man so schnell nicht mehr herauskommt. So kann sich Kunst nicht entfalten." Vielmehr wolle Rammstein den Leuten zeigen, wie schnell sie jede Provokation von Rammstein aufnehmen und weiter spinnen würden, so Keyboarder Christian "Flake" Lorenz und spielt damit auf den Trailer zum Musikvideo "Deutschland" an.
Der Trailer war vor dem gesamten Video erschienen und zeigt die Bandmitglieder in KZ-Bekleidung mit Stricken um den Hals auf ihre Exekution wartend. Dieser Ausschnitt sorgte für einen handfesten Skandal, ging es doch um die Darstellung - oder gar Instrumentalisierung - von Opfern in Nazideutschland. Das fast zehnminütige Video, das wenig später erschien, kontextualisierte diese Episode in einer Darstellung von 2000 Jahren deutscher Geschichte. Im Musikvideo wird das Land Deutschland von einer schwarzen Frau verkörpert, was wiederum Rammsteins Fans im rechten Lager missfallen haben dürfte.
Licht, Feuer, Lärm
Und die Shows? Sie waren von einer so gigantischen Licht- und Feuerregie bestimmt, dass es für mehrdeutige Botschaften wie in den Videos kaum Platz gab. Jemand schrieb sinngemäß über die Rammstein-Konzerte: Man bräuchte keinen Musik-, sondern einen Grillkritiker.
Egal wie groß die Spielstätte auf Rammsteins erster Stadiontournee in der 25-jährige Bandgeschichte auch war, es war bestimmt niemand im Publikum, der die Hitze der Pyrotechnik nicht im Gesicht gespürt hätte. Bei den meisten Liedern ging irgendetwas in Flammen auf: auch der riesige Kinderwagen beim Song "Puppe", neben dem der imposante Till Lindemann wie ein dreijähriger Bengel wirkte.
Können die Schockrocker noch schockieren?
Wie viel Spielraum gibt es nach einem Vierteljahrhundert Bandgeschichte als "Schockrocker"? Und wie viel Innovation ist auch musikalisch möglich bei einer Formation, die ihren Stil längst gefunden hat? Diese Fragen traten bei der Tour in den Hintergrund. Gefeiert wurde das Spektakel. Nicht nur die Konzertbesucher hatten Anteil daran: In Gelsenkirchen beschwerten sich Einwohner über den Lärm und in Dresden hätte man am Konzertabend meinen können, die Frauenkirche stehe in Flammen.
Und das Konzertpublikum? Vertreten war darin größtenteils die Altersspanne der 25- bis 55-Jährigen - was angesichts der oft dreistelligen Eintrittspreise nicht überrascht.
Dass es auch ältere Rammstein-Fans gibt, zeigt ein Video einer Sitzrunde in einem Altenpflegeheim in Erxleben, im Nordosten Deutschlands. Rammstein-Musik ist eben auch gut gegen steife Glieder:
Rammstein-Fans sind auch geografisch nicht einzuschränken. Gerade in Russland ist Rammstein sehr beliebt: In Jaroslawl, das nördlich von Moskau liegt, fanden sich kürzlich 150 Musikerinnen und Musiker im Park zusammen, um den Rammstein-Song "Du Hast" zu covern. Die Band Radio Tapok erzielt mit ihren russischsprachigen Covern von Rammstein-Liedern mehrere Millionen Aufrufe:
Mit Lidstrich und Fliegerhaube
In fulminanten Kostümen, mit schwarz geschminkten Lippen und schwerem Lidstrich gab Till Lindemann den Ton an. Dagegen trat Keyboarder "Flake" Lorenz im goldenen Anzug und mit Fliegerhaube auf und lief im Takt auf einem Laufband. Dazu Feuerwerk und Explosionen. Kryptofaschistische Ästhetik? Oder eine Anspielung an das Maschinenhafte der 1920er-Jahre? Auch hier sollte man vielleicht nicht zu tief analysieren.
Über den typischen Rammstein-Klang - oder sollte man bei dieser Lautstärke eher von Schockwellen sprechen? - wurde schon viel geschrieben. Erstaunlich war, das musste auch der Autor dieser Zeilen bei seinem ersten Rammstein-Konzert auf der Tour 2019 anerkennend feststellen, wie wenig aggressiv Gitarren und Schlagzeug wirkten und wie deutlich der Gesang von Till Lindemann zu verstehen war.
Was bleibt nach dem ersten Teil der Europe Stadium Tour, die Rammstein 2020 fortsetzt? Begeisterte Fans - einige vielleicht mit Tinnitus - und ein Netz voller Rammstein-Eindrücke, -Berichte, -Kommentare und -Posts. Und die Vorfreude auf den zweiten Teil der Tour, der am 25. Mai 2020 in Klagenfurt beginnt.
Wer nach Deutschland kommen und Rammstein in ihrem Heimatland erleben will, muss enttäuscht werden: Die Shows sind bereits ausverkauft. Nur außerhalb Deutschlands sind noch einige Karten zu haben.