Rammstein: Söhne des Ostpunk
25. Juli 2019Kratzige Gitarren, ein Schlagzeug wie ein Maschinengewehr, Geschrei, Gebrüll und Gestöhn statt Gesang. Dreckiger Fun-Punk. "Saddle up" (Aufsatteln) heißt die Platte, die Band heißt "First Arsch". An den Gitarren: Richard Kruspe und Paul Landers. Am Schlagzeug sitzt Till Lindemann. Es ist das Jahr 1992. Dass da drei Musiker der späteren Superband Rammstein mitspielen, ahnt man vielleicht beim fünften Track, "Crowded House": Ein fettes Gitarrenbrett und darüber Tills beschwörender Gesang, auf Englisch. Ansatzweise klingt es tatsächlich nach Rammstein. Doch bis diese Band sich endgültig formiert, sollen noch gut drei Jahre vergehen.
Punk sein in der DDR
Angefangen hat alles Ende der 1970er Jahre. Man befindet sich "im langweiligsten Land der Welt", schreibt der Journalist und Autor Torsten Preuss in dem Buch "Wir wollen immer artig sein…". Die Punkszene schwappt aus dem Westen in die DDR, für die gelangweilte Jugend ist diese anarchische Musik wie eine Supernova. Erste Punk-Treffs finden statt.
Die Punks amüsieren sich köstlich darüber, wie die "Greisenriege" an der Spitze des Staates auf die bunten Haare, anarchistischen Symbole und Nietenarmbänder reagiert. Die "Punker" hätten ein "dekadentes Aussehen", heißt es - die Punks selber lachen drüber und feiern frech dieses neue Lebensgefühl.
Die Szene trifft sich in besetzten Häusern und Wohnungen, versteckten Kellern, Kneipen und Scheunen - und Bands kommen auch vorbei. Sie spielen unter den unmöglichsten Umständen. Manchmal gibt es nur ein Mikrofon. Dann muss ein Helfer das Mikrofon weiterreichen, wenn mehrere Sänger auf der Bühne sind. Die Verstärker zimmern sie selbst aus alten Röhrenradios zusammen, die Instrumente sind Billigware aus Russland oder Tschechien. Je billiger das Schlagzeug klingt, umso mehr "Punk" ist es.
Illegal, dekadent und voller westlicher Ideologie
Viele Konzerte sind illegal. Immer wieder stehen Polizei und Stasi vor der Tür. Die Punker sind für das Regime subervsive Gestalten, die offen gegen das DDR-Regime stänkern. Die Staatssicherheit will Exempel statuieren, verhaftet Punkmusiker und verhängt Gefängnisstrafen. Drei Mitglieder der Punkband "Namenlos" werden wegen "öffentlicher Herabwürdigung staatlicher Organe" zu 12 und 18 Monaten Haft verurteilt. Andere Punks werden zur Ausreise gezwungen.
Man hört Punkmusik im Westradio; die eigene Musik wird auf Kassetten weiterverbreitet, denn das offizielle DDR-Plattenlabel Amiga lässt tunlichst die Finger davon. Die Underground-Bands haben Namen wie Schleim-Keim, Rosa-Extra, Planlos, Unerwünscht, Die Fanatischen Friseure, Gefahrenzone, Freunde der Italienischen Oper, Müllstation.
Zensur gibt es offiziell nicht
Die Szene schaut verächtlich auf die etablierten Bands wie die Puhdys, Karat oder City, die ihren "angepassten" DDR-Rock auch im Westen spielen dürfen. Dabei haben auch die ihre liebe Not mit der Zensur - die es offiziell gar nicht gibt. Sie tricksen die staatlichen Textprüfer aus - mit Metaphern, die es auch dem strengsten Zensoren fast unmöglich machen, das Lied zu verbieten.
Der Untergrund bleibt unangepasst: Provokation auf ganzer Linie: Die Lieder thematisieren den tristen Alltag im Plattenbau, Umweltzerstörung, Stasi-Bespitzelung, Nazihass. Dafür ernten die Musiker immer wieder Repressalien - mit dem ganz klaren Ziel seitens der Staatsführung, diese Szene zu zerschlagen. Besonders perfide ist die Taktik der Stasi, sogenannte IMs (Informelle Mitarbeiter) in die Szene einzuschleusen.
So kann die Stasi durch ihre Zersetzungsversuche immer wieder kleine Teilerfolge erzielen. Man hat jedoch eines unterschätzt: Die Beständigkeit und Anziehungskraft dieser so aufregenden und freien Subkultur. Die Jugend lässt sich nicht davon abbringen - zu wichtig ist ihr und ihren Künstlern und Musikern dieses Ventil.
Punk wird salonfähig
Mitte der 1980er schließlich merkt es die DDR-Führung auch, dass sie das, was da aus dem Untergrund wächst, nicht mehr aufhalten kann. Und so lässt sie plötzlich locker. Konzerte, ganze Festivals werden erlaubt, die Untergrundbands werden im Radio, dem Jugendsender DT 64, gespielt und bekommen eine offizielle Bezeichnung: "Die anderen Bands".
Dazu gehört eine Truppe, die sich "Feeling B." nennt und 1983 entstanden ist. Mit dabei: Der 16-jährige Christian "Flake" Lorenz an den Keyboards und der 18-jährige Paul Landers an der Gitarre. Feeling B. ist eine der ersten Underground-Bands, die sich "einstufen" lässt. Das bedeutet: Sie darf offiziell und staatlich anerkannt als "Amateurtanzmusikformation" Musik machen und auftreten. Die Texte sind auch nicht sehr politisch, hier geht es eher um Fun-Punk, Saufen und Feiern - und sich damit dreist und fröhlich gegen das DDR-Establishment zu stellen.
Zu den "anderen Bands" gehört auch Till Lindemanns Band "First Arsch". Die Musiker begegnen sich immer wieder mal - die Punkszene der DDR kennt sich. Hier mal ein Besäufnis, da mal ein Konzert. Man tauscht sich und verschiedene Instrumente aus, lebt teilweise in WGs zusammen.
Wende: Kein Grund mehr Punk zu sein
Als 1989 die Wende kommt, verliert sich die Szene. Die Anti-Haltung scheint sich überholt zu haben. Feeling B. lösen sich auf. Im Spiegel-Online-Magazin "einestages" erzählt Flake: "In den Jahren nach der Wende ist alles abgestorben. Durch den Systemwechsel hatten wir irgendwie keinen Feind mehr, keine Orientierung. Wir haben gemerkt, wenn wir mit unserem lustigen Ding weitermachen - ähnlich wie 'Die Ärzte', die 'Abstürzenden Brieftauben' und sonst wer - interessiert das im Westen keinen."
Praktisch, dass Till Lindemann gerade mit seinem neuen Projekt "Tempelprayers" einen Bandwettbewerb gewonnen hat. In der Band sind Schlagzeuger Christoph Schneider und Gitarrist Richard Kruspe. Sie holen ihre Kollegen von Ex-Feeling B. ins Boot und überlegen, was man tun kann, um "richtig Ärger zu machen", so Flake im "Spiegel". Etwas Neues muss her. Etwas, das krasser ist als der lustige Punk zu DDR-Zeiten. Etwas, das richtig ins Mark trifft: Rammstein.
Gelernt, in Metaphern zu dichten
1995 kommt die erste Platte "Herzeleid" heraus und schlägt im wahrsten Sinne des Wortes ein wie eine Bombe. Schon der Name ist Terror: "Rammstein" erinnert an die US-Luftwaffenbasis Ramstein, wo 1988 während einer Flugschau bei einem missglückten Manöver 70 Menschen ums Leben gekommen sind. Lindemanns Textzeile im gleichnamigen Lied "Rammstein - ein Mensch brennt" provoziert. Im Lied "Heirate mich" heißt es im Refrain "Hei! Hei! Hei!" - viele glauben "Heil!"-Rufe zu hören.
Flammen, Feuer, Tod, Inzucht, Gewalt, Sex, Nekrophilie, Perversion sind feste Bestandteile in Lindemanns Texten. Er selbst schlüpft in die Rolle von Kinderschändern, Mördern, Psychopathen. Das Ganze gepaart mit dem martialischen Auftreten der Band und schließlich Lindemanns Stimme, die die deutsche Sprache noch etwas "deutscher" macht als sie ist. Der Stempel der Rechtsrock-Band haftet Rammstein schnell an. Immer wieder distanziert sich die Band von rechtem Gedankengut, überlässt die Glatzköpfe mit ihren Springerstiefeln, die ihre Konzerte besuchen, sich selbst.
Bei Rammstein-Texten bleibt immer Raum für Interpretation. Das haben die Musiker aus der unangepassten Undergroundszene der DDR einfach gelernt. "Wenn man sich Texte von DDR-Bands ansieht, sieht man, wie gut die teilweise sind, wenn sie ein Thema mit lyrischen Mitteln umschreiben. Diese Vergangenheit ist mit uns eng verbunden", erzählte Christoph Schneider 2001 in der Zeitschrift "Stern".
Seit fast 25 Jahren touren Rammstein nun um die Welt, bleiben sich und ihrem Sound treu, schaffen es immer noch, zu provozieren. Der letzte Schlag ins Gesicht Vieler, vor allem der Opfer des Holocaust, war das Video zu "Deutschland", in dem mit KZ-Atmosphäre und Judenstern das dunkelste Kapitel in Deutschlands Geschichte gezeigt wurde. Es ist eine Szene aus einem Lied, das mit der kompletten deutschen Geschichte und Gegenwart abrechnet. Das markig dahingebrüllte "Deutschland!" bleibt sicher jedem Nazi im Hals stecken, wenn es danach heißt: "Meine Liebe kann ich dir nicht geben." Rammstein sind ambivalent und interpretationsreich wie immer. Mit einem Unterschied: Für Systemkritik wird man im vereinten Deutschland nicht mehr verhaftet.
Der Audiobeitrag ist 2009 zum 20. Jahrestag des Mauerfalls als Deutsche Welle-Radiofeature gelaufen. Zu hören sind außer viel Musik auch hilflose DDR-Funktionäre und einige der Musiker.