"Publizität auf Kosten von Holocaust-Opfern"
28. März 2019Till Lindemann und drei seiner Bandkollegen stehen nebeneinander gereiht in rauer, düsterer Kulisse, Stricke um den Hals - in gestreifter Kleidung, die an die von KZ-Häftlingen erinnert. Eine langsame Kamerafahrt filmt den Galgen entlang, unter dem sie alle stehen.
So präsentieren sich Rammstein in ihrem 35-sekündigen Teaser-Video und haben bei Vertretern der Bundesregierung und in der jüdischen Community prompt für Empörung gesorgt.
Im DW-Interview erklärt Publizistik- und Medienwissenschaftler Joachim Trebbe von der Freien Universität Berlin, warum die Reaktionen so heftig sind, was das über die deutsche Erinnerungskultur aussagt. Und welches die entscheidenden Fragen sind, die sich eine Gesellschaft beim künstlerischen Umgang mit dem Thema Holocaust stellen sollte oder muss.
Deutsche Welle: Herr Trebbe, was war Ihr erster Gedanke, als Sie den kurzen Teaser des neuen Rammstein-Videos gesehen haben?
Joachim Trebbe: Das erste, was ich gedacht habe, ist dass es sehr gut zu dem passt, was Rammstein so in seiner optischen ästhetischen Anmutung verfolgt: diese 30er Jahre-Ästhetik, die ja auch schon oft im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Ästhetik diskutiert wurde. Dann diese graue, mystische, traurige bis angsteinflößende Umwelt, die da gezeigt wird. Es passt sozusagen in die Entwicklung dieser Gruppe und auch zu dem, was sie so transportieren wollen, wenn es um den optischen Auftritt geht.
Charlotte Knobloch, die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, ist eine von mehreren scharfen Kritikerinnen des Videos. Sie sagt, die Band habe das "Leid und die Ermordung von Millionen zu Entertainment-Zwecken missbraucht". Hat sie damit recht?
Bei der ersten amerikanischen fiktionalen Serie "Holocaust", die dargestellt hat, wie eine Familie verfolgt wird und dann zum Teil in den Konzentrationslagern landet und umkommt, wurde genau dieser Vorwurf auch schon laut: dass man das eben nicht in Form von Unterhaltungskonzepten thematisieren dürfe.
Bei Rammstein ist es jetzt ein bisschen anders, weil die das natürlich mit einem bestimmten ästhetischen Konzept verbinden. Dadurch, dass man dann schon das Gefühl hat, es ist auch irgendwie schön, was man da sieht, kriegt das Ganze nochmal eine andere Drehung.
Das war bei der TV-Serie "Holocaust" damals überhaupt nicht der Fall. Da war von Anfang an klar, dass das eine dramatische Geschichte ist. Vor dem Hintergrund finde ich es vollkommen berechtigt, dass man sagt, Rammstein erzeugen Publizität auf Kosten von Holocaust-Opfern, weil diese Opfer eben mit bestimmten Kennzeichen verbunden werden, die dann dazu führen, dass es mediales Interesse oder auch ein Interesse der Öffentlichkeit gibt.
Wie bewerten Sie den bisherigen Umgang der Öffentlichkeit mit dem kurzen Videoclip?
Alle Medien berichten jetzt darüber. Da gehen bestimmte Alarmanlagen an, wenn ein Video mit einer solchen Ästhetik erscheint. Ich glaube, wir erleben jetzt sozusagen den Anfang der medialen Empörung. Mal gucken, ob das, was dann am Ende wirklich publiziert wird, für den Holocaust steht.
Es kann ja auch sein, dass das jetzt so eine Art öffentlichkeitswirksamer Trick war - ein paar Marker zu setzen und zu sagen "Okay, da werden sich bestimmt die Opferverbände und die Historiker drauf stürzen, sodass alle Leute auf die Langfassung des Videos warten. Und dann haben wir eine Menge Klicks." Heutzutage ist es wahrscheinlich durchaus legitim sowas zu machen.
Legitim aber auch in Bezug auf den besagten Clip von Rammstein?
Man muss sich grundsätzlich die Frage stellen, ob man diese Opferrolle der nationalsozialistischen Judenverfolgung für Werbezwecke benutzen darf. Wir sind jetzt gerade wieder in einer Zeitenwende, wo die letzten Augenzeugen, die letzten Leute, die das erlebt haben, sterben und die Erinnerungskultur sich verändern muss, weil jetzt die Informationen für alle nur noch aus zweiter Hand da sind.
Deswegen sind die Leute, glaube ich, im Moment noch sehr empfindlich. Meine Prognose ist, dass dieser Gegenstand der Judenverfolgung- und Ermordung häufiger als "normale" Thematisierung genutzt werden wird und dass auch die Empörung darüber abnehmen wird.
Wie kommen Sie zu dieser Annahme?
Im Moment ist es so, dass die Erinnerungskultur sehr stark institutionalisiert wird - durch Gedenkstätten, Bücher, Museen und so weiter. Das führt dazu, dass man von dieser direkten menschlichen Empathie wegkommt und sagt: "Okay, das ist ein historischer Tatbestand. Den kann man sich angucken und der kann natürlich dann auch leichter von Künstlern oder sonst wem benutzt werden, um ihn zu thematisieren." Das heißt, dann klappt es natürlich auch irgendwann nicht mehr mit dem Tabubruch, weil es dann kein Tabubruch ist, wenn man dieses Leiden auch in anderen Kontexten zeigt.
Würden Sie aber sagen, dass Rammstein zum jetzigen Zeitpunkt ein Tabu gebrochen haben?
Es ist ein bisschen schwierig zu beurteilen, gerade weil es eben von Rammstein kommt. Bei einer Band wie Rammstein muss man eben abwarten, was daraus wird. Für Empörung ist es noch zu früh.
Sie haben angedeutet, dass sich die Grenzen dessen, was ein Tabu ist, künftig weiter verschieben werden. Ist das nicht gefährlich - gerade wenn es um die Shoa geht?
Ja klar. Leute und Politiker wie Frank-Walter Steinmeier und auch die Vertreter der jüdischen Gemeinden wehren sich dagegen, dass sich diese Erinnerungskultur verändert. Sie sagen, wir müssen aufpassen, dass, wenn wir die Augenzeugen nicht mehr haben, die im Bundestag auftreten können, dass das nicht irgendwann banalisiert wird.
Und das ist natürlich eine große Gefahr, dass man sagt, durch diese Historisierung wird das von der menschlichen Seite weggezogen und es war im Grunde keine singuläre Sache. Das ist eine große Gefahr, die damit verbunden ist und die auch durch die fortgesetzten Tabubrüche, ich sage mal, katalysiert wird.
Die gesellschaftliche Diskussion muss jetzt entscheiden, ob man sich das gefallen lässt. Und ob das sozusagen Teil der alltäglichen Ästhetik in Musikvideos sein darf. Oder ob man sagt: "Leute, da habt ihr einen Punkt überschritten, den wollen wir nicht haben." Das ist keine rechtliche Sache, sondern eher eine Frage, wie die gesellschaftliche Verfassung im Hinblick darauf ist.
Das Gespräch führte Bettina Baumann.
Joachim Trebbe ist Professor für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der FU Berlin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem die Themen: Mediennutzung- und Wirkungen sowie Medienmechanismen, Nachrichtenselektion und Promi-Berichterstattung.