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Politik

Raketen an historischem Datum

Michael Knigge
8. April 2017

Der Militärschlag gegen das syrische Regime fiel exakt auf den hundertsten Jahrestag des Kriegseintritts der USA in den Ersten Weltkrieg. Gibt es geschichtliche Parallelen? Die DW fragt zwei Historiker.

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US-SYRIA-CONFLICT-PROTEST (AFP/Getty Images)
Anti-Kriegs-Protest am Freitag vor dem Trump-Tower in New YorkBild: Getty Images/AFP/J. Samad

Deutsche Welle: Präsident Donald Trump hat den Angriff auf eine syrische Luftbasis am 6. April befohlen - auf den Tag genau 100 Jahre, nachdem die USA in den Ersten Weltkrieg eingetreten sind. Ist das Zufall oder steckt hierin eine historische Symbolik?

Andrew Bacevich: Ich bin sicher, es ist purer Zufall. Ich habe ernsthafte Zweifel, dass Präsident Trump sich über den Jahrestag im Klaren war. Er ist in Geschichte nicht besonders bewandert. Für uns als Außenstehende ist es ohnehin schwer zu beurteilen, wovon das Handeln Trumps abhängt. Wenn wir seine Ausführungen ernst nehmen, würde das heißen, dass er auf einmal seine humanitäre Seite entdeckt hat. Und das heißt dann eigentlich, dass wir es mit einem Präsidenten zu tun haben, der zunächst davon ausging, dass die USA nur ein minimales Interesse am Konflikt in Syrien haben - und der jetzt auf einmal merkt, dass das Interesse doch sehr hoch ist. So hoch, dass wir sogar Raketen auf Syrien schießen. Dieser Angriff ist deutlich mehr als nur ein kleiner Nadelstich. Er ist eine klare militärische Botschaft. Ich glaube, es ist möglich, dass Präsident Baschar al-Assad diese Botschaft richtig interpretieren wird und jetzt sein Verhalten ändert. Wahrscheinlicher jedoch ist, dass er sie ignoriert und das ganze den Beginn einer Entwicklung markiert, die noch komplizierter und gewalttätiger wird als bisher. Was das für Konsequenzen hat, ist derzeit nicht abzusehen. 

Brian Linn: Als Historiker glaube ich nicht an einen Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen. Ich weiß ja auch nicht mehr über das Ereignis als alle anderen. Aber offensichtlich ist, dass Trump einen anderen Führungsstil hat als Obama. Er reagiert eher, als dass er taktisch abwägt. Obamas Stil war methodisch, er antizipierte die Konsequenzen seines Tuns. Trumps Stil würde ich mal "taktischer" nennen, er reagiert direkt und unvorhersehbar auf Ereignisse.

Einige Beobachter haben Sorgen, dass diese Art der militärischen Intervention ohne klare Strategie und Ziel dazu führen kann, dass die USA ungewollt in den syrischen Konflikt hineinschlittern. Ist das aus historischer Sicht gerechtfertigt?

Andrew Bacevich von der Boston University
Andrew Bacevich von der Boston UniversityBild: Boston University

Andrew Bacevich: Das ist es absolut. Dabei denke ich weniger an den Ersten Weltkrieg. Es geht um andere Engagements der USA, die in dieser Region Regierungswechsel hervorrufen wollten. Und das erwähne ich deshalb, weil Außenminister Rex Tillerson klar gemacht hat, dass die US-Politik darauf ausgelegt ist, Assad loszuwerden. Die Lektion, die wir aus der Geschichte gelernt haben, im Irak und in Libyen etwa, lautet doch: Einen Bösewicht loszuwerden, ist noch der einfachste Teil. Viel schwieriger ist es, das danach Kommende zu organisieren, eine Regierung nach der Diktatur einzusetzen. In beiden Ländern verlief das katastrophal und war sehr teuer. Man muss also schauen, was diese Regierung jetzt dazu bringt zu glauben, dass wir es in Syrien besser machen könnten. Präsident Trumps Entscheidung ist innerhalb von gerade einmal 48 Stunden gereift. Anscheinend hat er sich kaum mit Leuten außerhalb seines innersten Zirkels beraten. Ob diese Art der Entscheidungsfindung jetzt viel klüger ist, als es bei George W. Bush und dem Irak oder Barack Obama und Libyen der Fall war, bleibt abzuwarten. 

Brian Linn: Interessant, dass die Frage von einem deutschen Medium kommt. Schließlich war Carl von Clausewitz Deutscher, und der war überzeugt, dass Krieg von Natur her unberechenbar sei. Auch im 19. Jahrhundert waren viele Kriege vor allem Reaktionen auf etwas. Sie wurden mit sehr kurzfristigen Beschlüssen geführt, da wurde dann schon mal ein koreanischer Hafen beschossen, weil man sich provoziert fühlte. Diese Tradition datiert also fast 200 Jahre zurück, manchmal waren Militärs auf einer Strafexpedition oder wollten einfach nur Flagge zeigen. Wir nennen das 'Kanonenboot-Diplomatie'. Sie diente der Einschüchterung. Diese Schiffe verschwanden meist sofort wieder, und es gab keine langfristigen Konsequenzen. Historisch gesehen könnte auch das jetzt eine Bestrafungsaktion ohne langfristige Konsequenzen gewesen sein.

Wie bewerten Sie Donald Trump als Obersten Befehlshaber bislang - im Vergleich zu seinen Vorgängern?

Andrew Bacevich: Was wir von Trump bislang gesehen haben, ob im Wahlkampf oder in den ersten Wochen seiner Präsidentschaft, lässt darauf schließen, dass er ein unausgeglichenes Temperament hat. Er denkt nicht groß über das nach, was er sagt und tut. Er ist impulsiv, denkt nicht an Konsequenzen. Dieser Militärschlag passt dazu. Der plötzliche Sinneswandel der US-Regierung, wie der Konflikt in Syrien zu bewerten ist, wird für einiges Rätselraten in den Hauptstädten der Welt sorgen. Was sollen die Machthaber in Peking, Moskau, Pjöngjang und Teheran davon halten? Und nicht nur politische Gegner fragen sich das - auch die Verbündeten: Was denken wohl Seoul, Tokio oder Berlin darüber?

Brian Linn - Geschichtsprofessor an der Texas A&M Universität
Brian Linn - Geschichtsprofessor an der Texas A&M UniversitätBild: Privat

Brian Linn: Ich denke, es ist schwer zu bewerten. Trump ist ja erst kurz im Amt. Jeder Historiker, der jetzt schon etwas dazu sagen würde, spräche mehr aus politischer Überzeugung als aus historischer Expertise. Wir beurteilen langfristig und nicht danach, was die 'New York Times' schreibt. Das überlassen wir Politikwissenschaftlern, Experten für internationale Beziehungen und Journalisten.

Andrew Bacevich ist emeritierter Professor für internationale Beziehungen und Geschichte an der Universität Boston und Absolvent der US-Militär-Akademie in West Point.

Brian Linn ist Professor für Geschichte und freie Künste an der A&M-Universität Texas und ehemaliger Präsident der Gesellschaft für Militärgeschichte.

Die Interviews führte Michael Knigge.